Dies ist ein positives Achtsamkeitstagebuch in Zeiten der Corona-Krise. Ich möchte mit meinen Gedanken und den Schilderungen meines Achtsamkeits-Alltags Ausrichtung, Kraft und Trost spenden.

Doris KirchMögen diese Impulse dich an deine eigene Weisheit erinnern und mögest du Freude und Sinn auch in diesen schwierigen Tagen finden.

Mögen alle Wesen gesund und frei von Leiden sein.

Doris


Corona-Krise: Aufbruch in ein neues Bewusstsein

24.05.2020

Dieser Beitrag ist der vorletzte meines Achtsamkeits-Corona-Tagebuches. Er wirft einen Blick auf das, was sich in unser aller Leben durch die Corona-Krise künftig ändern wird. Vor allem zeigt er, was wir daraus lernen können und wie wir mit den Auswirkungen der Corona-Krise aus Sicht der Achtsamkeitspraxis auf die bestmögliche Weise umgehen können.

Dieses Tagebuch ist sehr viel länger geworden als ich dachte. Inzwischen muss man viele Meter scrollen, um an seinen Anfang zu gelangen. Deshalb werde ich das Tagebuch im Laufe der nächsten Tage und Wochen in einzelne Beiträge aufteilen, die jedoch miteinander vernetzt sein werden.

Der Beitrag Corona-Krise: Aufbruch in ein neues Bewusstsein hat bereits eine eigene Seite.
Klicke hier, um ihn zu lesen →

Ich werde dieses Corona-Tagebuch einer Achtsamkeitslehrerin natürlich nicht beenden, ohne mich verabschiedet zu haben. Meinen letzten Beitrag wirst du in den kommenden Tagen hier lesen können.

Willkommen in der alten neuen Realität

11.05.2020

Der Alltag nimmt wieder Fahrt auf. Manchmal mit seltsamen „Nebenwirkungen und Begleiterscheinungen“. So las ich heute auf der Facebookseite eines Oldenburger Restaurants, das ich sehr schätze:

Laut Vorgabe des Landes Niedersachsen müssen wir eure Namen und Telefonnummern aufnehmen und für drei Wochen bei uns speichern.

Corona hebelt den Datenschutz aus. Das ist für mich leider keine Option – und ich schätze mal, für viele andere auch nicht. Ich kann warten, die Restaurants sicher nicht.

Das ist wieder so eine, aus der Hüfte geschossene Verordnung, mit der man vermutlich das Kind mit dem Bade ausschüttet, wie es so schön heißt. Schade, dass man nie erfahren wird, wie viele Menschen das Restaurant wegen dieser Regelung (noch) nicht besuchen werden.

Kostenlose Videoserie

Selbstbestimmt und glücklich leben aus der Kraft der Achtsamkeit

Finde deine innere Wahrheit und lebe sie authentisch und frei.

Jetzt kostenlos teilnehmen

Wendet die Corona-Krise etwas zum Besseren?

Erst gestern machte ich mir Gedanken darüber, ob die Corona-Krise mit dem mehrwöchigen Lockdown irgendetwas zum Besseren gewendet hat. Vor allem im Hinblick auf die menschliche Natur.

Der kurze Blick auf Facebook, direkt unterhalb der vorherigen Restaurantankündigung, hat mich in dieser Hinsicht ernüchtert.

Es war unglaublich, wie eine Werbeanzeige der ZEIT kommentiert wurde. Eigentlich schätze ich die ZEIT als anspruchsvolle Zeitschrift, habe aber in letzter Zeit das Gefühl, dass sie zunehmend breitenpopulistische Züge annimmt.

Der beworbene Beitrag ging wohl auch in diese Richtung und einige Leser haben sich kritisch darüber geäußert. Damit war der Kriegsschauplatz eröffnet …

Achtsamkeit Wut

Hoffnung auf mehr Achtsamkeit und Mitgefühl

Das Maß an hemmungsloser verbaler Aggressivität hat mich wirklich erschreckt. Und angewidert. Und enttäuscht. Was sind wir nur für eine Spezies, die so wenig in der Lage ist, Kritik auf eine respektvolle Weise rüberzubringen und die Meinungen anderer zu respektieren? Als wären sie losgelassen, prügelten die Kommentatoren mit Worten aufeinander ein.

Was muss denn passieren, damit der Mensch aufhört, dem Menschen ein Wolf zu sein, wie Plautus sagt? Das wilde Tier ist in uns angelegt – in Form eines archaischen Überlebenssystems. Wer sich der damit zusammenhängenden inneren Mechanismen nicht bewusst ist, taumelt instinktgesteuert wie im Tiefschlaf durchs Leben.

Achtsamkeit ist Medizin für diese kranke Welt

Achtsamkeit ist die Medizin zum Aufwachen. Wir sind dem wilden Tier in uns nicht ausgeliefert. Und wir brauchen es auch nicht zu unterdrücken. Wir müssen nur verstehen, wie es funktioniert und wie wir sein Potenzial in heilsame Kanäle lenken, damit es uns, anderen und der Welt dient.

Die Praxis der Achtsamkeit ist der Weg, der zu Verstehen und Mitgefühl führt.

Ich würde mir wünschen, dass die Corona-Krise uns wirklich als „bessere“ Menschen hinterlässt. Und möglicherweise wird das bei denen, die solche Dinge, wie dieses Achtsamkeits-Tagebuch lesen, auch der Fall sein. Ich bin sicher, dass die Achtsamkeitspraxis vieler an Tiefe gewonnen hat.

Alle anderen werden wahrscheinlich unberührt zur Tagesordnung übergehen.

Auch das geht vorbei

Auch ich werde wieder in den Strudel des alten neuen Alltags hineingezogen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Und und so wird auch dieses Corona-Tagebuch einer Achtsamkeitslehrerin bald sein Ende finden.

Ich plane noch einen  inhaltsschwangeren Beitrag über Sinn und Chancen der Corona-Epidemie aus astrologischer Sicht. Im Allgemeinen können wir Krisen besser ertragen, wenn wir einen Sinn im Geschehen erkennen können.

Und vielleicht brauchen wir das auch in nächster Zeit noch, denn die Lockerungen des Lockdown bedeuten nicht, dass die Corona-Epidemie überwunden ist.

Wir sollten in dieser Hinsicht (wie auch grundsätzlich) locker und geschmeidig bleiben. Achtsam eben :o)

Corona-Tagebuch | Achtsamkeit | Doris Kirch


Führt die Corona-Krise zu mehr Achtsamkeit?

10.05.2020

Wird die Corona-Krise uns verändert zurücklassen? Werden die Menschen in Zukunft achtsamer mit sich selbst, anderen und der Welt umgehen? Diese Fragen kamen mir in den letzten Tagen in den Sinn.

Charakter zeigt sich in der Krise.

Helmut Schmidt (Ex-Bundeskanzler)

Daraufhin habe ich die Frage, ob die Menschen nach Corona achtsamer sein werden, einfach mal gegoogelt und bin auf eine Umfrage der Mediaagentur Wavemaker gestoßen.

Die Werbeleute haben rund 1000 Personen befragt, wie wahrscheinlich es ist, dass sie nach der Corona-Krise die folgenden Dinge tun werden:

  • 71 %  Ich werde mich mit Freunden persönlich treffen.
  • 55 %  Ich werde in Bars und Restaurants gehen.
  • 49 %  Ich werde achtsamer leben, als vor der Corona-Krise.
  • 47 %  Mein Lebensstil wird sich nicht verändern.
  • 44 %  Ich werde shoppen gehen.
  • 44 %  Ich werde ins Kino gehen.
  • 35 %  Ich werde eher auf Marken achten, die in der Corona-Krise geholfen haben.
  • 24 %  Ich werde weniger Zeit auf Social Media verbringen.
  • 23 %  Ich werde weniger fernsehen.
  • 21 %  Ich werde weniger Streaming-Dienste nutzen.
  • 19 %  Ich werde häufiger vom Home-Office aus arbeiten als vor der Corona-Krise.
  • 15 %  Ich werde weniger Zeitungen und Zeitschriften lesen.
  • 13 %  Ich werde mehr Online-Shopping nutzen als vor der Corona-Krise.
  • 10 %  Ich werde mehr Lebensmittel bestellen als vor der Corona-Krise.
  • 10 %  Ich werde weniger Radio hören.

Ich kann nicht sagen, ob das repräsentativ ist – aber die Zahlen haben mich nachdenklich gemacht. Will man ihnen glauben, dann wird rund die Hälfte der Menschen ab jetzt achtsamer leben. Was auch immer sie darunter verstehen.

Offensichtlich wollen die Befragten einen Teil dessen, mit dem sie gewöhnlich dem Hier und Jetzt entfliehen (Fersehen, Streamen, Radiohören, Social Media, Zeitschriftenlesen) etwas einschränken. Konsumieren hingegen rangiert mit 44 % in der Beliebtheitsskala immer noch ziemlich weit oben.

Leicht geschockt haben mich die 47 % (das ist immerhin fast die Häfte) der Befragten, die wohl gar nichts ändern werden.

Achtsamkeit und Ignoranz Corona

Weitermachen, als wäre nichts geschehen

Die Nation scheint gespalten, wenn man diese Befragung als Tendenz wertet.

Wundern tut mich das eigentlich nicht und es erinnert mich an eine Karikatur, die ich vor einiger Zeit gesehen habe:

Zwei Marktstände; auf dem Schild des linken Standes steht „Höhere Erkenntnis“ und auf dem Schild des rechten „Käsekuchen und Kräcker“. Bei Käsekuchen und Kräckern hatte sich eine lange Schlange gebildet, während keine einzige Person am Stand der höheren Erkenntnis zu sehen war.

Werden die Menschen nach der Corona-Krise mehr Interesse an der Achtsamkeitspraxis zeigen? Was meinst du?
Nutze die Kommentarfunktion, um deine Meinung mit anderen zu teilen. →

Sind Home-Office und Achtsamkeit kompatibel?

Auch in dieser Frage scheint die Nation gespalten zu sein, wie auch bei der Frage des Online-Arbeitens als solches.

Die Meinungen dazu sind von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Eine Rolle spielen zum Beispiel die häuslichen räumlichen Gegebenheiten, die familiäre Situation (Partner/Kinder), der Art der Tätigkeit und auch persönliche Neigungen.

Vorgefertigte Meinungen verhindern neue Erfahrungen

Die innere Haltung spielt dabei offenbar eine bedeutende Rolle. So höre ich immer wieder einmal (vorwiegend von Personen älteren Jahrgangs) vorgefertigte ablehnende Meinungen.

„Ich mag den Technikkram nicht“, „Ich brauche persönlichen Kontakt“, „Ich hab da kein Talent zu“, „Dann habe ich ja zu Hause überhaupt keine Privatsphäre mehr“ und dergleichen.

Ohne dass überhaupt einmal ein unvorgeingenommener Versuch unternommen wurde, ist der Widerstand bereits zementiert. Bei jeder passenden Gelegenheit wird er so lange gebetsmühlenartig wiederholt, bis er sich zur eigenen Realität manifestiert hat.

Achtsamkeit bedeutet, sich vorurteilsfrei auf neue Erfahrungen einzulassen

Was mich anbelangt, habe ich bereits vor vielen Jahren erste Erfahrungen mit online-basiertem Arbeiten gemacht.

Damals steckte die Technik noch in den Kinderschuhen und das Internet war noch schlechter als es heute ist (sofern das überhaupt möglich ist). Ständig kam es zu unangenehmen Rückkopplungsgeräuschen, die Verbindungen waren teilweise grottenschlecht und sind nicht selten zusammengebrochen.

Mindful Leadership Training

Ein verlässliches Online-Arbeiten war damals nicht möglich. Mit diesen Vorerfahrungen im Hinterkopf bin ich in die Corona-Situation eingestiegen. Zum Glück ist es Teil meiner Praxis, mir der Gedanken und Gefühle bewusst zu sein, die am Horizont meines Geistes vorüberwabern.

Die Ressentiments wahrnehmend, kehrte ich in den Anfängergeist zurück. Ich beschloss, mich unvoreingenommen, neugierig und frisch für neue Erfahrungen zu öffnen. Und siehe da: Es lief (und läuft)  besser, als meine Befürchtungen es mir vorgegaukelt hatten.

Beschränkende Wirkungen selbsterfüllender Prophezeihungen

Von Absolventinnen unserer Ausbildungen, die sich den Online-Meetings und der damit zusammenhängenden Technik ebenfalls auf diese vorurteilsfreie Weise angenähert haben, hörte ich Ähnliches.

Alle anderen dürften es ungleich schwerer gehabt haben. Oder leichter – weil sie ihre apokalyptischen Vorwegnahmen im Sinne selbsterfüllender Prophezeihungen bestätigt fanden.

Viele würden auch nach der Corona-Krise gerne von zu Hause arbeiten

Interessante Einblicke in den Trend der Home-Office-Arbeit gibt eine Studie, die Computerhersteller Acer in Auftrag gegeben hat.

Danach ist die grundsätzliche Einstellung der Nutzer zum heimischen Arbeiten eher positiv. Für rund die Häfte der Befragten, die während der Corona-Krise von zu Hause aus arbeiten mussten, war dies das erste Mal.

Offenbar fanden viele Gefallen daran, denn 48 % bekundeten, auch weiterhin gerne im Home-Office zu wollen (unter der Voraussetzung, dass der Arbeitsgeber das geeignete Equipment für flüssiges Arbeiten bereitstellt).

Für 22 % hingegen ist diese Arbeitsweise auf  Dauer keine Option.

Sind Home-Office und Achtsamkeitspraxis kompabitel?

Gehen wir einmal von einer grundsätzlichen achtsamen Offenheit aus, sich auf neue Erfahrungen einzulassen, dann könnten folgende Fragen auftauchen:

  • Werden die Zeit und die Möglichkeiten zur Achtsamkeitspraxis von der Arbeit „aufgefressen“?
  • Werden Arbeit und Freizeit entgrenzt? Vermischt sich beides immer mehr, so dass wir gar keine echten Erholungs- und Regenerationszeiten mehr haben?
  • Wenn diese Möglichkeit besteht – ist das zu verhindern? Und wann ja, wie?
  • Kriegen wir den Balanceakt zwischen Arbeit, Muße und Meditation hin? Wenn ja, wie könnte das aussehen?
  • Liegen vielleicht ganz neue Möglichkeiten für die Achtsamkeitspraxis in der Home-Office-Arbeit? Kriegen wir die formale und informelle Praxis der Achtsamkeit vielleicht sogar besser integriert als vorher?

Als Mindful Leader mehr Achtsamkeit in dein Unternehmen bringen →

Mindful Leadership: So gestalten wir die Wirtschaft um →

Flucht aus dem gemeinsamen Büro

Was mich anbelangt, habe ich mir diese Fragen schon viele Jahre vor der Corona-Krise gestellt. Da ich beim Arbeiten in unseren Geschäftsräumen durch das Tagesgeschäft fortwährend unterbrochen wurde, habe ich irgendwann beschlossen, vorwiegend vom Home-Office aus zu arbeiten.

Zunächst haben wir im DFME die technischen Voraussetzungen für einen reibungslosen Workflow geschaffen. Dann habe ich die Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen so organisiert, dass ich mittlerweile überwiegend unterbrechungsfrei und konzentriert arbeiten kann.

Die Urweinwohner Papua-Neuguineas haben jeden zweiten Tag einen Feiertag, weil sie glauben, dass es der Gesundheit schadet, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu arbeiten.

www.factglaublich.com

Sich selbst eine Struktur geben

Das hört sich vielleicht nach einer traumhaften Lösung an, und das ist es auch. Aber das war es nicht von Anfang an. Arbeiten zu Hause braucht Achtsamkeit und Disziplin. Auch bei mir hat es eine Weile gedauert, bis alles reibungslos lief. Und ich musste lernen, mir eine Struktur zu geben. Anfangs glitt ich noch ziemlich in Extreme ab.

Im Sommer war ich mehr im Garten als am Schreibtisch und manchmal versank ich in ganzen Phasen täglicher 14-stündiger Computerarbeit. Mal schluckte mich das eine, mal das andere. Es braucht viel Bewusstseinsarbeit, um in eine gute Balance zu kommen.

Ich arbeite halbtags. 12 Stunden.

(Irgendwo im Internet)

Diese Balance muss immer wieder neu gefunden werden. Sie ist kein statischer Zustand. Hilfreich dabei ist mir wieder die Achtsamkeitspraxis. Schreiben ist für mich Praxis und auch auf meinen Körper zu hören.

Zum Beispiel zu vernehmen, wenn Durst sich meldet oder wenn kleinere Muskelverspannungen mich darauf hinweisen, dass eine Pause dran ist.

Ziehe neue Kraft aus einer achtsamen Mittagspause →

Achtsame Mittagspause

Alles ist Praxis

Dann nehme ich eine achsame Auszeit. Koche mir achtsam einen Tee (und genieße ihn, ohne dabei weiterzuarbeiten), „sitze“ eine Runde, praktiziere Gehmeditation im Garten oder mache ein paar Mindful Moves. Manchmal lege ich mich auch ein Stündchen aufs Ohr. Anschließend bin ich wieder frisch und voller Tatendrang.

Die Arbeit im Home-Office zusammen mit meiner Achtsamkeitspraxis gibt mir die Möglichkeit, gut für mich zu sorgen. Zu Zeiten, als ich noch nine to five im Büro saß, war das undenkbar. Egal, was ich brauchte oder wie es mir ging: ich hatte meine Zeit dort abzusitzen.

Kostenlose Videoserie

Selbstbestimmt und glücklich leben aus der Kraft der Achtsamkeit

Finde deine innere Wahrheit und lebe sie authentisch und frei.

Jetzt kostenlos teilnehmen

Wenn ’nine to five‘ zur Qual wird

Ich erinnere mich noch an meine lange zurückliegende Tätigkeit im Management und an zahlreiche wirklich qualvolle Momente während dieser Jahre.

So gegen 8.30 Uhr an meinem Arbeitsplatz angekommen, hatte ich bereits den ersten energetischen Einbruch. Ich war erschöpft und hätte es gebraucht, mich eine Stunde hinzulegen, um mich etwas auszuruhen.

Denn ich war bereits um 5 Uhr aufgestanden, hatte mich businessfertig gemacht, die Kinder geweckt, Frühstück gemacht, sie angezogen und sie anschließend zur Tagesmutter beziehungsweise in den Kindergarten gebracht.

Anschließend wühlte ich mich 45 Minuten lang durch die Staus des Berliner Stadtverkehrs und suchte nochmal eine viertel Stunde lang einen Parkplatz in der Nähe unseres Instituts. Nicht selten musste ich mit meinen High Heels vier Häuserblocks weit bis zur Firma laufen.

Das erste „ruhige“ Essen des Tages gab es in einer geschwätzigen, lauten Kantine. Meine Kollegen nutzten das Mittagessen gerne, um Probleme „auf dem kleinen Dienstweg“ zu besprechen.

Lieblingsarbeitszeiten und Effizienz

Führt man sich das vor Augen und fühlt es einmal nach, kann man sicherlich gut verstehen, warum ich das Arbeiten im Home-Office für eine wunderbare Sache halte.

Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass Arbeiten mit Rücksicht auf die persönlichen Bedürfnisse, was Arbeitsbeginn, Arbeitszeiten, Pausen, Pausengestaltung und nahrungstechnische Versorgung anbelangt, zu einer sehr viel größeren Effizienz führt.

Meine geistig effizienteste Zeit ist zwischen sechs Uhr morgens und 12 Uhr Vormittags. Andere laufen ab 21 Uhr zur Höchstleistung auf. In einem Firmen-Büro sind solche Zeiten wohl kaum zu bewerkstelligen, ohne unangenehm aufzufallen.

Achtsamkeit und Home-Office

Mehr Effizienz und Zufriedenheit durch Selbstgestaltung der Arbeit

Bei mir beobachte ich das mit der Effizienz schon lange und habe das Gefühl, dass ich in fünf Stunden schaffe, wozu andere acht Stunden brauchen.

Die Schlussfolgerung daraus sollte allerdings nicht sein, mehr Arbeit in weniger Zeit zu stopfen, sondern nach diesen fünf Stunden dann auch Feierabend zu machen. Ausnahmen sind okay – aber sie sollten nicht zur Normalität werden.

Nach eigenen Bedürfnissen arbeiten zu können stärkt Resilienz und hält somit Geist und Körper gesund und leistungsfähig. Home-Office in Verbindung mit einer guten Achtsamkeitspraxis kann für einen klaren, frischen Geist mit Raum für Kreativität sorgen.

So ist das für mich. Und was ist deine Meinung dazu? Was sind deine Erfahrungen? Hast du Tipps für eine gelungene Symbiose von Home-Office und Achtsamkeitspraxis?

Nutze die Kommentarfunktion, um uns von deinen Erfahrungen zu berichten und deine Tipps mit anderen zu teilen →

Corona-Tagebuch | Achtsamkeit | Doris Kirch


Janusgesichtige Zeiten

09.05.2020

Ich habe gemischte Gefühle. Typische Corona-Gefühle. Denn jetzt ist klar: Die bisherigen Beschränkungen werden (zunächst einmal) deutlich gelockert. Spürbar kommt wieder Leben ins Leben. Und ich fühle zwei Seelen in meiner Brust.

Zum einen eine unsägliche Erleichterung im Hinblick auf die Wirtschaftslage. Und dann freue mich für die Menschen, die die Corona-Krise als Eingesperrtsein und Isolation erlebt haben, denn sie können sich nun wieder mit Freunden und Familie treffen. Vorsichtig noch, aber immerhin.

Gleichzeitig habe ich bereits jetzt schon Anflüge von Überforderung. Der Verkehr auf den Straßen hat zugenommen und überall sehe ich wieder mehr Menschen. Viele Menschen. Zu viele Menschen. Alles wird voller und scheint sein vorheriges auszehrendes Businesstempo wieder aufzunehmen.

Ich hoffe von Herzen, dass wir etwas von der Ruhe, Muße und Entschleunigung, die wir in den letzten Wochen erfahren haben, in unser „neues“ Leben hinüberretten werden.

Wenn Gott Janus die Finger im Spiel hat

In den Gesprächen, die wir in der letzten Zeit mit den Absolventen unserer Achtsamkeitstrainer-Ausbildung und MBSR-Lehrer-Ausbildung geführt haben, wurde eines ganz deutlich: Alle haben diese Zeit als sehr zwiespältig erlebt.

Einige hat das Geschehen an ihre Grenzen gebracht. Aber ich habe auch viel von wunderbaren Auswirkungen gehört, die die Corona-Krise auf sie und ihr Leben gehabt hat beziehungsweise immer noch hat.

Die Zwiespältigkeit des scheinbar gleichzeitigen Vorhandenseins von angenehm und unangenehm, belastend und bereichernd, erinnert mich an den römischen Gott Janus.

Janus

Janus: Zwei Seiten einer Medaille

Janus, der mit zwei Gesichtern dargestellt wird, gehört zu den ältesten und bedeutendsten Göttern des römischen Pantheons. Seine Doppelgesichtigkeit verkörpert die Dualität des ewigen Gesetzes der Wandlung: Schöpfung und Zerstörung, Leben und Tod, Licht und Dunkelheit, Vergangenheit und Zukunft.

Als Gott der Türen und Tore sind Janus alle Anfänge heilig. Er ist ganz und gar ein Sohn Saturns, ein wahrer Hüter der Schwelle. Deshalb ist ihm der 1. Januar geweiht, der Monat, der nach ihm benannt ist.

Die Römer huldigten Janus auch im Zusammenhang mit Geburten, Übergangszeiten, Reisen und Handel. Eingangspforten römischer Häuser und Gärten wurden oft mit seinem Bildnis versehen.

Ein fundamentales Lebensgesetz

Die Parallele zu Corona ist schon erstaunlich. Was wir daraus lernen können? Zum Beispiel, dass es nicht um die moralisch wertende Frage von gut und schlecht, richtig und falsch geht. Janus steht außerhalb dieser Wertungen. Damit erinnert er uns an ein fundamentales Gesetz des Lebens: Wir können das eine nicht ohne das andere haben.

Symbolisiert wird diese Erkenntnis auch durch die Monade von Yin und Yang. Letztenendes gehört alles zusammen und jeder Aspekt beinhaltet bereits den Keim seines Gegenteils.

Janus

Das Leben ist kein Kindergeburtstag

Wenn wir es schaffen, aus dem inneren Drama herauszutreten (und das lernt man, wenn man Achtsamkeit praktiziert), können wir erkennen, wie das Leben beschaffen ist: es ist anfällig und es fordert uns heraus. Vom ersten bis zum letzten Atemzug. Und alles verändert sich fortwährend. Ja, genauso ist das.

Es wäre Kinderglaube, anzunehmen, dass wir unbeschadet durch die Herausforderungen eines ganzen Lebens hindurchsegeln könnten. Eine gewisse Normalität auch in den Auswirkungen der Corona-Krise zu sehen, kann uns vor inneren Katastrophierungen bewahren. Dann behalten wir einen klaren Kopf und können hilfreich für uns selbst und andere sein.

Wenn uns die Kekse des Lebens zu hart sind

Wir können erkennen, dass „Normalität“ nicht aus einem Leben ohne Herausforderungen besteht. Das Leben hält nicht nur Sahnestückchen für uns bereit. Manchmal sind es harte, trockene Kekse. Sind wir bereit für das Leben, dann nehmen wir es, wie es kommt. Vielleicht finden wir heraus, dass die Kekse bekömmlicher werden, wenn wir sie in Tee stippen.

Die Ausgewogenheit eines Lebens aus der Mitte, wie der Buddha sie propagierte, finden wir in unserer Fähigkeit, die Balance zu halten.

Achtsamkeitsmeditation

Seinen Platz in der Mitte einnehmen

In der Achtsamkeitslehre liegt ein besonderer Schwerpunkt auf dem Wahrnehmen von angenehmen und unangenehmen Empfindungen von Moment zu Moment. Je ausgeprägter und verfeinerter diese Wahrnehmung wird, desto klarer können wir dieses Wechselspiel zwischen den beiden gegensätzlichen Energien erkennen.

Irgendwann verliert sich die Lust, nur noch dem Angenehmen hinterherzurennen und vor dem Unangenehmen davonzulaufen. Dann nehmen wir unseren Platz in der Mitte ein. In der Mitte aller Dinge.

Und dort, in der Mitte, finden wir den Frieden, nach dem wir uns so sehr sehnen.

Beruhigt

Zwei mal zwei gleich vier ist Wahrheit.
Schade, daß sie leicht und leer ist,
Denn ich wollte lieber Klarheit
Über das, was voll und schwer ist.

Emsig sucht ich aufzufinden,
Was im tiefsten Grunde wurzelt,
Lief umher nach allen Winden
Und bin oft dabei gepurzelt.

Endlich baut ich eine Hütte.
Still nun zwischen ihren Wänden
Sitz ich in der Welten Mitte,
Unbekümmert um die Enden.

(Wilhlem Busch)

Und sonst so

Ich sitze heute „in der Welten Mitte“, umbekümmert um die Enden :o)

Corona-Tagebuch | Achtsamkeit | Doris Kirch


Werte

08.05.2020

Ich liebe den frühen Morgen. Die Luft ist frisch, mir hat noch niemand in die Suppe gespuckt und mein Geist ist ruhig und klar wie ein stiller Waldteich. Im schlaftrunkenen Garten beginnen die ersten Vögel ihr Morgenkonzert und der orangefarbene Mond geht wie eine riesige Apfelsine hinter den Bäumen unter.

Ich habe achtsam mein „Green Monster“ (Matcha-Latte) zubereitet und genossen und danach lange meditiert. Einfach wunderbar. Der Matcha-Tee am frühen Morgen ist über viele Jahre zu einem lieb gewonnenen Ritual geworden. Sehr lieb. Denn muss ich mal auf ihn verzichten, kann ich Anflüge von Krötigkeit bemerken.

Wie das mit Ritualen so ist, werden sie schnell zu Gewohnheiten, an denen man anhaftet und dann abhängig davon wird. Ich beobachte mich selbst amüsiert beim Einpacken meines Matcha-Latte-Equipments, wenn ich für ein paar Tage woanders übernachte, zum Beispiel im Retreat.

Wenn unsere Routinen uns im Griff haben

Da kommt der Reise-Wasserkocher mit, die Campingkochplatte, das kleine Töpfchen, das Latte-Macchiato-Glas, ein langstieliger Löffel, ein Küchenhandtuch, Milchaufschäumer und natürlich das Matcha-Pulver nebst ein paar Litern Sojamilch, je nach Länge der häuslichen Abwesenheit.

Während ich das so schreibe, muss ich kopfschüttelnd grinsen, so absurd kommt mir das selbst vor. Ich bin froh, dass es auch Außer-Haus-Zeiten gibt, zu denen ich nicht mit dem Auto anreise. Dann darf der ganze Zauber zu Hause bleiben.

Den achtsamen Geist geschmeidig halten

Statt dessen darf ich mit dem Thema Anhaften arbeiten und mit den inneren Widerständen, weil ich meine Matcha-Sehnsucht am Morgen nicht befriedigt bekomme. Der Geist zuckt dann ein paar Mal und fügt sich schließlich geschmeidig.

Es ist gut, Routinen dann und wann zu unterbrechen. Das verhindert, zu festgefahren in seinen Angewohnheiten zu werden. Dinge immer auf die gleiche Weise zu tun, erleichtert viele Abläufe des Alltags.

Den Genuss des Moments verpassen

Andererseits werden sie leicht zu Automatismen. Dann sind wir nicht mehr bei der Sache, sondern in Gedanken über Zukünftiges und Vergangenes versunken. Im stumpfen Raffel-Modus verfangen, entgeht uns der Flow unserer Bewegungen und wir verpassen es, die haptischen, visuellen, auditiven, olfaktorischen oder gustatorischen Erfahrungen des gegenwärtigen Moments zu genießen.

Dinge öfter mal mit den Augen des Anfängergeistes betrachten zu wollen, führte gestern dazu, mal einen Blick in den Geräteschuppen zu werfen, um zu sehen, was sich hier inzwischen selbst überlebt hat.

Ich bin nicht so der Sammeltyp. Reise lieber mit leichtem Gepäck (außer wenn es um meinen Matcha-Latte geht ;o). Und so lohnte sich eine Tour zum Entsorgungshof. Corona Zeit: Ich war nicht die einzige mit dieser Idee.

Eine Stunde lang die Möglichkeit, mich in der geistigen Qualität von Geduld zu üben. Der Alltag steckt voller Möglichkeiten, Achtsamkeit zu praktizieren.


Milde

06.05.2020

Wir erleben derzeit die ersten wirklich spürbaren Lockerungen seit Beginn der Corona-Krise, die vielleicht als „die Krise“ in die Geschichte eingehen wird. Auch wenn ich finde, dass ich die Zeit des Lockdown gut überstanden habe, spüre ich doch eine gewisse Erleichterung.

Diese subtile Unterströmung eines Damoklesschwertes, das die ganze Zeit über uns schwebte, lässt nach und in diesem Nachlassen spüre ich erstmals die wahre Stärke ihrer Macht.

Und ich frage mich, wie stark der Einfluss solch einer Macht auf jemanden ist, der sich nicht bewusst ist, was in seinem Denken und Fühlen vor sich geht und der nie gelernt hat, einen heilsamen Einfluss darauf zu nehmen.

Gier, Hass und Verblendung, die Wurzel allen Übels

Ich sehe in all den Verschwörungstheorien und Ausbrüchen subtiler bis grober Gewalt in Worten und Taten den Aufschrei leidender Seelen. Würde der Buddha noch leben, würde er mir sicherlich zustimmen, denn als die Wurzeln allen menschlichen Übels erkannte er Gier, Hass und Verblendung.

Verblendung bedeutet „Nicht-Wissen“ (in manchen Quellen mit „Dummheit“ übersetzt). Das Gegenteil von Verblendung sind Einsicht und Weisheit – in die eigene innere Natur und in die Natur des Lebens schlechthin. Verbunden mit Einsicht und Weisheit ist immer auch Mitgefühl, das um so mehr wächst, je tiefer und verwirklichter die Einsicht wird.

Achtsamkeit zu entwickeln, braucht Zeit und kundige Unterstützung

Einsicht und Mitgefühl zu entwickeln, ist auch das Ziel unserer Ausbildung zum Achtsamkeitstrainer. Wir sind das einzige Institut im deutschsprachigen Raum, dessen Ausbildung zweieinhalb Jahre dauert.

Das ist auch nötig, denn Achtsamkeit to go als kognitives Konzept ist wirkungslos im oben genannten Sinne. Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit hier und dort ist schön. Aber das bewirkt keine nachhaltige und fundamentale Veränderung von Bewusstsein.

Achtsamkeit

Achtsamkeitstrainer to go

Mancher lässt sich im Rahmen eines Online-Kurses, eines Fernlehrgangs oder an drei Wochenenden zum „Achtsamkeitstrainer“ ausbilden. Aber wenn es so einfach wäre, Achtsamkeit zu entwickeln, wären wir von der Erleuchtung nur ein Buch weit entfernt.

Und wir hätten längst schon die bessere Welt, die wir uns alle wünschen. An der Supermarktkasse während der Corona-Krise können wir derzeit sehen, wie weit wir von diesem Ideal noch entfernt sind.

Weisheit ist eine Qualität des Herzens, die Zeit zum Reifen braucht und der kontinuierlichen Begleitung eines Achtsamkeitslehrers bedarf, wenn sie mehr sein soll, als mentale Gehirnakrobatik, mehr als ein weiterer kurzlebiger „Skill“ auf dem Psychomarkt.

Achtsamkeit reift, wie ein Diamant entsteht

Diamanten entstehen über lange Zeiträume unter Druck und Hitze. Und genauso ist es beim Entwickeln von Einsicht, die durch das fortlaufende Praktizieren von Achtsamkeit erlangt wird. Das ist bisweilen eine anstrengende und ermüdende Arbeit, die vor allem zu Beginn viel Einsatz und Disziplin erfordert.

Ein gestriges Begleitungsgespräch mit einer unserer Absolventinnen hat mir das wieder einmal vor Augen geführt. Sie war mit ihrer Praxis in eine Sackgasse geraten. Berge von inneren Antreibern, Unzufriedenheit mit sich selbst, Ungeduld, Selbstabwertung und Verzweiflung hatten sich vor ihr aufgetürmt.

Die Energie der Achtsamkeit ins Fließen bringen

Es gibt keine Bücher für solche Fälle. Situationen wie diese, bedürfen eines Lehrers, der die Stolpersteine der Achtsamkeitspraxis aus eigener Erfahrung kennt und weiß, wie man damit umgeht. Er wird den Knoten einfühlsam lösen, damit die Energie des Schülers wieder ins Fließen kommt und er weiter voranschreiten kann, auf seinem Pfad der Achtsamkeit.

Gespräche, wie das von gestern, habe ich während der Corona-Krise mit Absolventinnen unserer Achtsamkeitstrainer-Ausbildung öfter geführt. In ihren Problemen finden wir die drei Geistesgifte (wie sie in der buddhistischen Lehre genannt werden) Gier, Hass und Verblendung wieder.

Wenn ihr etwas sehen möchtet, solltet ihr eure Augen öffnen.

Shunryu Suzuki, Zen-Meister

Verblendung bedeutet in diesem Zusammenhang, nicht sehen zu können, was im eigenen Inneren vor sich geht und welche Auswirkungen das eigene Denken, Fühlen und Handeln auf sich selbst und andere hat. Oder, die Problematik zwar zu erkennen aber nicht zu wissen, wie man sich daraus befreien kann.

Es ist nicht deine Schuld

Dass wir über diese Fertigkeiten nicht verfügen, ist auch nicht verwunderlich, denn sie zu entwickeln, stand in keinem Unterrichts-Curriculum unserer Schulzeit. Auch unsere Eltern konnten uns in dieser Hinsicht oft nicht viel Hilfreiches vermitteln.

Gier und Hass finden wir im unheilsamen Umgang mit uns selbst, zum Beispiel indem wir uns unbarmherzig dazu antreiben, ein „besserer“ Mensch zu sein. Inspiriert durch Bücher und das leuchtende Vorbild weiser Menschen starten wir mit unserer Achtsamkeitspraxis ambitioniert durch … und sind nach drei Monaten völlig am Boden zerstört, weil sie wir immer noch nicht perfekt beherrschen.

Wie wir uns selbst sabotieren

Wir stellen Vergleiche mit anderen an (eine effektive Strategie, sich in depressive Zustände hineinzumanövrieren) und bauen ein „Über-Ich“ auf, an dem wir uns täglich messen. Akribisch protokollieren wir all unsere vermeintlichen Unzulänglichkeiten. Und unser frustriertes Resümee besteht in der ernüchternden Erkenntnis, dass das angelesene Wissen nicht zur sofortigen Umsetzung in unserem Denken, Fühlen und Handeln geführt hat.

Wir wollen viel, wir wollen mehr und wir wollen es gleich!

Geduld haben wir bestenfalls beim Stricken oder mit den Kindern. Uns selbst aber treten wir fortwährend in den Hintern, um endlich der geduldige, mitfühlende, entspannte und verständnisvolle Mensch zu werden, der wir sein wollen. Die getriebene Gier, die Dinge in uns selbst anders haben zu wollen als sie sind, treibt uns in den Selbsthass.

Krieg im Geist und im Herzen

Auf dem Altar von Gier, Hass und Verblendung opfern wir durch diesen Leistungs- und Erfolgsanspruch unbemerkt sogar unsere Achtsamkeitspraxis. Es herrscht Krieg im Geist und im Herzen.

Aber wie wollen wir eine bessere Welt ohne Kriege, Zerstörung, Aggression, Not und Angst mitgestalten, wenn wir es nicht einmal schaffen, das in uns selbst zu bewerkstelligen? Genau, es ist nicht möglich.

Frieden in der Welt fängt beim Frieden in uns selbst an. Zuerst einmal müssen wir lernen, den Kampf gegen uns selbst zu beenden.

Den Kampf beenden

Leg‘ die Waffen nieder. Der Krieg ist vorbei.

In den Gesprächen, die ich während der Corona-Krise mit unseren Teilnehmerinnen und Teilnehmern geführt habe, war ich zutiefst betroffen von den starken inneren Widerständen, von der Unerbittlichkeit, sich selbst anzutreiben, zu gängeln, zu fordern, herabzusetzen und zu verurteilen.

Denn wenn wir uns im Kriegszustand mit uns selbst befinden, dann sind Geist und Herz angefüllt mit den dazugehörigen Emotionen und Gedanken. In eine volle Tasse können wir jedoch nichts mehr einschenken. Frieden hat dann keinen Platz mehr.

Deshalb geht es zunächst einmal darum, die Tasse zu leeren, um ein leeres Gefäß für heilsamere Gedanken und Gefühle zu werden.

Volle Tassen leeren

Eine meiner Aufgaben als Achtsamkeitslehrerin besteht darin, die Tassen zu leeren, um sie aufnahmefähig für neue Inhalte zu machen.

Das ist nicht immer leicht, denn die in Gier, Hass und Verblendung verwurzelten Inhalte des Geistes sind an das eigene Selbstkonzept gekoppelt. Fühlt sich das Selbstkonzept bedroht, verteidigt es sich nicht selten mit Zähnen und Klauen. So bleibt die Tasse voll.

Achtsamkeit zu lehren, bedeutet nicht nur, die Tassen zu leeren, sondern auch etwas anzubieten, mit dem sie neu gefüllt werden können. Im Fall der buddhistischen Psychologie zum Beispiel mit den Qualitäten der Brahmavihāras.

Vier unermesslich wundervolle Zustände

In der deutschen Sprache haben sie verschiedene Namen, zum Beispiel Die himmlischen Verweilzustände, Die vier Unermesslichen oder Die vier unermesslichen Herzensbefreiungen. Die letzte Bezeichnung gefällt mir besonders gut, denn sie enthält bereits einen Hinweis auf den dahinterstehenden Weg: die Befreiung des Herzens (von Gier und Hass).

Es handelt sich bei den Brahmavihāras um vier Geisteszustände oder Geisteshaltungen: mettā (Freundlichkeit, liebende Güte), karuṇā (Mitgefühl), muditā (Mitfreude) und upekkhā (Gleichmut).

Achtsamkeitstrainer Ausbildung

Milde entwickeln

Wenn ich davon rede, den Krieg zu beenden, dann meine ich, die vier Unermesslichen zu entwickeln. Für mich stehen sie unter dem Oberbegriff von Milde.

Wenn wir als Achtsamkeitstrainer anderen Achtsamkeit vermitteln möchten, dann sind wir darin umso erfolgreicher, je tiefer unser eigener Geist von Freundlichkeit, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut durchdrungen ist.

Wir sollten wie ein Schwamm sein, der sich selbst ausdrückt, um die Bedingungen dafür zu schaffen, dass die Qualitäten der Brahmaviharas im Prozess eines umfassenden Loslassens in uns einströmen können.

Achtsamkeit Zitate

Von Druck und Sog

Das ist ein passiver Prozess, der etwas mit Druck und Sog zu tun hat. Geisteshaltungen kann man nicht „hineindrücken“ – sie brauchen Raum und Freiheit, um sich entfalten zu können. Für das Entwickeln von Achtsamkeit bedeutet das, immer wieder in eine Haltung von Milde zurückzukehren.

Vor allem am Anfang der Achtsamkeitspraxis reicht es aus, den Fokus der Aufmerksamkeit sanft darauf zu halten, wo wir die Milde, die Weite und innere Freiheit verlassen und uns in den getriebenen „Kriegszustand“ begeben.

Und natürlich sollten wir gleichermaßen üben, zu erkennen, wo es uns gelingt, in einem freundlichen, mitfühlenden, gleichmütigen Zustand zu sein.

Achtsamkeit heißt „hier sein“ mit allem, was ist

Wenn wir bemerken, dass wir uns wieder einmal im Würgegriff alter Gewohnheiten und Muster befinden, die Gier und Hass fördern, ist das ein Moment der Achtsamkeit, über den wir uns freuen sollten. In diesem Moment können wir uns dafür entscheiden, mit Nachsicht und Freundlichkeit in den heilsamen, friedlichen Zustand von Milde zurückzukehren.

Milde ist keine geistig-emotionale Qualität, die wir uns erst zulegen müssen. Sie ist in jedem von uns vorhanden. Sie braucht Pflege und Zuwendung, damit sie gedeihen kann. Wir nennen das „kultivieren“.

Was wir von Diamanten und Schwämmen lernen können

Es braucht Geduld, denn das Kultivieren von Milde als Ausdruck der vier Unermesslichen ist ein Prozess. Wie beim Entstehen eines Diamanten tief in der Dunkelheit der Erde durch Hitze und Druck, kann dieser transformative Prozess durch nichts beschleunigt werden.

Druck und Hitze gehören dazu. Und, um im Bild des Schwamms zu bleiben, das Ausdrücken (dessen, was sich selbst überlebt hat) geht oft mit seelischem Schmerz einher. Das ist normal. Es ist der Wachstumsschmerz der Wandlung.

Achtsamkeit und Schmerz

Den Schmerz und die Tränen ehren

In allen spirituellen Traditionen dieser Erde ist bekannt, dass innere Befreiung um so fundamentaler und nachhaltiger ist, je tiefgreifender der Transformationsprozess war.

Wenn auch du den Schmerz der beginnenden Befreiung spürst, dann ehre den Schmerz und deine Tränen.

Der Schmerz, recht verstanden, gibt dir Würde, Schönheit. Und er führt zur Weisheit.

Ich wünsche dir, dass du dich in dunklen Momenten beim Entwickeln deiner Achtsamkeitspraxis daran erinnern mögest.

Corona-Tagebuch | Achtsamkeit | Doris Kirch


Corona-Regeln, die uns retten … oder auch nicht

01.05.2020

Die folgende Auflistung der Corona-Regeln verbreitet sich gerade viral im Internet. Hat sie oder er vorzüglich auf den Punkt gebracht. Obwohl das wirklich traurig ist, musste ich gleichzeitig lachen über so viel Kuriosität.

Ich gebe diese Regeln hier leicht modifiziert wieder; wer die ursprüngliche Form verfasst hat, ist mir leider nicht bekannt.

Corona-Regeln

Die eindeutigen Corona-Regeln

  1. Grundsätzlich dürfen wir das Haus nicht verlassen, aber wenn wir möchten, dann dürfen wir das natürlich.
  2. Masken sind nutzlos, aber wir sollten sie unbedingt tragen, denn das kann Leben retten.
  3. Alle Geschäfte sind geschlossen, außer die, die geöffnet sind. Also die kleinen, die wichtigen, die etwas größeren und manche andere auch.
  4. Dieses Virus ist potenziell tödlich, aber dennoch nicht allzu beängstigend, außer dass es eventuell zu einer globalen Katastrophe führt, bei der sehr viele sterben. Oder es sterben weniger, dafür aber mehr durch die Folgen des Wirtschaftskollaps. Oder beides. Es stirbt auf jeden Fall jemand.
  5. Jeder muss zu Hause bleiben, aber es ist wichtig auch rauszugehen, besonders bei Sonnenschein. Aber besser ist, nicht rauszugehen, außer für Sport, aber eigentlich: Nein.
  6. Es gibt keinen Warenmangel im Supermarkt, aber es gibt Dinge, die fehlen und andere sind zurzeit nicht da.
  7. Das Virus hat keine Auswirkungen auf Kinder, außer auf diejenigen, auf die es sich bereits ausgewirkt hat und noch auswirken wird.
  8. Haustiere sind nicht betroffen, aber es gibt eine Katze, die im Februar in Belgien positiv getestet wurde, als sonst noch niemand getestet wurde, plus ein paar Tiger hier und da und selten Hunde, eigentlich keine Hunde, aber manchmal schon. Jegliche Oberflächen, außer dem Fell eines Haustieres, können die Krankheit übertragen.
  9. Wir werden viele Symptome haben, wenn wir krank sind, aber wir können auch ohne Symptome krank sein, Symptome haben, ohne krank zu sein oder ansteckend sein, ohne Symptome zu haben.
  10. Wir dürfen nicht in Altersheime gehen oder unsere Großeltern besuchen – um sie zu schützen. Aber wir müssen uns um die Alten kümmern und ihnen Lebensmittel und Medikamente mitbringen.
  11. Das Virus bleibt auf verschiedenen Oberflächen zwei Stunden lang aktiv. Nein vier, ich meine sechs! Habe ich Stunden gesagt? Vielleicht Tage. Es braucht auch eine feuchte Umgebung, um zu überleben. Aber nicht unbedingt.
  12. Das Virus verträgt keinen Alkohol, der die Symptome aber verschlimmern kann. Dasselbe gilt für Nikotin. Das Rauchen können wir ohnehin vergessen, denn drinnen schadet es unseren Mitmenschen und rausgehen dürfen wir nur zum Sport.
  13. Das Virus bleibt eigentlich nicht in der Luft, aber manchmal schon. Vor allem in geschlossenen Räumen. Geh also viel an die frische Luft, falls du das darfst.
  14. Es handelt sich grundsätzlich nicht um Schmierinfektionen aber eine Schmierinfektion ist auch möglich.
  15. Wir sollten so lange eingesperrt bleiben, bis das Virus verschwindet. Aber es wird nur verschwinden, wenn wir eine kollektive Immunität erreichen, also wenn es zirkuliert. Dafür dürfen wir nicht zu viel eingesperrt sein, deswegen bleiben wir besser die meiste Zeit zu Hause.
  16. Solltest du erkrankt gewesen sein, bist du immun, kannst aber möglicherweise später wieder erkranken: Zwischen den Infektionen bist du aber auf jeden Fall immun und gesund, es sei denn du bist ohnehin krank.
  17. Benutze dein Gehirn und wenn nicht, halte einen enormen Vorrat an Mehl, Hefe, Nudeln und Toilettenpapier bereit – das wird dir helfen.

So oder anders

In deinem Bundesland kann es abweichende Regeln oder zusätzliche oder gänzlich andere Regeln geben. Und in deiner Stadt natürlich auch! Manchmal auch nur zeitversetzt dieselben Regeln, nachdem diese abgeschwächt oder verschärft wurden oder die Kanzlerin eine Pressekonferenz von Sebastian Kurz gesehen hat.

Mach dich schlau

Verfolge deshalb

  • die lokale Presse deiner drei Nachbarstädte
  • die Pressekonferenzen deines Ministerpräsidenten
  • die Pressekonferenzen des Kanzleramtes
  • die Pressekonferenzen des Innenministeriums
  • die Pressekonferenzen des Gesundheitsministeriums
  • und folge dem Robert-Koch-Institut und drei Virologen deiner Wahl auf Twitter, TikTok und Tinder.

Wenn du alle diese Regeln befolgst, bist du gerettet. Oder auch nicht. Oder du bist gerettet aber durchgedreht.

Und sonst so?

Oma und Opa waren gestern voll happy wegen des Mittagessens, das ich für uns gekocht hatte. Opa hat gleich drei Portionen vom Rhabarberpudding verputzt und war begeistert von der veganen Schlagsahne aus der Sprühflasche, die es dazu gab. Er sagte, sie schmecke ihm besser als normale Schlagsahne. Und wenn ein altgedienter ostfriesischer Landwirt so etwas sagt, dann ist das schon bemerkenswert.

Wir haben gestern die eindeutig mehrdeutigen Corona-Regeln für uns modifiziert. Die ganze Zeit über war ich im Zwiespalt, ob wir die Alten besuchen sollen oder nicht. Wer soll ihnen denn die Fingernägel und Haare schneiden, die Augentropfen verabreichen, ihnen beim Anziehen helfen, Rezepte vom Arzt holen, Betten beziehen, Wäsche waschen, für sie kochen und das Haus sauberhalten?

Schluss mit Lustig

Wir haben uns lange an die strengen Quarantänevorschriften gehalten. Da hatten beide Seiten Konsens. Aber jetzt geht das einfach nicht mehr. Man kann nicht verbieten, alte Menschen zu besuchen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie sie morgens in ihre Kompressionsstrümpfe kommen sollen. Deshalb haben wir gestern beschlossen, nach all diesen Wochen wieder zu einer modifizierten Normalität zurückzukehren.

Sind die Leute vom Pflegedienst weniger „gefährlich“ als wir Familienmitglieder, die häusliche Quarantäne einhalten? Ganz im Gegenteil: Es sind gute Engel, die da von Haus zu Haus fahren – aber sollten sie sich infiziert haben, dann tragen sie das Virus von einem zum nächsten.

Einen umsichtigen individuellen Weg finden

Die Situation hat mich gestern Abend noch beschäftigt. Natürlich möchte nichts nichts falsch machen. Ich finde es schwer, abzuwägen, zwischen dem, was derzeit vorgeschrieben ist und dem Mitgefühl für andere, die dringend Unterstützung brauchen. Ein Zwiespalt, der in den obigen Corona-Regeln so treffend zum Ausdruck gebracht wird.

Ich glaube, dass inzwischen jeder seine eigenen Entscheidungen in dieser Hinsicht treffen muss. Als ich gestern nochmal in den Newsticker von ntv hineinschaute, bestätigte sich mein Eindruck, dass der Unmut der Menschen wächst.

Auch in meinem engeren und weiteren Umfeld kriege ich mit, dass Menschen beginnen, unter großtmöglicher Berücksichtigung der (sich ständig ändernden) Vorschriften einen individuellen Weg zu finden. Vielleicht brauchen wir auf diese Weise keine 200 Jahre mehr bis zur „Herden-Immunität“.

Lucca und Dirk sind am Wochenende bei den Pferden und so genieße ich mal wieder mein All-eins-sein im Schweigen :o)

Corona-Tagebuch | Achtsamkeit | Doris Kirch


Trouble in Paradise

30.04.2020

Keine Bange, in unserer kleinen WG ist alles okay. Glücklicherweise sind wir alle keine Vielredner. Jeder geht seinen Dingen nach und zwischendurch besprechen wir kurz die Dinge des Alltags. Wenn es passt, gibt es die eine oder andere schöne muntere Gesprächsrunde beim Kochen oder beim abendlichen Zusammensitzen mit einem guten Tropfen.

Dass wir in unsere Jobs beziehungsweise ins Studium eingebunden sind und wir unsere Tage klar und sinnvoll strukturiert haben, macht die Sache leichter. Ich glaube, jeder von uns ist sich der Corona-Situation bewusst und  bemüht sich, gerade deshalb friedlich mit den anderen umzugehen – in dem Bewusstsein, dass im Moment jeder auf seine Weise unter der Situation leidet.

Was die Corona-Krise nach oben spült

Bedenklich finde ich hingegen, wie massiv die Stimmung in der Öffentlichkeit gerade angeheizt wird und welche Folgen das hat. Gestern habe ich mir wieder mal einen kurzen Blick ins Internet und in Facebook gegönnt – und ich war wirklich sprachlos.

Wenn ich nicht die wäre, die ich bin, hätte mir diese kurze Exkursion in das öffentliche Treiben wirklich den Tag vermiesen können: Die Stunde der Verschwörungstheoretiker, „Hater“, chronisch Unzufriedenen und Ewig-zu-kurz-Gekommenen ist da.

Auf die Corona-Situation scheinen nun alle Ängste und Zwänge projiziert zu werden, die bislang mühsam unterdrückt wurden.

Achtsamkeit und Wut

Polarisierung nimmt zu

Mein Eindruck ist, dass sich der Trend zur Polarisierung verstärkt und die Debatten aggressiver werden. Bei einer Bekannten, die als Trainerin im psychologischen Bereich arbeitet, bemerke ich seit einiger Zeit zunehmend Facebook-Posts, die bei mir ein ungutes Gefühl hinterlassen.

Offenbar ist ihr selbst nicht ganz wohl dabei, denn sie leitetet solche Beiträge mit den Worten ein, dass sie so etwas ja normalerweise nicht posten würde, weil sie nicht polarisieren möchte … aaaber … (dann tut sie es doch).

Gestern zum Beispiel teilte sie das Youtube -Video eines Motivationstrainers, der unter anderem dafür bekannt ist, mehrere Firmen in die Pleite geführt zu haben und in diesem Zusammenhang zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden zu sein.

Die Stunde der Populisten

Die Corona-Krise hat auch ihm die Möglichkeit gegeben, endlich mal wieder von sich reden zu machen. Bereits die reißerische Überschrift ICH SCHMEISS HIN! zeigt das enorme Bedürfnis nach Aufmerksamkeit.

In einem 25-minütigen aggressiven, maschinengewehrartigen Monolog klärt er die Menschheit über die Corona-Krise auf. (Natürlich „schmeißt er nicht hin“, wie er am Ende bekundet und es gibt auch einen Werbeblock, den er wie zufällig in das ausführliche Bashing eines Kollegen einbettet).

Aber jetzt kommt das Erstaunliche: Bislang hat dieses Video rd. 200.000 Views und rd. 20.000 Likes! In den Kommentaren wird er angehimmmelt wie Gott: Endlich einer, der verstanden hat, worum es bei Corona wirklich geht und was es damit auf sich hat.

Corona-Krise als Chance zur Selbstdarstellung

Mit ein paar vor der Kamera herumwedelnden Statistikausdrucken aus dem Internet schwingt er sich zum Aufklärer der Nation empor.

Was für eine Chance für Selbstdarstellung und Eigenwerbung. Überhaupt scheinen ja derzeit Hinz und Kunz Experten für Corona-Statistik, Corona-Therapie und Corona-Wissenschaft zu sein. Und die Fachleute!? Alles Trottel und Null-Checker, die keine Ahnung haben und uns nur an der Nase herumführen.

Teilung in Freund und Feind

Seit dem Geschichtsunterricht war mir das Geschehen in der Nazizeit ein Rätsel. Wie konnte es geschehen, so viele Menschen zu fanatisieren und blind gegen das Leid anderer zu machen? Mit Blick auf das, was hier während der Corona-Epidemie geschieht, beginne ich langsam, die dahinterstehende Psychodynamik zu verstehen.

Eigene Ängste werden auf andere übertragen, um den Innendruck zu senken. Dazu wird erbarmungslos in Freund und Feind unterteilt. Wer gestern noch Freund war, wird heute zum Widersacher erklärt, wenn er die eigene Paranoia nicht teilt.

Rückfälle in infantile Verhaltensweisen

Besagte Bekannte zum Beispiel hatte offenbar auch kritische Stimmen zu ihrem Post zu verzeichnen. Sie kommentierte das mit den Worten, dass sie endlich sehen würde, mit wem sie befreundet sein möchte und mit wem nicht.

Wer nicht meiner Meinung ist, ist nicht mehr mein Freund!? Kenn‘ ich auch – aus meiner Sandkastenzeit im Kindesalter.

Allgemeines Unbehagen

Auch mir ist menschliche Freiheit ein hohes Gut. Und auch ich habe ein Bedürfnis nach Verstehbarkeit. Die sich ständig widersprechenden Aussagen von Politikern und Experten verunsichern auch mich. Auch ich habe Zweifel an den Zahlen rund um die Corona-Epidemie und vor allem an deren Aufbereitung.

Und auch ich frage mich, ob es wirklich angemessen war, zur Vermeidung des einen Leides soviel anderes Leid durch die Vernichtung von Arbeitsplätzen und Existenzen in Kauf zu nehmen. Ich habe Zweifel und mir ist nicht wohl bei dem Ganzen.

Aggressive Polemik anstelle konstruktiver Kritik

Nun kommt mein „aber“: Mein Unwohlsein hinauszuschreien und meine Angst und Verunsicherung zu kompensieren, indem ich sie auf andere übertrage, kann unmöglich der richtige Weg sein. Es geht mir dabei nicht um die Kritik als solches, sondern um die Art und Weise wie sie vielerorten zum Ausdruck gebracht wird.

Aggressivität, Polemik und das Verbreiten von „Bad News“ polarisiert und vergiftet die Stimmung in der Gesellschaft. Wie ich mitbekommen habe, werden heftige Kontroversen bisweilen sogar in die Familien hineingetragen und stiften dort Unfrieden. Das ist nicht gut.

Zurück zu Achtsamkeit und Mitgefühl

Die Frage ist: Was können wir tun?

In einem vorigen Beitrag habe ich bereits Einstein zitiert; die Sache mit dem Universum und der menschlichen Dummheit …

Wir können es nicht ändern, dass es so viele Menschen gibt, die andere verunsichern und Ängste und Aggressionen in ihnen wecken.

Womit wir unseren Geist füttern

Aber wir können bei uns selbst anfangen, etwas zu verändern. Was mich anbelangt, so enthalte ich mich zum Beispiel der Teilnahme an  Kontroversen. Und ich füttere meinen Geist nicht fortlaufend mit unbewiesenen Sachverhalten – weder von der einen, noch von der anderen Fraktion.

Aus dem Drama aussteigen

Als ich kürzlich mit meiner Freundin Brigitte spazieren war, kamen wir ins Gespräch mit zwei anderen Spaziergängerinnen. Ziemlich bald kam das Thema auf die Corona-Situation, unsere Gesprächspartnerinnen redeten sich „ins Feuer“ und verfielen in abwertende Plattitüden über die Regierung und so weiter. Na ja, das Übliche eben.

Mittendrin sagte Brigitte (ebenfalls Achtsamkeitslehrerin) kurz und schlicht zu mir: „Ich denke, wir sollten jetzt weitergehen.“

Da sie sich nur wenig an dem Gespräch beteiligt hatte, erfasste sie schneller als ich die sich verändernde Dynamik und beendete die Sache kurzerhand. Wunderbar. Ich war ihr sehr dankbar dafür, weil mir in diesem Moment bewusst wurde, dass ich begonnen hatte, mich in diese negative Kommunikation hineinziehen zu lassen. Ich atmete tief durch und es ging mir sofort viel besser.

Achtsamkeit hilft, Verblendungen zu vermeiden und klar zu sehen

Auch wenn wir uns einmal dazu hinreißen lassen, Teil solch einer Diskussion zu werden, können wir Achtsamkeit dazu nutzen, das frühzeitig zu bemerken und aus dem Drama auszusteigen. Besser ist natürlich, sich gar nicht erst hineinziehen zu lassen ;o)

Wir können solche Situationen als Achtsamkeitsübung nutzen, um uns nicht in unheilsame Dinge zu verstricken. Auf diese Weise schärfen wir Klarheit, Urteilsvermögen, Weisheit und Selbstmitgefühl.

Im Fall dieser ganzen Corona-Diskussionen können wir dann zum Beispiel klar sehen, wie absurd es ist, sich selbst zum „Corona-Experten“ zu machen. Wir wissen dann, dass wir gar nicht in der Lage sind, uns ein Urteil zu bilden, weil wir nicht über genug gesicherte Informationen für Beurteilungen verfügen.

Und wir sind uns unseres Handelns bewusst und haben Klarheit darüber, wohin es führt.

Achtsamkeit

Wohin führt das?

Wohin führt ein Video, wie das dieses Motivationstrainers? Ich wusste hinterher nicht mehr als vorher. Diese 25-minütige Gehirnwäsche in sprecherischer Höchstgeschwindigkeit ohne Punkt und Komma hat in mir ein Gefühl von Frustration und körperlicher Kraftlosigkeit zurückgelassen.

Ändert dieses Video irgendetwas? Hat es wirklich Klarheit, Sicherheit und Orientierung geschaffen? Hilft das irgendjemandem, sich besser zu fühlen? Oder besser mit seinem Familienstress und seinen finanziellen Nöten umgehen zu können? Wohl kaum. Dem Mann hilft es, denn seine Groupies sind schier außer sich vor Begeisterung und applaudieren ihrem Helden in zahllosen Kommentaren.

Aber wer sich im ersten Moment verstanden fühlt und sich freut, weil endlich mal jemand seinem Frust ein Gesicht gegeben und mit der Hand auf den Tisch gehauen hat, sollte einmal tiefer fühlen und einen Moment später noch einmal nachfühlen.

Vielleicht stellt er dann fest, dass er sich plötzlich im schalen Gefühl einer gähnenden inneren Leere wiederfindet.

Des Kaisers neue Kleider …

Achtsamkeit als Fels in der Brandung der Corona-Krise

Wer Achtsamkeit praktiziert, lässt sich nicht geistig instrumentalisieren – jedenfalls nicht so leicht. Nehmen wir die Corona-Situation als Übungsfeld für unsere Achtsamkeitspraxis. Da gibt’s täglich jede Menge Übungsmaterial ;o)

Wir haben die Freiheit

  • allen Stimmen gegenüber offen zu sein.
  • nicht alles zu glauben und nicht allem zu folgen, was wir hören und lesen.
  • abzuwarten, wie Dinge sich entwickeln.
  • uns von Dingen fernzuhalten, die sich (langfristig) als unheilsam für uns erweisen.
  • unseren Fokus auf das Heilsame, Nährende, Gute, Schöne und Wahre zu richten, das derzeit auch da ist.

Teile mit anderen, worin du derzeit deine innere Freiheit siehst, wenn du mit den Augen der Achtsamkeit auf deine Situation schaust →

Und sonst so?

Mein Bedarf an Stimmen aus der Öffentlichkeit ist für heute gedeckt.

Nachher werde ich kochen und zu meinen angeliebten Schwierereltern fahren, um ihnen ein leckeres Mittagessen mit Rhabarberpudding zum Nachtisch und einen Möhrenkuchen mit Zitronenfrosting zu bringen.

Sie sind neunzig Jahre alt und können sich nur noch eingeschränkt versorgen. Humorvoll haben sie gesagt, dass sie die Wahl haben: Sie können entweder am Corona-Virus sterben – oder an Hunger. Sie wollten gerne das Mittagessen haben :o)

Die Maus – Mein Krafttier des Tages

Während ich dies schreibe, sehe ich auf der Veranda ein kleines Mäuschen hin und her huschen. Auf mich wirkt das wie ein schamanischer Fingerzeig.

Die Maus ist eine kleine Lebenskünstlerin mit Familiensinn. Sie gilt als ein soziales Wesen, das in einer festen Gemeinschaft lebt und Nahrung sammelt, um ihre Familie zu versorgen. Na, wenn das nicht passend ist.

Corona-Tagebuch | Achtsamkeit | Doris Kirch


Stolpersteine auf dem Weg der Achtsamkeit

29.04.2020

Heute erhielt ich eine E-Mail von einer Teilnehmerin unserer Achtsamkeitstrainer-Ausbildung, in der sie um Rat und Unterstützung bittet. Die Probleme, die sie beschreibt, tauchen bei vielen Übenden zu Beginn ihrer Achtsamkeitspraxis auf – und manchmal auch bei denen, die schon länger praktizieren.

Ohne ein rechtes Verständnis kann man an dieser Stelle steckenbleiben oder sich in eine Richtung entwickeln, die letztlich mit der in den buddhistischen Lehren wurzelnden Achtsamkeitspraxis nicht mehr viel zu tun hat.

Weil ich glaube, dass unser Schriftverkehr auch für andere nützlich sein kann, bat ich Sabine (Name geändert) um Erlaubnis, ihn hier in meinem Achtsamkeits-Corona-Tagebuch zu veröffentlichen. Sie hat zugestimmt.

Mögen unser Austausch für viele Freude der Achtsamkeit hilfreich sein.

Liebe Doris,

nach dem letzten Zoom-Meeting unserer Ausbildungsgruppe klang etwas, was du gesagt hast, bei mir nach: „Achtsamkeit geht immer mit Mitgefühl einher. Es gibt keine Achtsamkeit ohne Mitgefühl“.

Das hat einen wunden Punkt bei mir getroffen und einen Prozess in Gang gebracht, der schon die ganze Zeit über gesehen werden wollte. Ich habe besonders bei den Mindful Moves Erwartungen an mich, die ich nicht erfüllen kann. Bei den Übungen bin ich so sehr in meinem Kopf, bedacht darauf alles „richtig“ zu machen, das „Richtige“ zu empfinden usw.

Aus den weiteren Dingen, die du gesagt hast zum Thema Achtsamkeit, wurde mir klar, wir sehr ich kämpfe, mit mir hadere, getrieben bin, die Ausbildung in Frage stelle, weil ich denke, dass es von mir anmaßend wäre nach 1 ½ jähriger Ausbildung andere Menschen in Achtsamkeit zu unterrichten. Die Liste ist schier unendlich.

Voller Entsetzen stelle ich fest, dass ich überhaupt kein Mitgefühl für mich empfinde. Weil ich gar nicht weiß, wie das geht. Ich bin so unfassbar traurig darüber und es zerreißt mir schier das Herz…. Ich weiß nicht, was mich mehr belastet: die Art, wie ich mit mir umgehe oder die Tatsache, dass ich nicht weiß, wie ich für mich Mitgefühl entwickeln soll.

Als ich am nächsten Tag Mindful Moves geübt habe, war es das erste Mal anders. Ein anderes Spüren des Körpers, Feinheiten, Anspannung und Entspannung. Meine Grenzen, die ich sonst bei einzelnen Übungen überschritten habe und merke: ich muß hier gar nichts erreichen! Nichts beweisen. Mir mehr Zeit nehmen und nachspüren, statt möglichst viele Übungen korrekt durchzuführen.

Doris, ich hänge gerade wirklich in der Luft. (…) Mir werden so unendlich viele Dinge bewußt. Das sind keine dramatischen Erlebnisse sondern es ist das Gewahrwerden des gelernten und antrainierten Umgansg mit mir selbst (so wie ich durch Familie und Gesellschaft geprägt worden bin – von Kindheit bis jetzt).

Ich wollte mir erst ein Buch zum Thema Selbstmitgefühl bestellen. Das wäre dann aber eins von 4 weiteren Büchern, das ich versuche, parallel zu lesen. Ich habe das Gefühl, dass das meiner Situation nicht dienlich ist.

Ich erhoffe mir, dass du mir etwas an die Hand geben kannst. Einen Weg aufzeigen, wie ich Selbstmitgefühl erlernen kann.

Ich sende dir liebe Grüße,
Sabine

Liebe Sabine,

vielen Dank zunächst einmal für deine Zeilen und für das Vertrauen, deine Gedanken und Gefühle mit mir zu teilen.

Ich bin sehr beeindruckt, wie präzise und tiefgründig du deine Problematik untersucht hast. Das erlaubt mir ein klares Bild deiner derzeitigen Situation und erleichtert es mir, dazu etwas hoffentlich Hilfreiches zu sagen.

Die Problematik, die ich hier sehe, ist nicht ungewöhnlich. Sie taucht recht häufig bei Absolventen mit einem starken Intellekt, einer großen Liebe zur Achtsamkeitspraxis und ausgeprägten Ansprüchen an sich selbst auf.

Wäre das Problem ein körperliches und wäre ich ein Arzt, würde ich die Anamnese für abgeschlossen halten und meine Diagnose würde lauten: Zu viel Denken und eine zu schwache Meditation.

Die Therapie: Mehr im Körper anwesend sein.

Und wie ich deinen Zeilen entnehmen kann, hast du im Grunde die Diagnose bereits selbst gestellt und du hast auch erkannt, wo die Heilung liegt.

Die meisten Probleme unseres Lebens entstehen durch zuviel Denken.

Das Denken bezieht sich vornehmlich auf die Vergangenheit (auf das, was uns alles widerfahren ist) oder auf eine imagninäre Zukunft. Oft sind diese Voraus- und Rückschauen von Sorgen und Ängsten begleitet und sie tragen uns aus dem gegenwärtigen Moment fort – dem einzigen Moment, in dem wir wirklich leben.

Selbst wenn sich die Gedanken auf etwas beziehen, das im gegenwärtigen Moment stattfindet, überlagern sie oft die unmittelbare, im Körper wahrnehmbare, Erfahrung. Der Moment wird erdacht, statt gefühlt. Wir befinden uns nicht in der Erfahrung selbst, sondern in den Gedanken über die Erfahrung.

Wenn ich jemanden in einem emotional verletzten Moment frage, wie er sich fühlt und er antwortet: „Ich fühle mich, als hätte mich ein Pferd getreten“, dann ist das eine Interpretation seiner Gefühle.

Eine echte Beschreibung der Gefühle könnte zum Beispiel so lauten: „Ich fühle mich gerade völlig schwach, kann kaum aufrecht sitzen. Ich habe einen Kloß im Hals, merke, dass die Augen sich mit Tränen füllen und spüre Hitze in den Wangen. Der Atem ist kurz und stockend; das Einatmen fällt mir schwerer als das Ausatmen und die Einatemzüge sind kürzer als die Ausatemzüge. Da ist ein Schmerz im Herzen und ein starker Druck im Kopf.“

Achtsamkeit Zitat Doris Kirch

Oft stehen innere Muster dahinter, die irgendwann einmal in unserem Leben hilfreich waren, es jetzt aber möglicherweise nicht mehr sind. Es ist wichtig, diese Muster zu erkennen, denn im Erkennen lösen sie sich allmählich auf.

Erkennen heißt jedoch nicht, darüber nachzugrübeln. Die Erkenntnis von der ich spreche, taucht oft jenseits von Denken auf. Archimedes widerfuhr seine berühmte „Heureka“-Erfahrung beim entspannten Marinieren in der Badewanne.

Ob du zum Beispiel am Ende deiner Ausbildung fähig sein wirst, andere in Achtsamkeit zu unterrichten, wirst du sehen, wenn es so weit ist. Diese Frage lässt sich jetzt unmöglich beantworten. Sie ist eine der Art von Fragen, die in Depressionen führen können: Man kaut ununterbrochen auf Fragen herum, auf die es keine Antwort gibt! Im Moment nicht oder überhaupt nicht.

Am Ende der Ausbildung wirst du sehen, wo du stehst. Wenn dich dann immer noch Unzulänglichkeitsgefühle plagen, kannst du deine Praxis und deine Fähigkeiten durch unsere Fortbildungen in Selbstmitgefühl und dem Umgang mit emotionalem Stress und Depression vertiefen.

Wenn dir das nicht reichen sollte, kannst du noch einmal bei Eins beginnen und die zweieinhalbjährige TARA-Ausbildung absolvieren. Dass Letzteres notwendig sein sollte, glaube ich jedoch nicht ;o)

In der Achtsamkeitspraxis, der Praxis von Einsicht und Weisheit, geht es darum, zu bemerken, wenn wir uns im Grübeln verfangen haben. Sobald wir das erkennen, haben wir die Möglichkeit, wieder in den gegenwärtigen Moment zurückzukommen.

Zum Beispiel, indem wir den nächsten Atemzug sorgfältig wahrnehmen und seine Qualität ergründen. Und den darauffolgenden … und den nächsten …

Atemmeditation Achtsamkeit

Deine Zeilen zum Mitgefühl und Selbstmitgefühl haben mich tief berührt – und ich habe beim Lesen zustimmend genickt.

Zum einen sind wir Deutsche. Deutschsein war noch nie ein Synonym für menschliche Wärme und Mitgefühl. Die Tanz-Therapeutin Gabrielle Roth hat in ihrem Tanz der Fünf Rhythmen den Rhythus Staccato mit deutsch assoziiert.

Staccato ist getanzte Geometrie. Im Rhythmus dieses Tanzes werden die inneren Qualitäten Abgrenzung, Klarheit, Direktheit, Zielstrebigkeit, Aktivität, Disziplin und Präzision ausgedrückt. Ich finde, das sagt viel über uns aus. Mitgefühl gehörte nie zum Repertoire von „deutsch sein“.

Verstärkt wird dieser bedauerliche Sachverhalt durch einen von Profitgier, Egofixiertheit und Machtstreben besessenen Zeitgeist, in dem Mitgefühl nicht als erstrebenswerte Tugend gilt.

Wenn wir in unserer Kindheit mit dem Thema Mitgefühl in Kontakt kamen, dann oft über ein christlich verzerrtes Bild einer Form von Nächstenliebe, die dem wahren Verständnis von mitfühlender Herzenswärme, wie es in der buddhistischen Lehre durch das Metta-Konzept vermittelt wird, eher ab- als zuträglich ist.

Wie sollte es uns also wundern, wenn wir gar keine Vorstellung, keine innere Repräsentanz, von „Mitgefühl“ haben. Woher denn auch?

Also gräme dich nicht, sondern freue dich auf die Erfahrung, Mitgefühl beziehungsweise Selbstmitgefühl als menschliche Qualität in dir zu entdecken. Zu dieser Erforschung gehört auch die wertfreie Wahrnehmung der Abwesenheit von Mitgefühl. Sieh dich als Erforscherin eines unbekannten Landes.

Spüre die Aufbruchstimmung, die Abenteuerlust und auch die leicht vibrierende Ängstlichkeit vor dem Unbekannten. Es ist wichtig, neugierig zu bleiben, offen und wertfrei. Mit großen Augen, staunend.

Mit „Erforschen“ meine ich nicht: Lies ein Buch darüber. Du hast es selbst erkannt: Den Kopf nicht weiter füttern. Ich rede vom  Ergründen der Erfahrung des gegenwärtigen Moments im Körper. Auf diese Weise lernst du mehr als aus jedem Buch der Welt.

Achte auf die Momente, wenn der Geist versucht, die Energie aus dem Körper (und damit aus dem gegenwärtigen Moment) abzuziehen und sie im Kopf zu stauen.

Ein weiteres Heilmittel für deine Situation sind die Haltungen der Achtsamkeit. Lasse sie dein Maß und Meister sein. Sie sind Teil des Fundamentes unserer Praxis und sie sind ein wahres Heilmittel, um uns von vielen schlechten geistigen Angewohnheiten zu befreien.

Arbeite mit den Sätzen, die der Kopf dir erzählt und überprüfe sie immer wieder anhand der verschiedenen Haltungen: „Verkörpert dieser Gedanke den Anfängergeist? Bin ich im Streben verfangen, indem ich die Dinge anders haben will, als sie gerade sind? Bin ich beim Erfühlen des derzeitigen inneren Schmerzes in der Offenheit der Akzeptanz? Kann ich das, was ich gerade erlebe, wertfrei annehmen, wie es ist?“

Indem du zum Beispiel immer wieder bemerkst, wenn du dich im Urteilen über dich selbst und im Vergleichen mit anderen verstrickt hast, kannst du aussteigen aus dem inneren Drama. Das ist ein erster und wichtiger Schritt zum Entwickeln von Selbstmitgefühl: Zu sehen, wo wir uns durch die Art, wie wir über uns denken, selbst weh tun.

Warum wir uns selbst sabotieren, ist nebensächlich. Wichtig ist, das Muster der Selbst-Sabotage zu erkennen, denn das Erkennen entzieht ihm die Nahrung.

Mit der inneren Erkenntnis geht bisweilen ein mentales Erkennen einher. Aber nicht dadurch, dass wir wie besessen auf „Warum-Fragen“ herumkauen und den Denkapparat befeuern, sondern durch den Prozess des Loslassens und Seinlassens.

Wie bei Archimedes.

Der Weg der Achtsamkeit ist ein Weg der kleinen Schritte. Natürlich würden wir gerne das „große Ganze“ auf einmal verstehen. Am besten durch einen einzigen Biss in den Apfel der Erkenntnis (der für die meisten im Lesen eines Buches besteht). Adam und Eva fielen aus dem Paradies, als sie das taten.

Baden, ohne dabei nass zu werden. Was für ein reizvoller Gedanke. Und was für ein unrealistischer dazu ;o)

Das Mysterium des Seins mit all seiner Weisheit erschließt sich in dem Atemzug, den du gerade tust. JETZT – in diesem Moment. Und das ist nicht metaphorisch gemeint. Der Buddha hat das erfahren. Ich habe es erfahren. Unzählige Menschen haben es erfahren.

Der Weg ist da. Er liegt vor deinen Füßen. Alles Wissen und alle Weisheit ist bereits in dir vorhanden.

Auch die große Kraft des Mitgefühls. Wir sind wieder Betrunkene, der auf der Straße steht, an dem, einen Park umgebenden Zaungitter rüttelt und brüllt: „Lasst mich hier raus!“

Um den Weg sehen zu können, ist es wichtig, aus dem Modus des getriebenen Tuns herauszukommen und sich dem Modus des Seins anzuvertrauen. Du kannst in jedem Moment deines Tages und bei jedem Gedanken und Atemzug prüfen, in welchem Modus du dich gerade befindest. Wir werden das in der Ausbildung fortlaufend vertiefen.

Es braucht … Geduld – eine Geduld wie Rainer Maria Rilke sie beschreibt:

Über die Geduld

Man muss den Dingen die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann, alles ist austragen – und dann gebären…
Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht, ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte.
Er kommt doch! Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos, still und weit…
Man muss Geduld haben mit dem Ungelösten im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben, und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.

Rainer Maria Rilke

Lass meine Worte zunächst einmal sacken und wir werden in den nächsten Tagen ein persönliches Gespräch führen. Vielleicht hast du in deiner Praxis dann bereits schon Veränderungen bemerkt.

Zum Schluss möchte ich noch eine Erfahrung meiner langjährigen Tätigkeit als Achtsamkeitslehrerin mit dir teilen:

Die Absolventen, die so verzweifelt mit ihrer Achtsamkeitspraxis ringen, wie du es tust, und sie dadurch tief durchdringen, erweisen sich später als besonders gute Achtsamkeitstrainer.

Herzlichst,
deine Doris

Corona-Tagebuch | Achtsamkeit | Doris Kirch


Dünnhäutig

27.04.2020

Die Tage ziehen ins Land und manchmal habe ich das Gefühl, dass diese Corona-Tage der Isolation mich dünnhäutiger machen. Dazu muss man wissen, dass ich jemand bin, der sich selbst ein lieber Gesellschafter ist. Ich mag Abgeschiedenheit, Alleinsein und Schweigen.

Daran hat sich in den letzten Wochen auch nichts geändert, und dennoch spüre ich diese zunehmende Dünnhäutigkeit, deren Ursprung mir noch nicht klar ist.

Sie hat mich gestern zu folgenden Zeilen veranlasst:

Dicht am Leben

Die Krise schleift ab;
Schichten von Selbstschutz,
Selbstsucht und Verlangen.
Die Haut wird dünner,
die Grenzen durchlässiger.
Dann sitze ich nur so da,
aufrecht, lauschend,
atemlos gedankenfrei,
fühlend, was “jetzt” ist.
Und spüre zur gleichen Zeit … alles.
Dicht am Leben.
Offene Augen, Blick geradeaus
und inmitten aller Dinge fühle ich … Frieden.
Offene Augen, die sich mit Tränen füllen,
die über die Wangen laufen.
Tränen des Einverstandenseins,
mit meinem Schmerz,
mit dem der anderen.
So dicht am Leben,
tut weh, ist schön.
Süßer Schmerz.
Und alles zugleich.
So dicht.
Schmerz und Freude.
Angst und Zuversicht.
Schwäche und Kraft.
Einsamkeit und Verbundenheit
Mangel und Fülle.
Enge und Weite.
Wut und Gelassenheit.
Stillstand und Bewegung.
Aufruhr und Ruhe.
Alles zugleich.
So dicht am Leben.
So dicht am Leben.

Doris Kirch

Fühlst du dich auch dünnhäutiger?

Heute ist einer der Tage, in denen es mir in unserer kleinen WG etwas schwer fällt, mich abzugrenzen. Meine Mitbewohnerin ist nicht gut drauf und ich merke, wie sehr sich das auf mich auswirkt.

Es tut gut, vertraut mit meinem Geist zu sein, weil ich Trübungen dadurch rechtzeitig bemerke. So kann ich mich besser um mich kümmern und mich in die Ausgewogenheit zurückbringen.

Achtsame Entspannung in der Corona-Isolation

Mundschutz-Klaustrophobie

Vorhin war ich einkaufen. Das erste Mal mit Mundschutz. Es war interessant, die Veränderungen zu beobachten – in mir und in anderen. Obwohl ich mich der Notwendigkeit füge, weil ich sie gewissermaßen auch einsehe, fühlte ich mich beeinträchtigt.

Sauerstoff ist in für mich in Anbetracht meiner chronischen Erkrankung ein wichtiges Thema. Durch die Maske kaum noch Luft zu kriegen, brachte plötzlich mitten im Supermarkt klaustrophobische Anflüge hervor. Ich blieb einige Momente lang stehen, bis mein Atem sich wieder beruhigt hatte.

Die nächsten Einkäufe werde ich als Achtsamkeitsübung nutzen, um meinen Geist zu trainieren, seinen Widerstand gegen den Mundschutz abzubauen und in eine Haltung der Akzeptanz zu kommen. Vielleicht gibt es einen Mund-Nase-Schutz, der etwas luftdurchlässiger ist. Ich werde mit einigen Masken experimentieren.

Kohorten von Gedanken

Die Situation zieht unangenehme Erscheinungen nach sich. Zum Beispiel sah ich im Supermarkt zwischen allen Maskierten eine Frau ohne Maske. Auf der Stelle war der Denkapparat alarmiert: „Wieso trägt diese Frau keinen Mundschutz?“

Ganze Kohorten von weiteren Gedanken standen schon in der Pole-Position, als ich dem Treiben Einhalt gebot und meinen Geist auf den einen Gedanken zentrierte, der alles im Entstehen befindliche Unnötige, Unheilsame und Kontraproduktive auf der Stelle beendete: „Es wird Gründe dafür geben.“ Punkt.

Wo „früher“ die Wasserflasche stand …

Reduziertes menschliches Miteinander

Nach meinem Empfinden beeinflusst dieser Mundschutz auch die Beziehungen der Menschen untereinander. Ich bemerkte das im Supermarkt bei mir und ich glaube, das auch bei anderen bemerkt zu haben.

Als menschliche Wesen lesen wir in den Gesichtern der anderen. Auch wenn jemand nichts sagt, kommuniziert er umfangreich – mit seinen Gesten, seiner Mimik und seinen Mikroexpressionen. 80 bis 90 Prozent unserer Kommunikation sind nonverbal. Wenn ein Gesicht vermummt ist, fehlt ein wesentlicher Teil davon.

In der Corona-Krise ist der persönliche Austausch auf das Nötigste begrenzt und nun wird die nonverbale Kommunikation ebenfalls beschnitten. Das macht die ganze Corona-Situation nicht einfacher, und der psychische Aspekt, den diese „Vermummung“ nach sich zieht, sollte nicht unterschätzt werden.

Durch den Mundschutz werden Fremde wirklich fremd.

Mundschutz, der vor menschlicher Nähe schützt

Mir jedenfalls fehlt es, in den Gesichtern meiner Mitmenschen zu lesen. Fremde mit Mundschutz sind mir auf einmal wirklich fremd. Im Supermarkt bemerkte ich, dass sich die Menschen auch kaum noch anschauen. Als könnten Blicke Viren übertragen. Auch die Körperhaltungen scheinen mir etwas eingesunkener als sonst.

Dass die Geschäfte nun bald alle wieder öffnen können, freut mich für die Inhaber. Für mich persönlich verbessert das meine Situation nicht, weil ich nicht viel konsumiere. Bis auf Lebensmittel habe ich eigentlich alles, was ich brauche.

Ich möchte wieder mit unseren Gruppen arbeiten.

Wenn es fließt

Regen trommelt auf das Dach. Endlich. Gott sei Dank. Die Natur lechzt nach Wasser. Der Regen strömt und in seinem Fließen liegt etwas Verheißungsvolles. Oder bilde ich mir das nur ein?

Möchtest du deine Gedanken mit mir und anderen teilen? Dann nutze die Kommentarfunktion →


Schmerz des Seins

25.04.2020

Unheil kommt von ganz allein

Unheil trifft uns meistens unvorbereitet. Von jetzt auf gleich. Für Glück, also um glücklich zu sein, müssen wir etwas tun. Aber Pech oder Unglück kommen gewöhnlich ganz von allein. Wir brauchen gar nichts tun. Einfach nur dasitzen – und früher oder später ist es so weit.

An diesen Sachverhalt wurde ich gestern wieder einmal unfreiwillig erinnert. Während meine Mitbewohnerin und ich entspannt auf der Veranda in der Sonne saßen und lasen, zog plötzlich ein Geschehen hoch in den Bäumen unsere Aufmerksamkeit auf sich.

Rabenmutter

Ein Eichhörnchen saß mit ihren Jungen hoch oben in einer Eiche. Plötzlich sprang das Elterntier in einem unglaublichen Stunt auf einen dünnen Ast des gegenüberliegenden Baumes. Der Abstand war beträchtlich und wir hielten für einen Moment den Atem an. Aber sie landete sicher, drehte sich um und schaute ihre Jungen ermunternd an.

Dann sprang sie wieder zurück und wuselte um die Kleinen herum. Und wieder sprang sie über – und zurück. Offensichtlich forderte sie die Jungen dazu auf, es ihr gleich zu tun. Man konnte deutlich sehen, dass die kleinen Eichhörnchen Angst hatten und nervös waren.

Immer wieder liefen sie fort aus der Gefahrenzone, dann näherten sie sich der Absprungstelle erneut, um sofort wieder den Rückzug anzutreten. Lucca und ich teilten besorgt die Ansicht, dass die Entfernung für die Jungtiere viel zu groß sei. Unserer Einschätzung nach, hätte das ältere Tier für die Sprungübungen einen geringeren Baumabstand und eine geringere Höhe wählen sollen.

Sprung ins Nichts

Wir fanden das zu risikoreich und die kleinen Eichhörnchen hatten deutlich viel zu viel Angst – sie waren unserer Meinung nach für solch einen Sprung innerlich noch nicht bereit.

Doch das Elterntier ließ nicht locker und trietzte die Jungtiere so lange, bis das erste schließlich sprang – den Ast verfehlte und über 10 Meter in die Tiefe stürzte. Wir hörten es auf den Boden plumpsen und liefen los, um mögliche Hilfe zu leisten. Als wir ankamen, paddelte das kleine Eichhörnchen im Teich. Offenbar war es auf dem sandigen Teichrand aufgeschlagen und dann ins Wasser gefallen.

Ich stellte mich innerlich schon darauf ein, mich für eine Rettungsaktion ins eiskalte Wasser zu stürzen, als ich sah, dass der kleine Havarist schwimmen konnte. Er durchquerte den Teich, krabbelte die Böschung hoch und erklomm den nächststehenden Baum. Auf einem der oberen Äste blieb er nach seinem unfreiwilligen Triathlon erst einmal sitzen.

Haben Tiere Mitgefühl?

Das Tier hatte den Sturz vom Baum und in den Teich überlebt. Nicht sein Glückstag. Und irgendwie doch. Um nichts in der Welt wollte ich in der Haut dieses kleinen Kerls stecken.

Lucca und ich waren erstaunt über diese Fehleinschätzung des Elterntieres, denn wir als Menschen hatten damit gerechnet, dass so etwas passieren würde. Wir glaubten, das erwachsene Eichhörnchen würde nun zu seinem Jungen eilen, was es jedoch nicht tat. Gibt es mangelndes Mitgefühl auch unter Tieren!?

Die „Sprungschanze“ der Eichhörnchen.

Sich kreativ seiner Kinder entledigen

Als wir wieder unsere Plätze auf der Veranda eingenommen hatten, trauten wir unseren Augen nicht: Das Elterntier setzte die Sprung-/Flugübungen mit dem verbliebenen Sprössling fort. Unermüdlich animierte es den Kleinen, bis auch er schließlich sprang … das Ziel ebenfalls verfehlte und auch abstürzte.

Eine kreative Weise sich seiner Kinder zu entledigen.

Lucca und ich liefen erneut zur Absturzstelle zwischen den undurchdringlichen Rhododendron-Büschen. Wir fanden das Tier nicht – was eine gute oder eine schlechte Nachricht sein konnte.

Das war gestern Nachmittag. Seit dem Geschehen haben wir keines der Eichhörchen mehr gesehen.

Das Unglück anderer aushalten

Ich blieb auf der Veranda sitzen, legte mein Buch endgültig zur Seite und fühlte dem Geschehen nach.

Es war ein perverses Gefühl, das Unglück kommen zu sehen und ihm hilflos beiwohnen zu müssen – ohne eine Möglichkeit zum Eingreifen zu haben. Und das gleich zweimal hintereinander.

Mich erinnerte das an andere Situationen des Lebens, wo ich diese Hilflosigkeit ebenfalls fühle. Meine Gedanken gingen zu den Menschen in meiner näheren Umgebung, die derzeit in Not sind. Ich dachte an die Flüchtlingslager, in denen Menschen unter erbärmlichsten Umständen „leben“ und dem Corona-Virus vollkommen ausgeliefert sind.

Wenn ich die Königin der Welt wäre

Selbst wenn ich die „Königin der Welt“ wäre, könnte ich nicht verhindern, dass Wesen Leid widerfährt. Und oft kann ich nicht einmal etwas tun, um ihr Leid zu lindern. Wie bei den Eichhörnchen. Dann ist mir einfach auferlegt, dieses Leid zu tragen – ohne mein Herz davon verwunden zu lassen.

Ich wäre gerne unverwundbar gegen diesen Schmerz. Wer wäre das nicht gerne? Aber so sind wir Menschen nicht angelegt.

Sicher sind Schiffe nur im Hafen – aber dafür sind Schiffe nicht gebaut.

John Augustus Shedd

Wenn Leben wehtut

In der buddhistischen Lehre wird das Leiden, das uns durch die Existenz als fühlendes Wesen unausweichlich widerfährt, Dukkha genannt. Dukkha bedeutet in unsere deutsche und heutige Sprache übersetzt soviel wie „suboptimal“ – etwas, das „nicht rund läuft“.

Der Buddha hat genau erkannt, was ich bei den Eichhörnchen sehen konnte: Leben bedeutet, unvermeidbar von Leid getroffen zu werden. Ich wollte diese kleinen Eichhörnchen nicht herabstürzen sehen – und dennoch war das Geschehen Teil meiner Realität.

Offene Weite, nichts von heilig

Die Frage, die sich daraus ganz natürlich ergibt, ist:

Wie gehe ich mit dem Schmerz in meinem Leben um?

In der buddhistischen Psychologie und Praxis dreht sich alles um diese Frage – um die Befreiung aus dem Leiden. Und die buddhistische Lehre liefert Antworten in Form eines klaren Weges der Geistesschulung durch Achtsamkeit und Meditation, den der Buddha uns hinterlassen hat.

Er ist diesen Weg selbst gegangen – und unzählige Menschen folgen dem Pfad seit zweieinhalbtausend Jahren. Es ist kein Weg, mit einem göttlichen Heilsbringer, Glauben und heiligen Schriften. Hier wird uns nichts geschenkt, nichts abgenommen und uns wird auch keine Absolution für unheilsame Taten erteilt.

Der Weg besteht in einer pragmatischen, fast wissenschaftlichen Erforschung unseres Geistes, durch deren Erkenntnisse wir uns Schritt für Schritt aus dem Leid befreien. Sich aus dem Leiden zu befreien, bedeutet nicht, etwas Unvermeidbares vermeiden zu wollen. Es bezieht sich auf unseren Umgang mit dem Schmerzvollen. Wie beziehe ich mich auf das, was ich gerade erlebe?

Berührt aber nicht verletzt

Ich selbst folge dem Pfad des Buddha seit 35 Jahren, indem ich regelmäßig meditiere, Achtsamkeit im Alltag praktiziere, Retreats besuche und die buddhistischen Lehren studiere. Nehmen wir als Beispiel die Situation mit den Eichhörnchen, um zu sehen, wie ein geübter Geist mit Leid umgeht. Es würde zu weit führen, meine geistigen und emotionalen Bewegungen hier im einzelnen zu beschreiben.

Nur so viel: Das Geschehen hat mein Herz berührt aber weder hat es mein Herz verletzt, noch meine Geistesruhe gestört oder meinen Gemütszustand getrübt. In jungen Jahren hätte mich das Geschehen zutiefst aufgewühlt und ich wäre angesichts der Unglücke der kleinen Eichhörnchen völlig außer mir gewesen.

Der Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid

Ein achtsamer Geist ist ein mitfühlender Geist. Mitgefühl ist kein Mitleid. Mitgefühl ist eine Bewegung im Herzen, die mit einem natürlichen Impuls zu helfen oder zu lindern verbunden ist. Bei diesem Impuls handelt es sich jedoch nicht (mehr) um einen unbewussten Reflex, sondern um besonnenes heilsames Handeln angesichts der Möglichkeiten und der Angemessenheit des gegenwärtigen Moments.

Dazu gehört auch, die Hilflosigkeit auszuhalten, wenn man nicht helfen kann – wie bei den Eichhörnchen. Früher hätte mich das Geschehen völlig fertig gemacht und belastet. Heute kann ich den Schmerz umarmen, den meine Hilflosigkeit erzeugt. Er verletzt mein Herz nicht mehr. Ich kann anerkennen, dass solche Dinge geschehen – und auch, dass ich das nicht mag. Wir nennen das Akzeptanz.

Mehr Elefant als Huhn

Es braucht Mut und Kraft, sich in solchen Momenten nicht abzuwenden. Aber wenn man es schafft, solche Situationen mit einem offenen Herzen in einem weiten inneren Raum „zu halten“, ist man nicht mehr Teil des Leides. Ich kann das Leid sehen und es mitfühlend tragen, ohne mich davon absorbieren zu lassen.

Wenn ich in diese akzeptierende, weite und mitfühlende Haltung eintrete, spüre ich, wie mir Kraft zufließt, wie der innere Raum sich noch mehr weitet und all das Schöne und Wundervolle mit umfasst, das gleichzeitig zum Schmerz auch da ist. Und je länger ich in diesem Zustand verweile, desto friedlicher wird es in mir.

Ich bin dann innerlich mehr ruhiger Elefant als aufgescheuchtes Huhn.

Wenn der Kopf Hilflosigkeit noch ein bisschen größer macht

In „Eichhörnchen-Situationen“ sind wir tatsächlich zum Nichtstun verdammt. Wenn wir diese momentane Hilflosigkeit spüren, nimmt unser Kopf das gerne auf, macht es noch ein bisschen größer und erzählt uns, dass wir sowieso auf nichts in diesem Leben Einfluss haben.

Kommt dir das bekannt vor?

Wir müssen solche Gedanken nicht glauben. Einfach, weil sie nicht wahr sind. Wir können eine Menge beeinflussen.

Was einen Ast unter einer Schneelast abbrechen lässt, ist letztlich eine kleine Schneeflocke. Für sich genommen hat eine Schneeflocke keine große Wirkung – aber im Verbund mit anderen kann sie den Unterschied machen. Wenn eine kritische Masse groß genug ist, bringst sie Dinge zum Kippen.

Willst du Dinge ins Gegenteil verkehren, dann treibe sie auf die Spitze.

Laotse

Du machst den Unterschied

Man denke an „die Macht des Volkes“: Berlin am 9. November 1989. Der Verbundenheit vieler Menschen hatte die Politik nichts mehr entgegenzusetzen – sie haben die Mauer zu Fall gebracht, mit der Politiker unser Land im Jahr 1961 auseinandergerissen haben.

Je mehr Menschen es auf dieser Erde gibt, die einen achtsamen Geist und ein mitfühlendes Herz verkörpern, desto mehr werden sich die Dinge zum Positiven verändern.

Mein flaues Gefühl von machtloser Hilflosigkeit war in dem Moment vorbei, als ich das erkannte. Und ich beschloss, ein kleines Rädchen in diesem Prozess des Heilsamen zu werden.

Die Transformation der Welt kommt, wenn wir uns selbst ändern.

Krishnamurti

Achtsamkeit und Mitgefühl in die Welt bringen

„Unter dem Radar“ unterminiere ich mit meiner Arbeit als Achtsamkeitslehrerin sozusagen den derzeitigen unheilsamen Status quo. Denn ich träume von einer Welt ohne Kriege, Hunger, soziale Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung.

In jeder Minute meines Lebens leiste ich einen Beitrag dazu, die Dinge zum Besseren zu wenden. Bislang habe ich Hunderte von Menschen in Achtsamkeit und Mitgefühl ausgebildet. Und täglich werden es mehr :o) Sie tragen die Botschaft von Achtsamkeit und Mitgefühl in die Welt und verändern sie.

Wir können beeinflussen, in welcher Welt wir morgen leben wollen – und ob wir morgen überhaupt noch eine Welt haben. Die Corona-Krise ist eine unglaubliche Chance, die Dinge zum Besseren zu wenden.
Da tut sich vor unseren Augen ein Tor auf.

Doris Kirch

Veränderungen gestalten, statt ihr Opfer zu sein

Anstatt uns wie die Lemminge über den Abgrund in den Tod zu stürzen, sollten wir jetzt beginnen, unseren Geist zu transformieren. Für die Welt, für die künftigen Generationen und auch für uns selbst. Denn ein achtsames Gehirn ist nicht nur ein mitfühlendes Gehirn, es ist auch ein glückliches Gehirn.

Wir möchten die Welt verändern – in ökonomischer, sozialer Hinsicht, aber es scheint mir, daß eine wesentliche äußere Veränderung nicht möglich sein wird, wenn es keine radikale psychologische Revolution, eine Transformation gibt.

Krishnamurti

Um ein achtsames Gehirn zu entwickeln, braucht es eine systematische Schulung über einen gewissen Zeitraum. Je länger der Zeitraum, desto tiefer ist die Achtsamkeit verankert.

Deshalb sind wir das erste deutschsprachige Institut, das die Ausbildung zur Achtsamkeitstrainerin auf zweieinhalb Jahre ausgeweitet hat, während gewöhnliche Achtsamkeitstrainer-Ausbildungen und auch MBSR-Lehrer-Ausbildungen nicht über anderthalb Jahre hinausgehen. (Wahrscheinlich werden unsere Kollegen nachziehen, sobald sie gesehen haben, dass wir mit dem neuen Format erfolgreich sind :o)

No risk – no fun

Wir wussten es nicht, als wir den Schritt der Erweiterung von anderthalb auf zweieinhalb Jahre gewagt haben. Es hätte auch sein können, dass es eine Fehlentscheidung ist und niemand mehr die Ausbildung bucht. Sehenden Auges sind wir dieses Risiko eingegangen. Und ja: die Entscheidung war richtig.

Wenn wir wirklich etwas gegen die Qualen der Welt ausrichten wollen, müssen wir lernen, kontinuierlich an uns selbst zu arbeiten, während wir gleichzeitig von Tag zu Tag, so nützlich wie möglich zu sein versuchen.

Philip Kapleau

Gerade angesichts der Corona-Krise stellen viele Menschen fest: Es muss sich etwas ändern; so kann es nicht weitergehen. Und sie erkennen noch etwas Wichtiges: Veränderung kann nur gelingen, wenn sie bei mir selbst beginnt!

Die Zeit ist reif für Veränderung. Lasst uns die Segel setzen und den Rückenwind nutzen, um Kurs auf die neue Welt zu nehmen, die wir selbst gestalten.

Die Welt ist nicht da, um verbessert zu werden. Auch ihr seid nicht da, um verbessert zu werden. Ihr seid aber da, um ihr selbst zu sein. Ihr seid da, damit die Welt um diesen Klang, um diesen Ton, um diesen Schatten reicher sei. Sei du selbst, so ist die Welt reich und schön.

Hermann Hesse

Wir sind „wir selbst“, wenn wir unsere wahre innere Natur entdeckt haben, unter all dem Schlamm von Gier, Hass und Verblendung. Unser wahres Selbst drückt sich aus durch die bereits in uns angelegten Qualitäten Güte, Geduld, Mitgefühl, Großzügigkeit, Freude und Gelassenheit. Es braucht nur eine gute Pflege dieser wundervollen Samen.

Kleine Helden

Diesen Text widme ich den todesmutigen kleinen Eichhörnchen in meinem Garten, ohne die dieser Text nicht entstanden wäre. …

Just, wo ich das schreibe, wird mein Blick von einer Bewegung nach draußen gezogen. Und da sehe ich sie: An einem Baumstamm wuseln meine kleinen Freunde wieder rauf und runter.
Möget ihr sicher und geborgen sein.
Mögen alle Wesen sicher und geborgen sein.

Sag was dazu :o) →


Impressionen aus dem Corona-Alltag

24.04.2020

Der erste Corona-Mundschutz meines Lebens

Neben der vielen Arbeit gab es natürlich auch noch das „normale Corona-Leben“. Es sind wieder so viele wunderbare kleine Dinge geschehen, die ich gerne hier teilen möchte.

So hatte ich in einem meiner vorherigen Beiträge die eher lustig gemeinte Frage in den Raum geworfen, ob jemand von den derzeit vielen nähenden Menschen mir ein paar Mundschutze nähen würde. Tatsächlich verfügte ich aber noch über keinen.

Und was für eine Überraschung: Gestern habe ich doch tatsächlich den ersten Mundschutz meines Lebens erhalten! Was für eine Freude. Und sogar in meiner Lieblingsfarbe türkis. *smileymitherzchenaugen*

Liebe Martina, ich wollte zunächst einmal der ganzen Welt meine Freude darüber kund tun. Aber ich schreibe dir natürlich noch ganz persönlich :o)

Corona Mundschutz Achtsamkeit

Achtsamkeit im Alltag

Gestern im Baumarkt musste ich über diesen Schild lachen. Da es in dem Betrieb offenbar keinen Gleichstellungsbeauftragten gibt, der sich um die Genderfrage kümmert, hat Azubi Florian das kurzentschlossen selbst in die Hand genommen.

Es sind solche kleinen Dinge in diesem Corona-Alltag, die mein Herz wärmen und ein Lächeln auf mein Gesicht zaubern. Achtsamkeit im Alltag bedeutet, auch solche kleinen, scheinbar belanglosen Dinge zu bemerken und zuzulassen, sich davon berühren zu lassen.

Wenn wir in einer Krise stecken, sind es meistens keine sensationellen, großen, bedeutenden Dinge, die uns helfen, durch den Tag zu kommen. Es ist die Vielzahl der täglichen „kleinen Wunder“. Freude, Lächeln und Humor sind eine natürliche Ressource. Sie sind immer nur einen aufmerksamen Moment entfernt.

Zeitzeugnis

An den Kassen hat man ja derzeit viel Muße und so fiel mein Blick kürzlich auf ein weiteres Schild, das mich zumindest zum Grinsen brachte, weil es ja eigentlich auch ein bisschen traurig ist.

Der Hintergrund dieses Piktogramms ist in diesen Tagen wohl jedem klar ;o) Genau so klar ist es jedoch, dass es völlig unwirksam ist, Menschen, die verfangen in ihrem Überlebensmodus sind, darum zu bitten, das Hamstern zu unterlassen.

Das ist ungefähr so wirksam, wie einen Sechstklässler hundertmal an die Tafel schreiben zu lassen, dass er den Mädchen nicht unter den Rock gucken soll.

Dieses Corona-Achtsamkeitstagebuch wird vielleicht noch zu einem spannenden Zeitzeugnis.

Korona-Erdbeeren

Das ist kein Witz: Als ich diese Woche Erdbeerpflanzen in der Oldenburger Bioland-Kräuterei kaufte, empfahl man mir die Sorte „Korona“. Zwar mit K geschrieben – aber aus gegebenem Anlass dennoch witzig.

Diese Erdbeere sei besonders aromatisch, sagte man mir. Und dass die Früchte nur eine geringe Lagerfähigkeit haben. Nehmen wir das mal als gutes Omen.

Schick essen in Corona-Zeiten

Diese Tage hatten wir mal keine Lust auf Kochen und beschlossen, „essen zu gehen“. So sieht das in Zeiten der Corona-Krise aus: Pizza to go im Auto. Man, war das eine Sauerei :o))

Gewohnte Dinge mit neuen Augen sehen

Während derzeit alle Haus, Hof und Garten schön machen, bleiben die Flächen des öffentlichen Straßenlandes von der derzeitigen Verschönerungs-Welle oftmals unberührt.

Dieses kleine Beet an einer Ampelkreuzug in Oldenburg erfreute mich stest, weil es schön gepflegt war (kein Unkraut, altes Laub und Zigarettenkippen entfernt) und Blumen darauf blühten. Während der Corona-Krise muss man auf diesen schönen Anblick offenbar leider verzichten.

Mir brachte das zu Bewusstsein, dass ich mich zwar immer über die Schönheit dieses Beetes gefreut habe, aber irgendwie war sie auch selbstverständlich. Ab heute werde ich dieses Beet wohl für immer mit neuen Augen sehen. Mehr Achtsamkeit.

Und sonst so?

Rosamunde-Pilcher-Feeling

Die letzten Tage haben mir viel abverlangt. Ich brauchte Abstand und als echter Cornwall-Fan hatte ich mal wieder das Bedürfnis nach ein wenig „Rosamunde-Pilcher-Feeling“. So habe ich kurzerhand Scones gebacken, wir haben den Pavillon fein gemacht und die übrigen Mitglieder unserer Garten-WG zum Five o’Clock Tea eingeladen.

Die Szenerie hatte etwas von einer Tafelrunde, denn der Tisch ist in Wirklichkeit sehr viel größer als er auf dem Foto aussieht. Für den Corona-Abstand war das gut, aber wir mussten uns ganz schön recken und strecken, um an Tee, Scones, Clotted Cream, Ginger Jam, Orange Marmelade und Erdbeerkonfitüre ranzukommen.

Ressourcen auffüllen

Der Wasserlauf plätscherte träge vor sich hin, während ein sanfter lauer Frühlingswind die Haut streichelte, die Vögel sangen und wir die warmen englischen Brötchen genossen. Eine paradiesische Zeit zum Auftanken. Wie so oft denke ich voller Dankbarkeit daran, wie privilegiert ich in meiner Lebenssituation bin.

Nutze die Kommentarfunktion, um einen Gedanken zu hinterlassen →


Achtsam handeln aus der Haltung des Mitgefühls

23.04.2020

Kommunikations-Marathon

Hier bin ich wieder. Ich war betrübt, in den letzten Tagen keine Zeit zum Schreiben zu finden. Wir haben im DFME mit der Verwaltung der Corona-Krise und den Auswirkungen, die die Verschiebungen von Ausbildungs-Präsenzwochen und der Fortbildung Achtsamkeit bei emotionalem Stress und Depression haben, unvorstellbar viel zu tun.

Derzeit lese und schreibe ich 20 bis 50 umfangreiche E-Mails am Tag, um mit unseren Lieben in Kontakt zu bleiben und sie zu untersützen. Eine E-Mail ist heute das, was früher ein Brief war. Hast du schon einmal 20 bis 50 längere Briefe pro Tag gelesen und geschrieben? Tagelang?

Ausbleibende Einnahmen und dafür doppelte Arbeit. Und nicht nur das. Die Mehrarbeit, die wir durch die intensivere Betreuung unserer Absolventen leisten, frisst einen großen Teil des Gewinns unserer derzeit laufenden Ausbildungen auf. Das wird ein mageres Jahr. Aber ich bin dankbar, dass wir es überhaupt überleben.

Viereckige Augen am Bildschirm

In dieser Woche habe ich abends zwei- bis dreistündige Video-Konferenzen mit 20 bis 30 Teilnehmern unserer Gruppen geleitet. Online-Veranstaltungen mit solchen Gruppengrößen erfordern ein gut geplantes Vorgehen. Wir haben großes Lob für die ruhige und klar strukturierte Durchführung bekommen.

Ich habe dafür gesorgt, mit einer Co-Moderatorin einen „ersten Offizier an Bord“ zu haben, so dass ich mich um die technische Seite nicht zu kümmern brauchte. Dennoch war es anstrengend, drei Stunden lang auf einen Monitor zu starren, emotional von dem berührt zu sein, was ich hörte und gleichzeitig den Ablauf der Sesshion im Griff zu behalten.

Achtsamkeitspraxis in der Corona-Krise

Uns war wichtig, in den Video-Konferenzen zu erfahren, wie es unseren Absolventen in der Corona-Krise geht und wie sie in diesen Tagen mit ihrer Achtsamkeitspraxis zurechtkommen. Wir hatten im Vorfeld bereits mit vielen Teilnehmern – und auch mit Personen außerhalb unserer Gruppen gesprochen. So waren wir bereits zu einer ersten Einschätzung über die Gesamtsituation gekommen, die sich in unseren Online-Meetings bestätigte.

Ich war zutiefst betroffen davon, in welch schwieriger Situation einige unserer Absolventen stecken. Und gleichzeitig war ich froh, dass andere dabei sind, die finanziell sicher sind und auch sonst gute Bedingungen haben, durch die Corona-Zeit zu kommen. Leicht ist es jedoch für niemanden. Denn dieser unwägbaren „Unterströmung“, nicht zu wissen, was noch auf uns zukommen mag, entgeht niemand.

Corona-Zeit: Zwischen Tun und Sein

Die Teilnehmerinnen waren einerseits traurig, dass ihre jeweilige (nächste) Veranstaltung verschoben wurde. Vor allem aber zeigten sie sich erleichtert und dankbar, dass wir ihnen erspart haben, (bei fantastischem Wetter) fünf Tage hinter dem Computerbildschirm zu verbringen.

Bis auf zwei Teilnehmerinnen wollte das niemand. Mit einer großen Liebe zur Achtsamkeitspraxis, der Freiheit von engen familiären Verpflichtungen, der Möglichkeit zur freien Zeiteinteilung und dem frischen Schwung ihrer Jugend, zeigten sie sich hoch motiviert für eine fünftägige Online-Schulung.

Nicht everybody’s darling

Dass wir uns dagegen entschieden hatten, hat ihnen zunächst nicht gefallen. Als sie jedoch Zeuge der Situationen ihrer Mitlernenden wurden, haben sie unsere Entscheidung verstanden und respektiert.

Jeder von uns guckt zunächst einmal nur aus seinen eigenen Augen heraus und jeder hat eigene Wünsche, Bedürfnisse und Vorstellungen; eine völlig normale Sache. Während unserer Krisensitzung im DFME, wurde schnell klar, dass wir die verschiedenen Wünsche und Bedürfnisse der Teilnehmer nicht unter einen Hut kriegen werden. Eine gewisse Unzufriedenheit oder Widerstand waren zu erwarten.

Wir haben uns in der Entscheidungsfindung von der Praxis der Achtsamkeit leiten lassen. Achtsamkeit bedeutet nicht, wie eine der Teilnehmerinnen andeutete, dass man sich neuen Herausforderungen stellen müsse. In diesem Fall war damit der Umgang mit Online-Formaten gemeint.

Achtsamkeit, wie ich sie verstehe und lehre, hat zunächst einmal etwas mit Mitgefühl und Besonnenheit zu tun. Sie beinhaltet die Fähigkeit, aus einer Situationen zurückzutreten, das große Ganze zu sehen und sich bewusst zu sein, welche Neben- und Fernwirkungen das eigene Handeln voraussichtlich haben wird.

Mit den Augen des Mitgefühls

Was ich sah, waren Teilnehmerinnen und Teilnehmer,

  • die seelisch unter der Isolation und dem Getrenntsein von ihren Lieben leiden.
  • die auf engem Raum mit anderen zusammenleben und sich durch die mangelnden Ausweichmöglichkeiten psychisch belastet fühlen.
  • die in Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen arbeiten und dauerhaft die Angst vor eigener Ansteckung bewältigen müssen.
  • die durch Kurzarbeit in finanzielle Not gestürzt wurden.
  • die durch die Corona-Situation ihren Job verloren haben.
  • deren gesamte wirtschaftliche Existenz vernichtet wurde.
  • die kranke Familienanghörige pflegen und versorgen.
  • die lange Stunden im Home-Office verbringen müssen, mit paralleler 24-stündiger Kinderbetreuung und sogar -beschulung.
  • die zwar sicher durch die Krise kommen, die aber erstmalig im Leben ihr Hamsterrad verlassen haben. Sie kommen wieder zu sich – vielleicht das erste Mal, reflektieren sich und ihr Leben und sind dankbar über dieses „nicht endende Retreat“.
Kostenlose Videoserie

Selbstbestimmt und glücklich leben aus der Kraft der Achtsamkeit

Finde deine innere Wahrheit und lebe sie authentisch und frei.

Jetzt kostenlos teilnehmen

Sich in den Corona-Stress hineinentspannen

Menschen in solchen Situationen mit einer 5-tägigen Online-Schulung noch „eine Schippe mehr“ draufzupacken oder den Prozess ihrer Introspektion zu unterbrechen, erschien uns geradezu absurd. Im Lichte der Achtsamkeitspraxis wäre das unauthentisch und wenig mitfühlend gewesen.

Als Institut, das anderen die Praxis der Achtsamkeit vermittelt, fühlen wir uns bei aller Professionalität dem Mitgefühl und nicht dem Leistungsstreben verpflichtet.

Deshalb entschieden wir uns für die achtsamen Qualitäten von Ruhe, Besonnenheit, Gewährenlassen, Geduld und Vertrauen. Wir setzen in unseren Ausbildungen den Stress des Alltags nicht mit anderen Mitteln fort. Unsere Absolventen haben durch die Corona-Krise eine besondere Chance, den Unterschied zwischen dem getriebenen Modus des Tuns und dem achtsamen Modus des Seins zu erfahren und zu erforschen.

Wo bin ich noch zu sehr Kind der „alten“ Zeit? Wo lasse ich mich antreiben vom pathologischen Turbotempo der unersättlichen Gier globaler Konzerne? Wo sitzen mir die Programme meiner Eltern und der Gesellschaft immer noch im Nacken und treiben mich dazu, mich zu schinden und zu quälen, um nur ein bisschen Anerkennung zu erhaschen?

Das Ende der Tiefschlafphase erreicht

Eine unserer Teilnehmerinnen berichtete in unserem Online-Meeting mit einer heiligen Wut und Tränen des Glücks in den Augen davon, den Sprung aus ihrem alten Leben gewagt zu haben. Ohne Netz und doppelten Boden. Sie wusste schon lange, dass ihre bisherige Ausrichtung unauthentisch und nicht „ihres“ war. Und nun hat sie den Mut und die Kraft gefunden, sich dem zuzuwenden, was sie wirklich möchte.

Wir hörten ihr alle mit angehaltenem Atem und Gänsehaut zu. So viel Klarheit und Mut! Sie ist sich ihrer eigenen Ängste vor der ungewissen Zukunft vollkommen bewusst. Gleichzeitig ist da ein spürbares Urvertrauen, dass alles, was jetzt kommen würde, besser war, als das Vorherige, das sie fast krank gemacht hat.

Orientierung und Sicherheit in Zeiten der Corona-Krise

Ob unsere Entscheidung gegen Online-Schulungen „in Stein gemeißelt sei“, wurden wir im Vorfeld eines der Online-Meetings gefragt. Natürlich war sie das nicht. Aber als Unternehmen mit Verantwortung überlegen wir unter Einbeziehung aller Aspekte und Fakten vorher, was wir tun, nicht hinterher. Und sofern sich nicht völlig neue Fakten ergeben, sind wir klar, sicher und fest in unseren Entscheidungen. Es gab keine neuen Fakten.

Unsere Teilnehmer schätzen es, dass wir nicht herumeiern. Das schafft Orientierung und Sicherheit.

Plan B und Plan C

Natürlich lassen wir unsere Teilnehmer in der Krise nicht hängen. Wir haben einen Plan B ausgearbeitet und sind auch auf einen Plan C vorbereitet. Die Corona-Krise verlangt von uns allen, Reduktion, Bescheidenheit, Zurücknahme, Flexibilität und vor allem Kooperationsbereitschaft.

In diesen Tagen sehe ich sehr deutlich, dass mehrere Menschen zusammen Berge versetzen können – wenn alle guten Willens und anpassungsfähig sind. Und nie zuvor habe ich so deutlich gesehen, dass die Egozentriertheit einzelner, wunderbare Dinge verhindern, zerstören – oder zumindest mächtig Sand ins Getriebe streuen kann.

Wenn eine Gemeinschaft sich als handelnder Organismus erlebt, stärkt und schützt das den Einzelnen, die Gruppe und die Sache. Im Grunde sind wir durch die Corona-Lage fast wieder auf die Situation der ersten Menschen zurückgeworfen. Wer meint, sein Ding auf Kosten anderer durchzuziehen, wird nicht weit kommen. Vielleicht ist das eine der Botschaften des Corona-Virus für die „neue Zeit“?

Durch Corona eine besondere Tiefe der Achtsamkeitspraxis erlangen

Die Absolventen unserer Ausbildungen bekommen nun Unterweisungen zur Vertiefung ihrer Achtsamkeitspraxis und wir treffen uns regelmäßig in Zoom-Meetings, um die Erfahrungen zu reflektieren und zu vertiefen. Diese Angebote sind freiwillig; jeder kann sich also nach seinen eigenen Möglichkeiten daran beteiligen.

In der nächsten Präsenzwoche werden sich die Teilnehmerinnen die nächste Ebene der Achtsamkeitspraxis erarbeiten. Bis dahin werden sie die Corona-Krise nutzen, um Achtsamkeit in ihrem eigenen Leben tief zu erforschen – mit allen Freuden und Leiden. Möglicherweise werden unsere derzeit laufenden und die beginnende Ausbildung zur Achtsamkeitstrainerin Absolventen mit einer ganz besonderen Tiefe der Achtsamkeitspraxis hervorbringen.

Insider erinnere ich hier an die Geschichte der „Wagenladung voller Mist“, von Ajahn Brahm.

Zerzaust und gerupft

Denn hier wurde die Praxis unter extremen Bedingungen getestet. Das ist bisweilen nicht nur schmerzhaft und anstrengend – es führt zu Fähigkeiten und Einsichten, zu denen man nicht durchdringt, wenn das Leben wie ein ruhiger, warmer Fluss dahinströmt.

Durch Achtsamkeit transformierter Schmerz lässt eine nie gekannte Stärke, Würde und Weisheit in uns erwachen.

Doris Kirch

Am Ende der Corona-Krise werden wir alle zerzaust dastehen. Wir werden mehr oder weniger viele Federn gelassen haben. Aber der durch Achtsamkeit mit Schweiß und Tränen transformierte Schmerz wird uns zu einer nie gekannten Stärke, Würde und Weisheit erwachen lassen.

Nutze die Kommentarfunktion, um deine Gedanken mit anderen zu teilen →


Was wir von Astronauten über Isolation lernen können

19.04.2020

Den „Lagerkoller“ vermeiden

Wenn ich sage, dass ich mit dem Shutdown der Corona-Krise gut klar komme, dann habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen. Denn ich habe gut reden: Ich lebe auf dem Land in einem Haus mit großem Garten, habe ein eigenes Zimmer und keine kleinen oder schulpflichtigen Kinder.

Aber ich bin in Berlin aufgewachsen. Ich kenne kleine Sozialwohnungen und die Enge einer Großstadt mit überschaubaren Möglichkeiten, Zeit in der Natur zu verbringen. Und so frage ich mich oft voller Mitgefühl, wie es den Menschen geht, die kaum Ausweichmöglichkeiten in der Enge haben und vom sogenannten Lagerkoller bedroht sind.

Ihnen widme ich meinen heutigen Tagebucheintrag. Und falls du selbst derzeit unter Isolation leidest, hoffe ich, dass du etwas Hilfreiches in meinen Zeilen findest.

Doppelte Belastung durch den Shutdown

Die Auswirkungen des Shutdown sollte man nicht verniedlichen, denn sie beinhalten eine psychische Doppelbelastung. Zum einen ist da der Verzicht auf die Dinge des gewöhnlichen Lebens. Und zum anderen ist man in einem mehr oder weniger begrenzten Raum rund um die Uhr auf einen kleinen Kreis bestimmter Menschen zurückgeworfen, mit dem man auskommen muss.

Was wir von Astronauten über Isolation lernen können

Wer könnte uns besser sagen, wie man mit solch einer Ausnahmesituation umgeht, als ein Astronaut? Ich habe schon vor der Corona-Epidemie interessiert verfolgt, wie zum Beispiel die Astronauten auf der Raumstation ISS mit dieser psychischen Belastung umgehen. Interessant waren hier die Beiträge, die Alexander Gerst während seiner Zeit auf der ISS auf Facebook gepostet hat.

Oder die Erfahrungen der NASA-Wissenschaftlerin Jocelyn Dunn, die für eine Mars-Simulation acht Monate lang mit fünf weiteren Crewmitgliedern in einer von der Außenwelt isolierten Station auf Hawaii lebte.

Was können wir von diesen Experten des Aushaltens von unruhigem Stillstand in Isolation für den Corona-Shutdown lernen?

Rhythmus und Routine sind das Wichtigste im Corona-Alltag

Zunächst einmal, dass es wichtig ist, sowohl die Tagesabläufe als auch die Nutzung der zur Verfügung stehenden Räume gut zu organisieren und zu planen. Das gibt dem Tag für alle eine Struktur und man kommt sich ins weniger „ins Gehege“.

Außerdem verhindert eine Taktung der täglichen Aufgaben, von der Home-Office-Tätigkeit absorbiert zu werden. Klar definierte Zeiten für Job und für Freizeit sorgen dafür eine ausreichende geistige und körperliche Erholung. Nur wenn das gewährleistet ist, bleiben Schaffensfreude und Kreativität auch bei der Home-Office-Arbeit erhalten.

Rhythmus und Routine empfinden die Astronauten als das Wichtigste in der Zeit der Isolation. Sie sollten aber nicht starr und unverrückbar gehandhabt werden. Fällt einem die Decke der eigenen Routine den Kopf, darf man natürlich auch mal flexibel vom Plan abweichen.

Die häuslichen Aufgaben verteilen

Zur Tagesstruktur sollte ebenfalls die Verteilung der häuslichen Aufgaben gehören, sagen die Astronauten. Damit kein Stress darüber entsteht, wer wem wann was hinterherräumt, sollten die Pflichten klar festgelegt sein.

Besonders wichtig sei, so Jocelyn Dunn, die Planung von „Alleinzeit“. Denn die Zeit in der Isolation unterscheidet sich in vielfacher Hinsicht vom gewöhnlichen Alltag. Das Sozialleben verläuft entgegengesetzt: Im Alltag sucht man nach getaner Arbeit die Nähe von anderen und plant soziale Aktivitäten: Man trifft sich mit Freunden zum Cappuccino oder zum Sport, geht gemeinsam essen, tanzen oder shoppen oder besucht kulturelle Veranstaltungen.

In der Isolation hingegen ist der ganze Tag geprägt von sozialer Interaktion. Das strengt an und verlangt nach regelmäßigen Auszeiten, um sich zu entspannen von soviel Miteinander. Das ist in der häuslichen Corona-Quarantäne nicht anders als auf der ISS.

Wöchentliches Team-Meeting

Im Laufe einer Woche kann ganz schön was an Erfahrungen zusammenkommen. An schönen und weniger schönen. Die Wissenschaftler der Mars-Simulation haben sich einmal wöchentlich zu einem festgesetzten Termin zusammengesetzt und sich über Lust und Frust ausgetauscht.

Was war schwierig für mich in der letzten Woche? Was war leicht und schön für mich? Wofür bin ich dankbar? Gibt es etwas, um das ich die anderen bitten möchte?

(Das sind übrigens Reflexionsfragen, die wir uns auch in der inneren Erforschung unserer Achtsamkeitspraxis stellen :o)

Bewegung bringt in Bewegung

Isolation kann zu Stagnation führen. Bewegung löst Enge. Auch die Astronauten haben den Wert sportlicher Aktivitäten betont. Sie reden sogar von einer Trainingsroutine. Es gibt gute Work-Out-Videos – auch solche, die der ganzen Familie Freude machen.

Kürzlich habe ich gesehen, dass sich sogar Online-Communities zusammenfinden, um regelmäßig gemeinsam sportlich aktiv zu sein. Gute Inspirationen für die Corona-Quarantäne.

Atemtechniken zur Beruhigung

Lange auf kleinem Raum mit anderen zusammen zu sein, kann Aggressionen und Ängste hervorbringen. Die Astronauten nutzen für solche Momente eine bekannte Atemtechnik, die 4-7-8-Atmung.

4-7-8 Atmung

Diese Methode wurde von dem amerikanischen Alternativmediziner Dr. Andrew Weil vor allem für Schlafstörungen entwickelt. Da sie zudem Panikattacken und Ängste lindert, wird sie auch angstreduzierender Atem genannt.

Durchführung:

  • 4 Sekunden lang einatmen
  • 7 Sekunden lang den Atem anhalten
  • 8 Sekunden lang ausatmen

Vieles, was wir heute über die beruhigende Wirkung gezielter Atemlenkung wissen, stammt aus den indischen Yogalehren, in denen die Pranayamas, die Atemtechniken, eine wichtige Rolle spielen.

Tagebuchschreiben schafft Dankbarkeit und Bewusstsein

Dem Wert des achtsamen Tagebuchschreibens habe ich bereits einen ganzen Artikel gewidmet: Achtsames Schreiben als Weg →

Auch die Astronauten betonen, wie wichtig es ist, sich von Zeit zu Zeit die Seele freizuschreiben. Ein Tagebuch ist ein geduldiger „Zuhörer“, dem wir alle kleinen und großen Sorgen und Nöte anvertrauen können. Und unsere Dankbarkeit für die kleinen und großen wundervollen Dinge des Alltags.

Wir können uns auch selbst reflektieren, zum Beispiel im Hinblick darauf, welche Auswirkungen unser Verhalten auf die anderen hat. Aus der Innenschau wird eine achtsame Selbstreflexion, indem wir sie in einer Haltung der Milde durchführen. Denn zur Achtsamkeitspraxis gehört, sich nicht zu verurteilen, sondern mitfühlend mit sich zu sein und sich kleine Fehler zu verzeihen.

Sehen und Hören, was Herz und Geist freundlich und weit werden lässt

Wer ins All fliegt und lange auf engem Raum mit den gleichen Menschen zusammen ist, präpariert sich offenbar vorher gut. Wissenschaftlerin Dunn hat sich eine ganze Festplatte voll mit Filmen und Hörbüchern in ihre Einsiedelei mitgenommen.

Auch davon können wir lernen. Einer unserer Absolventen schaut abends mit seiner Partnerin schöne Filme und Vorträge über buddhistische Themen auf YouTube. Und es muss nicht Buddhismus sein – es gibt viele andere schöne und interessante Dinge, die den Horizont erweitern, die Herz und Geist freundlich und weit werden lassen.

So etwas hier zum Beispiel:
Ein schöner Film über die wunderbare Vipassana-Lehrerin Ruth Denison

Die Haltungen der Achtsamkeit praktizieren

Besonders beeindruckt hat mich ein psychologischer Aspekt, den die Astronauten während der Isolation an ihren Kollegen besonders schätzen: die Offenheit für Erfahrungen. Als ich das las, fühlte ich mich direkt an die Haltungen der Achtsamkeit erinnert, die das Fundament der buddhistischen Achtsamkeitspraxis bilden.

Auch hier geht es darum, offen zu sein für neue Erfahrungen. Unbekanntes Land mit Neugier und Anfängergeist zu erforschen – welche Situation könnte dafür besser geeignet sein, als die derzeitige Corona-Krise.

Moment für Moment können wir unsere Emotionen und unsere Gedanken erforschen. Und unsere Reaktionen darauf. Abends können wir unserem Achtsamkeitstagebuch anvertrauen, was wir über uns herausgefunden haben. Und im Schreiben werden wir noch mehr über uns herausfinden. Liest ja sonst keiner.

Hier noch einmal die Erfahrungen von Astronauten für Zeiten der Isolation zusammengefasst:

  • Rhythmus und Routine in den Tagesablauf bringen
  • Raumnutzung planen
  • Alleinzeit einplanen
  • Häusliche Aufgaben festlegen
  • Wöchentliches Team-Meeting abhalten
  • Sich regelmäßig sportlich betätigen
  • Bei emotionalem Stress 4-7-8-Atmung anwenden
  • Tagebuch schreiben
  • Sehen und Hören, was Herz und Geist freundlich und weit werden lässt

Waren diese Ausführungen hilfreich für dich? Ich freue mich, wenn du einen Gedanken hinterlässt →

Und sonst so?

Wieder einmal ging ein Wochenende im Home-Office in weiten Zügen in Arbeit unter. Nachdem wir nun die Verschiebung einiger Präsenzwochen offiziell bekanntgegeben haben und die Einladungen für die Zoom-Meetings mit den verschiedenen Gruppen verschickt hatten, gab es natürlich ganz viele Rückmeldungen. Ich kann die E-Mails nicht mehr zählen, die ich in den letzten beiden Tagen geschrieben habe.

Die meisten Adressaten kenne ich ja aus unseren Gruppen und natürlich ist mein Herz bei ihnen und nimmt Anteil an jedem Schicksal. Vieles bewegt mich tief. Auch die unglaubliche Wertschätzung, die meinen Kollegen und mir von unseren Teilnehmern entgegengebracht wird. Sie sehen unsere Mehrarbeit und unser Bemühen, möglichst allen gerecht zu werden und sie würdigen das.

Emotionale Achterbahn

Was mich anbelangt, merke ich, dass ich zunehmend dünnhäutiger werde. Viele Kontakte sind mit Emotionen verbunden – da ist eine Menge Up und Down dabei. Und zwischenzeitlich gibt es Botschaften wie die, dass Lucca eine Taube in den Scheinwerfer ihres Autos geflogen ist (Taube tot, Scheinwerfer auch).

Und dann erfuhr ich gestern noch von einer Bekannten, dass ihr Sohn einen schweren Motorradunfall hatte und im künstlichen Koma liegt. So habe ich derzeit das Gefühl, emotionale Achterbahn zu fahren.

Als Hochsensible hätte ich jetzt gerne etwas Abstand und Ruhe, was aber zumindest in dieser Woche kaum möglich sein wird. Das erzählt mir zumindest mein Kopf. Aber irgendwo in mir ist eine Instanz, die mich beruhigt und mir sagt, dass ein ausgiebiger Spaziergang oder eine Stunde im Garten wühlen auf jeden Fall drin sein wird ;o)

Glücklicherweise wirkt sich diese Belastung nicht auf unser WG-Leben aus. Ich kann den Job und unser häusliches Miteinander gut auseinanderhalten. Jeder hat ja auf seine Weise an der Situation zu tragen und weil wir das wissen, unterstützen wir einander und jeder nimmt Rücksicht. Das trägt.


Perverses Glücklichsein

18.04.2020

Es ist schon komisch. Am Anfang der Corona-Krise herrschten bei vielen Angst und Panik. Mittlerweile erlebe ich inzwischen Entspanntheit und Glücklichsein um mich herum. Wie ich gestern sagte, haben wir heute unsere drei nächsten Präsenzveranstaltungen verschoben. Gespannt haben wir die Reaktionen abgewartet … und die ersten Rückmeldungen sind: tiefenentspannt.

Alle sind erleichtert und dankbar, dass wir die Seminarwochen verschoben haben. Wir haben ja lange überlegt, wie wir damit umgehen. Die Alternative wäre gewesen die fünftägigen Präsenzveranstaltungen online abzuhalten. Wir haben uns dagegen entschieden, nachdem wir bereits im Vorfeld einige Meinungen dazu eingefangen hatten. Sie waren einstimming: Niemand hat Bock darauf, fünf Tage am Computer zu verbringen.

Schwielen am Hinterteil

Schwielen am Hinterteil, viereckige Augen und Spinnweben unter den Armen wären das Resultat gewesen – und jeweils fünf wundervolle freie Frühlings- bzw. Frühsommertage, die unwiderbringlich futsch gewesen wären. Die Rückmeldungen zeigen, dass sich die Menschen mittlerweile an den Shutdown der Corona-Krise gewöhnt haben. Und nicht nur das.

Immer mehr bestätigt sich, was ich gestern bereits schrieb. Nachdem klar ist, dass man die Krise wirtschaftlich überleben wird – oder auch nicht überleben wird, kommen alle im Sosein an – und viele beginnen, ihr Dasein zu genießen. Corona hin – Corona her. Erst vorhin las ich in der Mail einer unserer Absolventinnen:

Ich entdecke für mich bisher fast nur Vorteile durch die Corona Krise, bisher zumindest. Es ist wie ein lange andauerndes Retreat, das an 4 Tagen in der Woche vom Homeoffice unterbrochen wird.

Auf den Stress antworten statt auf ihn zu reagieren

Und bei alledem möchte ich eines betonen: Die Menschen, um mich herum, die geschmeidig mit der Corona-Situation umgehen, sind nicht alle materiell gut gestellt und haben keine Kinder! Von vielen weiß ich, dass das nicht so ist. Aber die Menschen um mich herum sind allesamt Achtsamkeit Praktizierende. Wie sie auf die Krise reagieren – ist eben keine unbewusste „Reaktion“, sondern eine bewusste „Antwort“.

Die Achtsamkeitspraxis hilft ihnen, sich nicht in den Problemen zu verstricken – was nicht heißt, dass es keine Probleme gäbe. Wer Achtsamkeit praktiziert, ist sich neben all den Schwierigkeiten auch seines Potenzials zu deren Bewältigung bewusst. Und er ist in der Lage, neben all dem Schwierigen auch das Schöne zu sehen, das gleichzeitig da ist.

Neben dem Schwierigen auch das Schöne sehen

Das Schöne auch zu sehen, ist eine wichtige Ressource, um das Schwere besser tragen zu können. Achtsamkeit Praktizierende sehen in Schwierigkeiten auch die Möglichkeiten zu innerem Wachstum. Und all dies ist weit davon entfernt, nur eine theoretische Idee zu sein oder oberflächliches „Positives Denken“.

Aus der Achtsamkeitspraxis entspringt eine Lebensfreude, die von äußeren Umständen nicht abhängig ist.

Doris Kirch

Solch eine Haltung kann man sich nicht anlesen oder erdenken. Sie ist das Resultat einer langen disziplinierten Meditations- und Achtsamkeitspraxis. Jeder, der schon lange meditiert und Achtsamkeit praktiziert, erntet jetzt die Früchte der Überwindung, seinen Hintern täglich aufs Meditationskissen zu bringen. Es braucht oft Überwindung, wenn man morgens noch oder abends schon wieder müde ist.

Der Benefit von Achtsamkeit: Auch in der Corona-Krise glücklich sein

Das Ergebnis sind innerer Frieden und Gleichmut – auch wenn die Lage vertrackt ist. Auch das ist ein Geschenk des Corona-Virus: Viele Achtsamkeit Praktizierende erkennen jetzt erst den vollen Wert dieser Praxis.

Und wer könnte diesen Zustand von Glückseligkeit, den Zustand des Zur-Ruhe-Gekommenseins von Begehren, Wollen und Wünschen, besser beschreiben, als mein Lieblingsdichter Hermann Hesse:

Solang du nach dem Glücke jagst,
bist du nicht reif zum Glücklichsein,
und wäre alles Liebste dein.
Solang du um Verlornes klagst
und Ziele hast und rastlos bist,
weißt du noch nicht, was Friede ist.
Erst wenn du jedem Wunsch entsagst,
nicht Ziel mehr noch Begehren kennst,
das Glück nicht mehr mit Namen nennst,
dann reicht dir des Geschehens Flut
nicht mehr ans Herz
und deine Seele ruht.

Hermann Hesse

Und sonst so?

Nachdem ich den heutigen Vormittag mit den Informationen an unsere Teilnehmer verbracht und viele Rückmeldungen beantwortet habe, war eine Pause dran und ich habe mich mit Freundin Brigitte zu einem „Corona-Spaziergang“ getroffen.

In gebührlichem Abstand sind wir im Sonnenschein an der Oldenburger Hunte spazieren gegangen. Ein Anblick, der mich tief berührte, war ein Vater, der seine Kinder auf einem Board über den Fluss paddelte. Er hat mir erlaubt, von diesem süßen Szenario ein Foto für meinen Achtsamkeits-Corona-Blog zu machen.

Wieder das Schweigen genießen

Die häusliche Idylle unserer kleinen WG reißt indes nicht ab. In der letzten Woche hatte ich Freunde zu einzelnen „Veranda-Besuchen“ und heute einen Freundes-Spaziergang. So sehr wie ich das genossen habe, macht sich jetzt allmählich wieder das Bedürfnis nach Schweigen und Stille breit.

Bis auf die Online-Zoom-Konferenzen mit unseren Teilnehmern und deren Betreuung, werde ich mich nun wieder ins Schweigen zurückziehen.

„Rosamunde-Pilcher-Stillleben“ aus meiner Eindiedelei.

Online-Folter ohne Ende

Apropos online. Nebenan sitzt meine junge Mitbewohnerin Lucca und quält sich. Oder besser: wird gequält. Unter der Tagesüberschrift „Folter“ beschrieb ich in diesem Corona-Achtsamkeitstagebuch bereits die Qual schlechter Online-Veranstaltungen. Lucca absolviert neben ihrem Psychologiestudium noch eine dreijährige Ausbildung, und eine der Wochenend-Präsenzveranstaltungen wurde auf online verlegt.

Ich beschreibe hier mal ihre Erfahrungen. Der Beginn, für 10.30 Uhr angesetzt, startete erst um 11.00 Uhr, weil der Dozent sich vorher nicht mit seinen Teilnehmern getroffen hatte, um ihnen zunächst die technische Seite und das Vorgehen zu klären. Er war mit der Technik offenbar selbst nicht gut vertraut.

Fehlende Orientierungen

Es gab keine Orientierung, ob und wann es Pausen gibt und wie lange sie dauern. Der Dozent stellte die Frage der Pause irgendwann zur Diskussion und nachdem die Teilnehmer Bedürfnisse zwischen 10 Minuten und 2 Stunden geäußert hatten, beschloss er, 30 Minuten zu gewähren.

Online-„Opfer“ Lucca

Für Lucca bedeutete das, sich schnell etwas zu essen kochen und es herunterzuschlingen. Von Pause, Erholung, Sacken-Lassen, keine Spur. Die Veranstaltung zieht sich ohne weitere Pausen für Toilettengänge oder Tee-/Kaffeeholen träge dahin. Sie ist durchsetzt von technischen Problemen.

Chaos im Ablauf auf Sofengo, Zoom & Co.

Zwischendurch wurden mal die Plattformen gewechselt, was das Chaos noch vergrößerte. Eine Telefonkonferenz, die zusätzlich zu der Online-Plattform-Arbeit angesetzt war (warum auch immer extern??), funktionierte auch nicht. Eine Teilnehmerin hat das mit dem Mikro nicht hinbekommen, so dass der Dozent alles doppelt erzählte: einmal für die Gruppe, einmal für die Teilnehmerin.

Soviel zu: „Wir machen das alles Online“.

Im DFME haben wir unseren Teilnehmern solche Desaster erspart. Wenn wir etwas machen, dann machen wir es entweder richtig oder gar nicht. Gute Online-Seminare brauchen eine sorgfältige Vorbereitung. So etwas braucht Zeit. Und da uns die Corona-Epidemie quasi überrascht hat, war diese Vorbereitungszeit gar nicht gegeben.

Halbgare Online-Veranstaltungen durchzuführen, nur damit sie stattgefunden haben und wir unser Geld bekommen, sind nicht unsere Sache. Als ich das hier heute erlebte, war ich froh über unsere Entscheidung – und glücklicherweise sind unsere Absolventen und Teilnehmer es auch :o))

Die Kunst des Lebens

Zum Abschluss möchte ich euch dies nicht vorenthalten. Gestern gab es bei uns ein Spargel-Bärlauch-Risotto. Meine liebe Kollegin Eva, Achtsamkeitslehrerin aus Österreich, findet, dass die Risottos am besten werden, bei denen die Hälfte des Weins im Reis und die andere in der Köchin landet.

Recht so, liebe Kollegin. Wir beide verstehen nicht nur etwas von Achtsamkeit, sondern auch von Ars Vivendi.

Du möchtest deine Gedanken dazu loswerden? Dann nutze die Kommentarfunktion für deinen Beitrag →


Realitätsschocks und andere Kleinigkeiten

17.04.2020

Morgen, Morgen und dann wieder Morgen
kriecht so mit kleinem Schritt von Tag zu Tag,
zur letzten Silb auf unsrem Lebensblatt.

Shakespeare (Macbeth)

Nun ist es klar: Wir dürfen bis auf weiteres unsere Ausbildungen, Fortbildungen und Retreats nicht weiterführen. Wie lange noch? Keine Ahnung. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als heute unsere Teilnehmer und Absolventen zu kontaktieren und die Fortsetzung ihrer Weiterbildungen in Achtsamkeit nach hinten zu schieben.

Realitätsschock

Als mir das klar wurde, hatte ich erst mal einen Realitätsschock, eine Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Ich hatte gehofft, dass wir unsere Teilnehmer bald wiedersehen können, hatte mich auf unsere gemeinsame weitere Erforschung der Achtsamkeit und auf „Normalität“ gefreut. Mein Kopf war leer und es fühlte sich an, als hätte mir jemand „den Stecker rausgezogen“.

Zum Glück gibt es Freunde – und zum Glück haben wir tolles Wetter. Heute kam meine liebe Freundin Britta zum „Veranda-Besuch“, und sie brachte ein stilvolles, zeitgemäßes Gastgeschenk mit.

Nachdem wir die derzeitige Corona-Situation ausdiskutiert hatten, beschlossen wir, dem Thema jetzt erst einmal den Rücken zu kehren und uns etwas Wühlen im Garten zu gönnen. Jeder in einer Ecke. Menschliche Nähe mit Social Distancing im Garten. Klappt wunderbar.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr Bewegung psychische Stagnation aufzulösen vermag. Mein Kopf und mein Herz wurden wieder frei. Es muss nicht immer Meditation sein ;o)

Anders als bei der Arbeit am Computer sieht man im Garten unmittelbar die Früchte seines Tuns. Aufräumen, Saubermachen, Blütenpracht durch Düngen und Wässern vorzubereiten, hat für mich eine große Symbolkraft in dieser Zeit. Ich freue mich darauf, in einigen Wochen die Früchte unserer Bemühungen zu genießen, wenn die Natur zu vollem Leben erwacht. Auch das ist für mich symbolhaft.

Der Rest unserer WG arbeitet wie gewohnt und studiert. Schaut mal, wie „spannend“ ein Psychologiestudium sein kann:

Zwischendurch haben wir uns alle mit dem Obstkuchen gestärkt, den Britta mitgebracht hat. Wie man sieht, blieb nicht viel übrig. Wir lachten über den derzeit kursierenden Witz, dass man nach der Corona-Krise wählen könne, ob man sich bei Weight Watchers oder bei den Anonymen Alkoholikern anmeldet.

Freude an Kreativität

Das mit dem Kuchen ist noch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Seit ich Britta kenne (und das ist schon sehr lange) hat sie stets betont, nicht gut kochen zu können und auch keine Freude daran zu haben. Und tatsächlich hat sie sich nun doch einmal an einen Kuchen gewagt – und er war super lecker.

Rundherum höre ich von Menschen, die plötzlich ihre Freude am Kochen (wieder-)entdecken und auch am Nähen. Das finde ich witzig – und auch richtig klasse.

P.S. Mag mir jemand 4 Mundschutze nähen?

Neuer Tag, neues Glück

Der gestrige Tag war schön. Die Gartenarbeit und die schönen Gespräche die wir dabei führten, haben einen heilsamen Abstand zum Geschehen geschaffen. So fühle ich mich heute Morgen frisch und klar.

Nachher werde ich die Anschreiben für unsere Absolventen und Teilnehmer verfassen und Termine für Zoom-Meetings ansetzen, damit wir mal wieder persönlichen Kontakt und Austausch haben.

Totalentspannung

Nachdem ich den Moment des Realitätsschocks überwunden habe, macht sich plötzlich eine totale Entspannung in mir breit. In nächster Zeit keine Präsenztermine. Für die Ausarbeitungen von Unterrichtskonzepten, die ich noch auf dem Zettel stehen habe, verfüge ich auf einmal über massenhaft Zeit. Das ermöglich mir tatsächlich, vollkommen entspannt vor mich hin zu muckeln.

Und überhaupt höre ich das derzeit von allen Seiten. Ausnahmslos jeder, mit dem ich bisher gesprochen habe, sagte mir, wie wunderbar er diese Zeit fände – und von ihm aus könne das auch noch länger dauern.

Bemerkenswert dabei: Jede dieser Personen ist wirtschaftlich von der Situation hart betroffen. Einige haben sogar gesagt, dass sie nicht wissen, ob sie die Corona-Krise wirtschaftlich „überleben“ werden, wenn sie noch länger andauert.

Das Hamsterrad kommt zum Stillstand

Und dennoch sind sie in einer Haltung angekommen, die ich gerne mit den englischen Worten beschreibe:

Whatever comes, comes.“

Und es klingt nicht fatalistisch oder so, als wären sie sich des Ernstes der Lage nicht bewusst. Aber sie haben sich in die Realität gefügt, haben den inneren Widerstand aufgegeben und sich an das angepasst, was JETZT ist. Und was „jetzt ist“, ist für viele einfach wunderbar.

Endlich mal Ruhe, endlich mal keine dauernden Beanspruchungen, Termine und Meetings. Einfach mal Mensch sein, Zeit haben, durchatmen.

Und ja, auch mir geht es so.

Das ist besser, länger und ungestörter als der verhältnismäßig kurze Jahresurlaub, der von Mitarbeiter oder Kollegen gerne mal mit Anrufen und Mails perforiert wird. Ein echtes Sabbatical.

Adaptionsfähigkeit

Unsere Spezies ist in vielfältiger Hinsicht bemerkenswert – vor allem im Hinblick auf ihre Adaptionsfähigkeit, also ihre Fähigkeit, sich neuen Situationen anzupassen.

Diese grundsätzliche Fähigkeit ist in uns angelegt. Und wir haben die Freiheit, uns zu entscheiden: Möchte ich mich auf diese, in mir angelegte Kompetenz besinnen und sie nutzen („die Welle reiten“)? Nutze ich die Corona-Krise, um auszuloten, wieviel Resilienzkraft in mir steckt? Bleibe ich offen und neugierig – und praktiziere dadurch Achtsamkeit in ihrer besten Form?

Vertraue dem Prozess.

Oder gönne ich mir die Haltung, meine Fähigkeiten zu ignorieren, im inneren Widerstand steckenzubleiben, mich in abstrusen Verschwörungstheorien zu verstricken und mich in meinem inneren Jammertal zu versenken?

Wofür entscheidest du dich?


Alles bleibt anders

16.04.2020

Gestern nun gab es die Verlautbarungen der Bundesregierung über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise. Fazit für mich: Alles bleibt anders. Zwar dürfen kleine Geschäfte wieder öffnen, die Friseure können in Kürze wieder ihre Arbeit aufnehmen und einige ältere Kinder dürfen wieder zur Schule gehen. Aber sonst bleibt wohl alles beim alten.

Wir hätten schon gerne gewusst, ob wir unsere Ausbildungen und Seminare nun fortführen dürfen. Das ist jedoch völlig unklar. Wir wollten unsere Absolventen  und Teilnehmer darüber informieren, wie es weiter geht. Aber im Moment, am Morgen nach den gestrigen Entscheidungen, haben wir keinerlei Klarheit darüber.

Viel hängt vom Seminarhaus ab. Wenn das nicht öffnen darf, können wir nicht weiterarbeiten. Haben wir noch länger häusliche „Schonzeit“? Dieser Vormittag im DFME dient den Bemühungen, das herauszufinden.

Wie es mir damit geht?

Selten in meinem Leben habe ich solch einen sich ständig wechselnden Gefühls-Cocktail erlebt. Zunächst habe ich voller Spannung die Ankündigungen erwartet. Als ich sie vernahm, machten sich Irritation und eine tiefe Enttäuschung breit – während im Hintergrund ein Anteil von mir einen Sektkorken knallen ließ: Super, noch weitere Zeit von Ruhe und Entschleunigung.

Aber die Situation ist alles andere als witzig – vor allem aus wirtschaftlicher Sicht. Während ich sorgenvolle Emotionen darüber wahrnehmen konnte, spürte ich im nächsten Moment schon wieder Zuversicht. Und danach stellten sich Dankbarkeit und Erleichterung ein, denn durch unser umsichtiges Vorgehen und die Unterstützung von Steuerberater und Hausbank werden wir die Krise überstehen.

Segeln, hart am Wind

Unser Banker schrieb uns vergangene Woche eine Mail und fragte an, ob wir Unterstützung brauchen. Ihm war natürlich nicht entgangen, dass wir seit einigen Wochen kaum noch Einnahmen haben. Brechen Umsätze ein, reagieren Banken ja gewöhnlich mit Drohungen und Drangsalierungsmaßnahmen – aber nun meldet sich unser Berater und bietet Hilfe an.

So etwas habe ich in den dreißig Jahren meiner Selbstständigkeit noch nie erlebt. Allerdings hätte er das sicherlich nicht getan, wenn er unser Institut nicht für fördernswert halten würde.

Es mischen sich auch immer wieder einmal Ängste in die Zuversicht. Glücklicherweise hilft mir das achtsame Gewahrsein auf meine Gedanken und Emotionen, solche unheilsamen Vorgänge zeitnah zu bemerken. Dann lenke ich das innere Geschehen in eine heilsame Richtung, fokussiere mich auf das Nächstliegende und nutze meine Ressourcen, um mich zu stärken.

Dankbarkeit | Doris Kirch

Deutsches Sprichwort

Meine wunderbaren Kolleginnen und Kollegen

Was uns durch die Corona-Krise trägt, ist neben der Unterstützung durch Steuerberater, Bank und Staat, unser wundervolles Team des DFME. Jeder einzelne ist von der Krise betroffen. Zum Beispiel ist die Beschulung der Kinder zu Hause eine riesige Herausforderung, die bisweilen mächtig an den Nerven zerrt.

Und trotzdem bemüht sich jeder um Ruhe und Gelassenheit, bringt aufsteigende Emotionen immer wieder ins Gleichgewicht. Ich bin zutiefst dankbar dafür, dass wir auch in dieser schwierigen Zeit eine so wundervolle kollegiale und menschliche Zusammenarbeit haben. Damit stützen wir uns gegenseitig, sind uns gegenseitig Ressource. Achtsamkeit trägt. Ist das nicht fantastisch?

Unsere wunderbaren Absolventen und Teilnehmer

Und dann sind da noch weitere Menschen, ohne die wir die Krise nicht überstehen würden und das sind die wunderbaren Absolventen unserer Ausbildungen zum Achtsamkeitstrainer und MBSR-Lehrer. Mit Tränen der Dankbarkeit in den Augen kann ich sagen: Alle (wirklich ohne Ausnahme) ziehen das „Corona-Ding“ mit uns durch.

Bislang gab es keine einzige negative Rückmeldung, kein Meckern und nicht eine einzige Rückbuchung einer Teilzahlung. Ich bin so dankbar für dieses Vertrauen – vor allem auch von denjenigen, die im Juni ihre Ausbildung erst beginnen. Unverdrossen vertrauen sie auf uns und darauf, dass die Achtsamkeitspraxis ihr Weg ist. Und ich verspreche: Dieses Vertrauen wird sich lohnen!

Ohne euch gäbe es uns nicht

Nicht denkbar, wo wir ohne diesen Zusammenhalt stehen würden. Deshalb möchte ich mich tief vor allen verneigen, die bei der Stange bleiben, die ruhig und besonnen sind – das ist bestimmt nicht immer einfach. Aber ihr sichert damit unser Überleben als Unternehmen. Ohne euch gäbe es uns nicht.

Und so lange wird es nicht mehr dauern, bis wir uns persönlich wiedersehen – beziehungsweise uns persönlich kennenlernen. Ich glaube, in diesem Wiedersehen werden wir eine menschliche Tiefe erfahren, die wir nie zuvor gefühlt haben. Und ich kann nur sagen: Ich freue mich von ganzem Herzen darauf.

Diese Vorfreude ist übrigens eine meiner Ressourcen, die mich durch die Corona-Krise trägt :o)

Möchtest du etwas dazu sagen? Dann hinterlasse gerne ein paar Zeilen →

Dalai Lama: Beten ist nicht genug

Und dann möchte ich heute in meinem Coron-Tagebuch der Achtsamkeit einen Menschen zu Wort kommen lassen, den ich zutiefst verehre, den Mönch Tenzin Gyatso, den meisten eher bekannt als Seine Heiligkeit, der 14. Dalai Lama.

Dalai Lama

Er ist nicht nur ein zutiefst religiöser Mensch, sondern gleichzeitig auch erfrischend pragmatisch. Wie immer findet er auch in der Corona-Krise Worte die mitfühlend und zu zugleich realitätsnah sind:

Manchmal bitten mich Freunde, bei einem Problem in der Welt mit „magischen Kräften“ zu helfen. Ich sage ihnen dann, dass der Dalai Lama keine magischen Kräfte hat. Wenn ich sie hätte, würde ich keine Schmerzen in meinen Beinen oder Halsschmerzen spüren. Als Menschen sind wir alle gleich, und deshalb erleben wir die gleichen Ängste, die gleichen Hoffnungen und die gleichen Unsicherheiten.

Aus buddhistischer Sicht ist jedes fühlende Wesen mit dem Leiden und den Wahrheiten von Krankheit, Alter und Tod vertraut. Aber als menschliche Wesen haben wir die Fähigkeit, unseren Verstand einzusetzen, um Zorn, Panik und Gier zu besiegen.

In den letzten Jahren habe ich die „emotionale Abrüstung“ betont: Wir müssen versuchen, die Dinge realistisch und klar zu sehen, ohne die Verwirrung von Angst oder Wut. Wenn es für ein Problem eine Lösung gibt, müssen wir daran arbeiten, sie zu finden; wenn nicht, brauchen wir keine Zeit damit zu verschwenden, darüber nachzudenken.

Wir Buddhisten glauben, dass die ganze Welt voneinander abhängig ist. Deshalb spreche ich oft von universeller Verantwortung. Der Ausbruch dieses schrecklichen Coronavirus hat gezeigt, dass das, was einem Menschen widerfährt, sich bald auf jedes andere Wesen auswirken kann.

Aber es erinnert uns auch daran, dass eine mitfühlende oder konstruktive Handlung – sei es die Arbeit in Krankenhäusern oder das Einhalten von körperlichem Abstand – das Potenzial hat, vielen zu helfen.

Seit die Nachrichten über das Coronavirus in Wuhan bekannt wurden, bete ich für meine Brüder und Schwestern in China und überall sonst. Jetzt können wir sehen, dass niemand gegen dieses Virus immun ist. Wir alle machen uns Sorgen um unsere Lieben und um die Zukunft, sowohl der Weltwirtschaft als auch unseres eigenen Zuhauses. Aber Gebet ist nicht genug.

Diese Krise zeigt, dass wir alle Verantwortung übernehmen müssen, wo wir können. Wir müssen den Mut, den Ärzte und Krankenschwestern zeigen, mit der empirischen Wissenschaft kombinieren, um zu beginnen, diese Situation umzukehren und unsere Zukunft vor weiteren Bedrohungen solcher Art zu schützen.

In dieser Zeit großer Angst ist es wichtig, dass wir an die langfristigen Herausforderungen – und Möglichkeiten – des gesamten Globus denken. Fotografien unserer Welt aus dem Weltraum zeigen deutlich, dass es auf unserem blauen Planeten keine wirklichen Grenzen gibt. Deshalb müssen wir uns alle um ihn kümmern und daran arbeiten, den Klimawandel und andere zerstörerische Kräfte zu verhindern.

Diese Pandemie ist eine Warnung davor, dass wir die beispiellose Größe der Herausforderungen, vor denen wir stehen, nur durch eine koordinierte, globale Reaktion bewältigen können.

Denken wir daran, dass niemand frei von Leid ist, und strecken wir unsere Hände nach anderen aus, denen es an einem Zuhause, Ressourcen oder Familie fehlt, um sie zu schützen. Diese Krise zeigt uns, dass wir nicht voneinander getrennt sind – auch dann nicht, wenn wir getrennt leben. Deshalb sind wir alle aufgefordert, Verantwortung, Mitgefühl und Unterstützung zu praktizieren.

Als Buddhist glaube ich an das Prinzip der Vergänglichkeit. Irgendwann wird dieser Virus vergehen, so wie ich in meinem Leben Kriege und andere schreckliche Bedrohungen habe vergehen sehen, und wir werden die Gelegenheit haben, unsere globale Gemeinschaft wieder aufzubauen, wie wir es schon viele Male zuvor getan haben.

Ich hoffe aufrichtig, dass alle sicher und ruhig bleiben können. In dieser Zeit der Ungewissheit ist es wichtig, dass wir die Hoffnung und das Vertrauen in die konstruktiven Bemühungen, die so viele unternehmen, nicht verlieren.

Quelle →


Gewinner und Verlierer

15.04.2020

Gewinner der Corona-Krise

Kürzlich fragte mich jemand, ob es in der Corona-Krise wohl auch „Gewinner“ gäbe. Ich habe gestern beim Einkaufen einen gefunden:

Billigstes, 2-lagiges Toilettenpapier, in Plastik ohne Aufdruck eingeschweißt und teilweise so zusammengequetscht, das ich mich unwillkürlich fragte, aus welchem dunklen Loch man das wohl hervorgeholt hat. Den Preis dafür fand ich, sagen wir mal, „selbstbewusst“.  Ich hätte im Moment gerne eine Klopapier-Fabrik. Eine echte Gelddruckmaschine.

Verlierer der Corona-Krise

Zu den Verlierern der Corona-Krise gehören neben all denen, die ihren Job und ihre wirtschaftliche Existenz verloren haben und zu den Eltern mit schulpflichtigen Kindern, deren Nerven wegen ihrer Hilfslehrer-Tätigkeit teilweise blank liegen, die Menschen, die derzeit als Hüter der Ordnung vor Supermärkten und Baumärkten stehen.

Sie müssen dort stehen, weil es unzählige Menschen gibt, die es bis heute immer noch nicht kapiert haben, dass jeder Besucher solch eines Etablissements einen eigenen Einkaufswagen mit hineinnehmen muss. „Ich muss doch nur ganz kurz zum Bäcker“ … Dumm oder ignorant?

Interwiew:
„Welche Erscheinungen in unserer Gesellschaft finden Sie bedenklicher: Dummheit oder Ignoranz?“
„Keine Ahnung; iss mir auch egal.“

Ich nehme mir bei meinen Einkäufen immer die Zeit, mit den Hütern des Eingangs ein paar freundliche Worte zu wechseln und ihnen meine Wertschätzung auszudrücken.

Besonders betroffen gemacht hat mich kürzlich die folgende Situation. Vor einem Supermarkt hatte man anstelle eines gestandenen Security-Mannes einen jungen, zarten Azubi als Prellbock abgestellt, der den Kunden zu sagen hatte, dass sie den Laden nur mit einem eigenen Einkaufswagen betreten dürfen.

Am Pranger

Stundenlang musste dieser arme Jugendliche dort stehen und die Pöbeleien seiner Mitmenschen über sich ergehen lassen. Gut vorstellbar, dass man nach solch einem Arbeitstag Bock auf Corona-Party hat.

Ich stand eine Weile bei dem jungen Mann und war zutiefst erschüttert durch das, was ich dort in nur wenigen Minuten erlebte. Dieser Jugendliche hatte den Anfeindungen der Supermarktkunden nichts entgegenzusetzen. Von denen, die ihn nicht angeschnauzt haben, wurde er mindestens ignoriert und nicht eines Blickes gewürdigt.

Mich erinnerte die Szenerie ans Mittelalter, wo Menschen zur Bestrafung eines Vergehens an den Pranger gestellt wurden. Man hat auch diesen jungen Menschen mit faulem Obst und stinkenden Eiern beworfen. Verbal.

Unsere Welt braucht mehr Achtsamkeit und Mitgefühl

Unsere Welt braucht mehr Achtsamkeit und Mitgefühl. Als Gegengift. Das wird mir in dieser Krise von Tag zu Tag klarer. Sonst wird sich unsere Spezies mit ihrer Dummheit, Ignoranz und Gefühlskälte eines Tages von selbst erledigen. Und die Erde wird über die kurze Episode des Homo Sapiens mit einem Achselzucken hinweggehen.

Meine Bitte

Übersieh die Menschen nicht, die an den Eingängen der Supermärkte und Baumärkte stehen und auf die Einhaltung der Regeln achten. Und wenn du kein nettes Wort für sie hast und sie auch nicht anlächelst, dann pöble sie bitte wenigstens nicht an.
Aber den Lesern dieses Achtsamkeits-Corona-Blogs brauche ich das vermutlich gar nicht zu sagen. 😀

Achtsamkeitsübung: „Spread your Love!“

Wenn du heute Dinge außer Haus zu erledigen hast, dann wünsche jedem Menschen, der dir begegnet, etwas Gutes.

Wenn du das Haus heute nicht verlässt, dann hänge die Nase aus dem Fenster und wünsche jedem Menschen, den du siehst, zum Beispiel: „Friede sei mit dir“ oder „Mögest du gesund und glücklich sein“ oder irgendetwas anderes Nettes, das dir in den Sinn kommt.

Beobachte, welche Auswirkungen die guten Wünsche für andere auf dich selbst haben.

Achtsamkeitsübung

Und sonst so?

Abendmeditation. Die Vögel singen den Sonnenuntergang herbei. In der Ferne dreht sich träge eine Windmühle. Die Blätter schaukeln entspannt im leichten Wind. Jemand geht gemächlich mit seinem Hund über die Felder spazieren. Stille liegt über dem Land und über meinem Gemüt.

Als ich zurück sah,
war die Welt ertrunken
in Kirschblüten

Miura Chora


Urvertrauen … mitten in der Corona-Krise finden

14.04.2020

Inzwischen hat wohl auch der letzte gemerkt, wie sehr die Corona-Krise uns auf uns selbst zurückwirft. Sie zeigt uns unsere Welt in einem neuen Licht und regt zu tiefen Überlegungen an. Ich sprach bereits die astrologische Deutung dieser Situation an, die uns viel über den übergeordneten Aspekt des Geschehens lehren kann. Die Planeten Saturn und Pluto sind derzeit die Hauptakteure.

Plutos transformierendes Feuer

Pluto symbolisiert den Gott der Unterwelt. Wo er auftaucht, entstehen wir aus der Asche neu – aber aus unserer eigenen Asche. Mit seiner Energie in Kontakt zu kommen, ist kein langsamer Prozess des Gewöhnens; Pluto erscheint plötzlich auf der Bühne und lässt erstmal gleich das Dach einstürzen.

Dann weiht er uns seinem heiligen Feuer. Und er kokelt nicht nur ein wenig an, er „fackelt ab“, denn was er macht, macht er total. Zwischentöne kennt er nicht. Er ist ebenso unbestechlich wie unerbittlich.

Pluto gestattet keinen Neuaufbau auf übriggebliebenen Ruinen. Denn es kann nur etwas wirklich Neues entstehen, wenn das Alte vollständig vernichtet ist. Er macht keine Gefangenen, ist kein Freund von halben Sachen.

Was unauthentisch ist, überlebt sich nicht

Das klingt grausam und steckt man mitten in einem Pluto-Prozess, fühlt es sich auch so an. Aber seiner Natur nach ist das Geschehen nicht destruktiv. Es geht nicht um pure Lust am Zerstören, sondern um einen Prozess von Reinigung und Erneuerung. Pluto ist nicht nur der Gott der Unterwelt – er ist auch der Gott des Reichtums und er steht für unsere immense innere Kraft der Selbstheilung und Regeneration. Für das in uns, was „unkaputtbar“ ist.

Wer sich diesem Prozess nicht entgegenstellt, wird ihn als befreiend und erneuernd erleben. Zerstört wird nur, was nicht im Einklang mit unseren wahren Gefühlen, Werten und Bedürfnissen war. Zerstört wird das, was bereits marode, überholt oder unauthentisch war. Das kann unser Selbstbild betreffen oder unser Weltbild, unsere Ansichten, Vorlieben, Abneigungen, Vorurteile, Beziehungen und Teile unserer Lebensgestaltung. Stunde der Wahrheit.

Einen höheren Sinn im Geschehen entdecken

Die Corona-Krise ist eine Chance, uns auf das zu besinnen, was uns wirklich wichtig ist, auf das, was wir wirklich wollen … und dann entsprechend zu handeln. Aber zuerst kommt das mit dem Feuer …

Am besten wird derjenige diese Transformation überstehen, der es schafft, den Blick über seine persönlichen Ängste und Widerstände hinaus zu erheben und den höheren Sinn in dem Geschehen zu entdecken.

Kraft durch Urvertrauen in der Achtsamkeitsmeditation

In den Momenten, in denen mir das gelingt, spüre ich einen tiefen Frieden und ein fast unwirklich anmutendes Urvertrauen – das mich angesichts des wirtschaftlichen Debakels, mit dem auch ich zu ringen habe, wie jeder andere, wirklich in Erstaunen versetzt.

Dieses Urvertrauen spüre ich weniger, wenn ich über Kontoauszügen brüte und schon gar nicht, wenn ich mich in unheilsame Gedanken hineinziehen lasse.

Ich spüre es vor allem in der Meditation. Sie gibt mir immer wieder die Kraft, die Dinge anzunehmen, wie sie sind. So bewege ich mich geschmeidig von Augenblick zu Augenblick. Und jeder Augenblick, den ich treffe, ist einfach wunderbar.

Authentizität

In einem gestrigen Kommentar bedankt sich eine Leserin für meine Authentizität. Es wird auch andere geben, bei denen so viel Offenheit nicht auf Begeisterung stößt. Möglicherweise sind sie enttäuscht, wenn sie feststellen, dass auch eine Achtsamkeitslehrerin „nur“ ein Mensch ist. Ent – Täuschungen sind immer ernüchternd, weil sie einen mit der Realität konfrontieren. Nicht jeder ist dafür offen.

Anderen eine omnipotente Weltenzertrümmerin vorzuspielen, die Dank einer allheilig machenden Achtsamkeit alles fest im Griff hat und über allem steht, geht völlig an der Realität vorbei. Es nützt auch niemandem. Langfristig nicht einmal dem eigenen Ego.

Es ist anstrengend, ein Bild aufrechtzuerhalten, das der Wirklichkeit nicht entspricht. Anderen gegenüber – aber auch sich selbst gegenüber. Und es braucht Mut, zu sagen: „So bin ich jetzt“. Aber es liegt auch eine große Freiheit darin, sagen zu können: „So bin ich jetzt“. Mal stark, mal schwach. Aber immer: ich.

Du möchtest deine Gedanken dazu teilen? Dann nutze die Kommentarfunktion →


Vom Reden und Zuhören

13.04.2020

Zunächst einmal möchte ich mich bei allen bedanken, die so liebevoll um mein Ohr besorgt waren. Und ich darf verkünden: Die „Seelen-Botschaft“ wurde vernommen und tatsächlich geht’s dem Ohr wieder gut.  :o)

Man hat ja dieser Tage sehr viel Zeit … und so habe ich die Corona-Quarantäne genutzt, um mal wieder etwas ausgiebiger über achtsame Kommunikation nachzudenken. Achtsame Kommunikation ist keine fest definierte Methode, deshalb wird recht unterschiedlich interpretiert, was darunter zu verstehen ist. Ein Schwerpunkt liegt häufig auf der Wahl der „richtigen“ Worte.

Sprache des Herzens

Bei der  Gewaltfreien Kommunikation (GFK), die der Psychologe Marshall Rosenberg entwickelt hat, gibt es zum Beispiel vier Schritte der Anwendung, in denen es darauf ankommt, seine Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche auf eine bestimmte Weise auszudrücken.

Allerdings war es Rosenberg wichtig, die GFK nicht als „Technik“ zu sehen, sondern als Ausdruck einer dahinter stehenden ethischen Haltung. Das geht ganz klar in die richtige Richtung.

Bei dem, was wir im Kontext unserer Ausbildungen als achtsame Kommunikation vermitteln, legen wir zur Schulung der Achtsamkeit vor allem Wert auf die Erforschung des Prozesses als solches. Nehmen wir zum Beispiel das Zuhören.

Das weiß wohl inzwischen jeder von uns: Es gibt einen Unterschied zwischen oberflächlichem Hinhören und tiefem Zuhören.

Hinhören ist überfrachtet von unseren eigenen Gedanken, Meinungen, Bewertungen und emotionalen Altlasten. Während unser Gesprächspartner versucht, sich uns verständlich zu machen, hören wir meist nur halbherzig zu. Viel zu sehr sind wir bereits damit beschäftigt, uns zu überlegen, was wir antworten werden. Und gewöhnlich schießen wir damit hervor, kaum dass der andere die letzte Silbe beendet hat.

Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage.

Das Hören anschauen

Viel zwischenmenschlicher Stress resultiert daraus, dass wir nicht wirklich zuhören. Deshalb ist es interessant, den Prozess des Zuhörens selbst einmal mit den Augen der Achtsamkeit zu betrachten.

Achtsames Zuhören ist ein aktives Zuhören, das vor allem von der Wertfreiheit des Wahrgenommenen gekennzeichnet ist. Diese Urteilsfreiheit ist ein wesentliches Merkmal der Haltungen der Achtsamkeitspraxis.

Jemandem empathisch und mitfühlend zuzuhören, bedeutet, ihn zu ehren. Unsere vorurteilsfreie Präsenz ist das schönste Geschenk, das wir einem anderen Menschen machen können.

Fragst du dich gerade, wie du das hinkriegst? Ganz einfach: durch Übung.

Hier ist eine schöne Achtsamkeitsübung für die Corona-Quarantäne. Dafür brauchst du eine zweite Person, die ebenfalls Interesse daran hat, achtsame Kommunikation zu üben.

Im DFME vermitteln wir diese Übung in unserer Achtsamkeitstrainer-Ausbildung. Dort ist sie als Übung via Telefon für die Zeiten zwischen den Präsenzwochen gedacht. Kann man natürlich auch über Zoom, Skype oder FaceTime machen.

Wetterbericht – Übung in achtsamem Reden und tiefem Zuhören

Verabredet euch in regelmäßigen Abständen zum Austausch. Seid euch bewusst, dass diese Übung keine gewöhnliche Unterhaltung, sondern eine Achtsamkeitsübung ist. Jeder darf sein Thema frei wählen.

Ablauf

  • Einigt euch darauf, wie lange ihr reden möchtet.
  • Alternativ kann das Gespräch folgendermaßen strukturiert werden:
    Wie geht es mir gerade? – Was habe ich heute (letzte Woche…) erlebt? – Was hat mich erfreut? – Was fand ich schwierig? – Welche Bedürfnisse sind in mir berührt worden? – Was brauche ich jetzt gerade?
  •  Zunächst spricht Person 1; Person 2 hört nur zu, unterbricht nicht, lauscht den Worten der Gesprächspartnerin und nimmt die einzelnen Parameter ihres Redens wahr. Parallel dazu beobachtet sie ihre eigenen inneren Impulse, Gedanken, Körpergefühle und Emotionen.
  • Dann die Rollen tauschen.

Abschließend könnt ihr euch darüber austauschen, was euch in dieser Übung leicht fiel und was eher schwierig war und was ihr über euch herausgefunden habt. (Also jeder über sich selbst ;o)

Achte beim beim achtsamen Zuhören auf

  • … Inhalt, Sinn und Bedeutung von Worten und Sätzen
  • … Körpersprache und Mimik
  • … Lautstärke, Dynamik und Klang der Stimme
  • … die energetische Präsenz
  • … Sprechpausen zwischen Worten oder Sätzen
  • … die Antwort des eigenen Körpers und Geistes

Und wie immer freue ich mich über einen Erfahrungsbericht bei den Kommentaren →

Und sonst so?

Da es dem Ohr wieder gut geht, brauche ich etwas anderes, worüber ich maulen kann. Das Wetter ist ein willkommenes Opfer. Saukalt draußen.

Heute ist Ostermontag und wenn ich die sich ständig wandelnde Gesetzgebung richtig verstanden habe, war ein Besuch bei den Kindern und Enkeln gestattet. Also habe ich die Ostereinladung angenommen.

Es fiel mir schwer, meine Enkelmädels nicht in den Arm zu nehmen. Sie nahmen das scheinbar locker, indem sie lachend mit Omi die Corona-Begrüßung zelebriert haben: Statt Küsschen links und Küsschen rechts, Füßchen links und Füßchen rechts.

Herzbewegt

Total berührt hat mich der Anblick des Osterfrühstücks-Tisches, den meine Schwiegertochter liebevoll hergerichtet hatte. Sonst finde ich es auch schön, wenn sie so etwas macht. Aber diesmal war es anders. Da war eine Berührung im Herzen, die ich sonst so nicht wahrgenommen habe.

Das erste Mal seit Beginn der Corona-Krise fiel es mir heute schwer, meine Lieben nicht in den Arm zu nehmen. Ich tröste mich damit, dass wir das bald nachholen werden. Es werden wohl Umarmungen sein, wie es sie zuvor noch nicht gegeben hat. Jetzt muss ich erstmal heulen …

Ostern auf Weihnachten verschoben

Ich habe Ostern auf Weihnachten verschoben – und muss lachen bei dem Gedanken an die Redewendung: „Das ist ein Gefühl, wie Ostern und Weihnachten an einem Tag“.

Bei mir fiel Ostern diesmal tatsächlich aus. Ich hatte keine Lust, die Eier rauszuholen, ein Osternest oder einen Osterstrauß herzurichten. Ungewöhnlich für mich. Aber es zeigt mir, dass sich die Corona-Krise mehr auf mich auswirkt, als ich es mir eingestehen will. Ich beobachte das mit fasziniertem Gruseln.

Corona-Koma

Überhaupt merkte ich gerade heute, wo ich weder etwas im Garten machen, noch auf der Veranda sitzen konnte, ein gewisses Corona-Koma. Eine unterschwellige Müdigkeit. Ich fühle mich nicht nur total entschleunigt, sondern darüber hinausgehend – irgendwie lahm. Zum Lesen habe ich auch keine Lust. Spricht für einen gemütlichen Fernsehabend mit dem Rest der WG.

Ich bin zwar nicht christlich veranlagt aber meine Großmutter war es. Und von ihr habe ich einen Spruch von Dietrich Bonhoeffer, der mir gerade in den Sinn kommt:

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Mit diesem Gedanken wünsche ich dir eine gute Nacht.


Was ich (nicht) hören möchte

12.04.2020

Morgenmeditation. Klein Lüftchen regt sich. Nur der Mond und ich. Und die frühen Sänger, die ich im Frühnebel nicht sehen aber hören kann.

Mit einem Ohr.

Heute Morgen bin ich durch Schmerzen im rechten Ohr aufgewacht. Offenbar habe ich eine einseitige Mittelohrentzündung. Eine meiner vielen Ausbildungen war die zur Aromatherapeutin. Das ist im Alltag häufig nützlich. So habe ich mir ein mit Lavendelöl getränktes Wattebäuschchen ins Ohr gesteckt. Das lindert den Schmerz und heilt die Entzündung.

Einseitig taub. Die Sache gibt mir zu denken. Es ist das rechte Ohr. Interessanterweise sitzen meine jeweiligen Besucher auf der Veranda, getrennt von einem Tisch als Abstandshalter, immer rechts von mir.

Und erst vorgestern hatte ich über die Erfahrung geschrieben, wie ungewohnt und gewissermaßen auch anstregend die Kommunikation mir nach langer Zeit des Wenig- bis Nicht-Redens war. Dazu muss man vielleicht auch wissen, dass ich ein großer Freund von Stille und Schweigen bin.

Hören, was der Körper mir sagen will

Gestern hatte ich nochmal Veranda-Besuch. Eine Nachbarin aus meiner „Garten-WG“. Wir unterhielten uns darüber, wie wir unsere Tage derzeit bewältigen und wir sorgten uns über die Pflanzen im Garten, die unter der Trockenheit leiden. Sie fragte danach, wie wir die Situation als Unternehmen meistern und wir philosophierten darüber, ob die Corona-Krise wohl einen „besseren“ Menschen aus dem Homo Sapiens machen wird.

Ein paar schöne Stunden in der Sonne. Was also will diese Ohrentzündung mir sagen? Wieso gerade jetzt? Wieso eine Entzündung? Wieso genau an dieser Stelle?

Seit ich in jungen Jahren eine Heilpraktikerausbildung absolviert habe, bin ich mit dem Konzept der Körpersprache der Seele vertraut. Mein Lehrer war Dr. Rüdiger Dahlke. Also habe ich in seinem Buch Krankheit als Symbol einmal unter Mittelohrentzündung nachgeschlagen.

Ausgewogenheit innerer und äußerer Stimmen

Für “Insider”: Dahlke schreibt ihr einen Saturnbezug zu. Nebenbei bemerkt steht auch die Corona-Krise unter einem starken Saturneinfluss (Saturn-Pluto-Konjunktion). Ein Aspekt des Saturn-Prinzips ist strenge Prüfung, während eine Entzündung im Ohr auf einen Konflikt zwischen innerer Stimme und äußeren Stimmen hinweist.

Offenbar hat sich mein System in den letzten Wochen sehr an das stille Lauschen nach innen gewöhnt – so dass ich ihm möglicherweise unvorbereitet einfach zu viel zugemutet habe. Vielleicht geht es darum, mehr auf die Balance zu achten.

Die Corona-Krise gibt viel Raum zur inneren Erforschung

Wenn ich mit meiner Deutung richtig liege, wird die Entzündung sich schnell wieder auflösen. Denn es entspricht nicht nur meinem Wissen, sondern auch meiner Erfahrung, dass unser Body-Mind-System psychisch-seelische Konflikte über seine „Hardware“ im Außen sichtbar macht. Wenn wir verstanden haben, wo wir nicht im Einklang mit unserer inneren Natur sind, macht sich das Symptom quasi überflüssig.

Die Corona-Krise lässt mir neben all der Mehrarbeit auch viel Raum zur achtsamen inneren Erforschung. Ich mag es, diesen Freiraum zu haben, mich mehr auf das Sein einlassen zu können. Wunderbar.

Ich habe mich mit mir getroffen ohne ein Wort mit mir zu sprechen. Meine Mitte wiegt sich in Harmonie. Die Erde dreht sich weiter. Die Natur geht ihren Weg. Neues Leben erwacht. Vulkane brechen aus. Meere holen sich Städte. Menschen versammeln sich zum Krieg. Andere beten für den Frieden, lassen Träume fliegen. Und ich bin bei mir.

Karin Holz


Scham

10.04.2020

Gestern hörte ich, dass die von der Bundesregierung ausgezahlte Soforthilfe für Unternehmen ausschließlich dazu verwendet werden darf, Verbindlichkeiten zu begleichen, die durch den coronabedingten Verdienstausfall entstanden sind. Freelancer und Einzelunternehmer dürfen sich ihr eigenes Gehalt davon jedoch nicht bezahlen. Sie müssen Sozialhilfe beantragen. (Heißt ja jetzt wohl Grundsicherung).

Man braucht nicht viel Phantasie, um zu verstehen, wieso ich meinen heutigen Gedanken in der Corona-Krise angesichts dieser Tatsache die Überschrift „Scham“ gegeben habe.

Am Ende der „Nahrungskette“

Da findet sich ein Mensch, der immer hart gearbeitet und viel Verantwortung getragen hat, der stets die Gehälter seiner Angestellten, Sozialversicherungsabgaben und Steuern bezahlt hat, urplötzlich am „Ende der Nahrungskette“ wieder. In einer Reihe mit den Ärmsten der Gesellschaft. Das nenne ich einen harten Aufschlag: Ohne Vorwarnung, von heute auf morgen und total.

Betroffene werden beim Amt nackig gemacht, indem ihre persönlichen und finanziellen Verhältnisse offengelegt werden. Die Kontoauszüge geben den Behördenmitarbeitern Auskunft darüber, wann, wo und wofür sie ihr Geld ausgegeben haben. Besonders peinlich übrigens für jemanden, der in einem kleinen Kaff lebt, wo jeder jeden kennt. Irgendertwas sickert immer durch.

Unheilsame Gedanken

Ich erinnerte mich gerade daran, dass ich in meinem Leben selbst schon einmal in einer prekären finanziellen Situation war. Am liebsten wäre ich zu dieser Zeit im Erdboden versunken, und ich erinnere mich noch an einen Gedanken, den ich damals hatte: „Früher hätte man sich an dieser Stelle eine Kugel gegeben“. Mindestens hätte ich mich am liebsten in Luft aufgelöst.

Die Scham und ihre begleitende Verzweiflung waren so tief, dass sie sogar Gedanken an Selbstmord hervorbrachten. Wie man sehen kann, war ich klug genug, diesem Impuls nicht zu folgen. Aber ich weiß noch, dass er da war.

Die Scham überwinden

Während ich diese Zeilen schreibe, frage ich mich, wie es den Menschen geht, die durch das Coronavirus in solch eine Situation gekommen sind. An dem einen oder anderen wird das Geschehen vielleicht abperlen, wie Wasser an einer Teflonpfanne.

Für diejenigen, bei denen das nicht so ist, habe ich diesen Beitrag geschrieben. Wenn du betroffen bist, dann hoffe ich, dass du in meinen Zeilen etwas Orientierung und Kraft für diese besondere Situation finden mögest.

Das Gewitter erleben, statt das Gewitter zu sein

Zunächst ist mir wichtig zu betonen, dass ich weder die Gefühle noch die Situation intellektualisieren möchte. So etwas kann kalt und distanziert wirken. Aber manchmal ist eine nüchterne Betrachtung des Geschehens hilfreich, um neue Perspektiven und Möglichkeiten zu eröffnen.

Zum einen fördert eine sachliche Betrachtung etwas, das in der psychologischen Fachsprache Disidentifikation genannt wird. Wenn Emotionen sehr stark sind, neigen wir nämlich dazu, uns mit ihnen zu identifizieren, uns von ihnen geradezu absorbieren zu lassen. Statt ein Gewitter zu beobachten, haben wir das Gefühl, selbst das Gewitter zu sein.

Wenn wir derart überidentifiziert mit chaotischen Gedanken und quälenden Gefühlen sind, ist uns die Sicht auf unsere möglichen Ressourcen und sinnvolle Vorgehensweisen versperrt. In diesem Zustand des Stresses arbeitet das Gehirn nur noch im Überlebensmodus und die Zugänge zu den intelligenteren Bereiches unseres Denkapparates sind quasi abgeriegelt.

Aussteigen aus der Identifikation

Um überhaupt wieder denkfähig zu werden, ist es deshalb wichtig, aus der Identifikation mit den Gedanken und Gefühlen auszusteigen. Ich habe in vorherigen Beiträgen dieses Achtsamkeits-Corona-Blogs dazu bereits einiges geschrieben.

Die Situation braucht Abstand!

Abstand erreichen wir, indem wir einen Schritt zurücktreten und das Ganze aus einer erweiterten Perspektive betrachten. Die Distanz kühlt hitzige Prozesse ab und es entsteht ein Raum für klügere Gedanken, die wiederum ermöglichen, besser für sich zu sorgen und angemessen zu handeln.

Tipps zum Disidentifizieren von schamhaften Gedanken und Gefühlen

Die folgenden Tipps finden unsere Ausbildungsabsolventen und Seminarteilnehmer gewöhnlich besonders hilfreich:

  • Bewegung (Spazierengehen, Joggen, Radfahren, Gartenarbeit, Tanzen)
  • Meditieren
  • Musik hören
  • Sich mit einer Freundin bzw. einem Freund aussprechen
  • Coaching bei einem Achtsamkeitstrainer oder einer MBSR-Lehrerin
  • Ein großes Glas Wasser trinken

Was hilft dir, aus dem Gedanken- und Gefühlskarussell auszusteigen?
Nutze die Kommentarfunktion, um deine Strategien mit anderen zu teilen →

Sehen, was ist

Kommen wir zum zweiten Grund, warum ein nüchterner mentaler Blick auf das Geschehen hilfreich sein kann: Er hilft, die Dinge zu sehen, wie sie sind – statt so, wie unser Gehirn sie uns vorgaukelt.

Wenn unser Überleben bedroht ist, egal ob scheinbar oder real, leitet unser inneres System sofort die Generalmobilmachung ein, um uns auf Kampf, Flucht oder Erstarrung vorzubereiten. Innerhalb dieses automatisch ablaufenden körperlichen und psychischen Mechanismus kreisen die Gedanken panisch.

Das Gehirn kreiert auf die Zukunft gerichtete Mikrofilmchen mit Horror-Szenarien, um uns vor möglichen Gefahren zu warnen. Praktisch gleichzeitig sucht es fieberhaft nach ähnlichen Situationen der Vergangenheit, aus denen wir Schutzstrategien ableiten könnten.

Zurückfallen in frühkindliche und archaische Verhaltensweisen

Dabei werden innere Muster aktiviert, die bereits in frühester Kindheit entstanden sind. Im ungünstigsten Fall fallen wir in infantile Verhaltensweisen zurück. All das läuft „unter dem Radar“ – wir sind uns dieser inneren Abläufe bestenfalls ansatzweise bewusst.

Im Zuge des inneren Geschehens produziert das Gehirn Unmengen von Gedanken. Wirklich problematisch wird es, wenn wir all diesen Gedanken über uns selbst und über die Situation ungeprüft Glauben schenken. Da ist nämlich eine Menge „Trash“ dabei – oder zumindest Gedanken, die überhaupt nicht hilfreich sind.

Achtsamkeitsübung zum Erforschen der Gedanken

Diese Achtsamkeitsübung ist hilfreich, um unheilsame Verflechtungen von Gedanken und Emotionen und daraus resultierendes impulshaftes Verhalten zu stoppen.

Wichtig ist, dass du diese Übung schriftlich machst. Denn: Schreiben schafft Bewusstsein!

Erfahre hier mehr über die Wirkungen des achtsamen Schreibens →

  • Alles beginnt damit, dass du dir bewusst wirst, wenn Gedankenkaskaden über dich hereinbrechen.
  • Dann setze dich hin, beobachte sorgfältig jeden auftauchenden Gedanken (ohne ihn zu bewerten!) und schreibe ihn auf.
  • Wenn nichts mehr kommt oder wenn sich die Sätze nur noch wiederholen, dann nimm dir jeden dieser Sätze einzeln vor und überprüfe seinen Wahrheitsgehalt.

Hilfreich dazu sind vier Fragen aus dem Prozess „The Work“ von Byron Katie.

  1. Ist das wahr?
  2. Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?
  3. Was geschieht, wenn du diesen Gedanken glaubst?
  4. Wer bzw. wie wärst du ohne diesen Gedanken?

Halte am Ende dieser Achtsamkeitsübung einen Moment inne und erforsche:

  • Wie fühle ich mich jetzt?
  • Wie hat sich mein Atem im Gegensatz zum Beginn der Übung verändert?
  • Welche Gedanken sind jetzt da und wie ist ihre Qualität?
  • Welche Emotionen kann ich jetzt gerade wahrnehmen?

Bleibe noch einige Momente lang sitzen und folge einfach deinem Atem.

„Ist das so?“

Als Achtsamkeitslehrerin bin ich recht geübt in dieser Art der inneren Erforschung. Wenn ich bemerke, dass mein Geist eine Kopfkirmes veranstaltet, frage ich mich bei jedem neuen spontan aufpoppenden Gedanken: „Ist das so?“ Und oft wird mir bereits im gleichen Moment klar: Das ist nicht die Wahrheit. Zumindest nicht meine.

Scham und Schuld

Kommen wir zur Scham zurück. Das Gefühl der Scham ist Teil unseres genetischen Erbes. Sie ist ein Korrektiv für unser an eine Gruppe angepasstes Sozialverhalten, das unseren Verbleib in einer Gemeinschaft sicherstellen soll.

Evolutionär bedingt, sind wir auf soziale Bindung und auf Zuwendung von anderen angewiesen. Für den frühen Menschen war die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wichtig, da sie seine Überlebenschancen verbesserte.

Noch heute funktioniert unsere Spezies auf diese Weise. Damit die Gruppenbindung sichergestellt ist, überprüfen wir fortlaufend, welches Bild andere von uns haben beziehungsweise haben könnten.

Während sich der frühe Mensch realen Bedrohungen seines Lebens gegenübersah, empfinden wir als moderne Menschen die Bedrohung unseres Sozialstatus als Bedrohung unseres Lebens. Und der „Abrutsch“ in Hartz IV stellt, vorsichtig ausgedrückt, keine Aufwertung des Sozialstatus dar.

Unheilige Geschwister

Im Ringen, aus dieser bedrohlichen Situation herauszukommen, tauchen viele kontraproduktive Gedanken auf. Gerne stellt der Kopf die „Schuldfrage“. Wir zermartern uns das Gehirn darüber, was wir falsch gemacht haben oder ob und wie wir die Situation hätten vermeiden können.

Schuld und Scham sind unheilige Geschwister. Während Schuld uns das Gefühl gibt, etwas falsch gemacht zu haben, vermittelt Scham uns das Gefühl, wir selbst seien falsch. Das kann eine ganze psychische Abwärtsspirale in Gang setzen, wenn wir nicht acht geben.

Nicht immer läuft das Leben, wie wir es uns vorstellen.

Selbstwert von Finanzen entkoppeln

Deshalb ist einer der wichtigsten Hinweise, die ich jemandem in solch einer Situation wie der Corona-Krise geben kann: Entkopple dein Selbstwertgefühl von dem wirtschaftlichen Geschehen. Bedenke dabei vor allem zweierlei:

  1. Es ist nicht deine Schuld.

Du hast dir die derzeitige Situation nicht ausgesucht und du hattest auch keinen Einfluss auf ihr Entstehen.

  1. Die Wirtschaft ist kein Kindergeburtstag.

Wie alles im Leben bewegt sich auch die Wirtschaft in Zyklen von auf und ab. Unternehmen entstehen und vergehen. Es gibt Zeiten hoher Verdienste und Zeiten von Liquiditätsengpässen und Insolvenzen.

Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen, wenn man sich gerade in einem Wellental befindet – zumal sich im Fall der Corona-Krise nicht einmal die Frage der Eigenbeteiligung stellt. Ich habe in einer wirtschaftlichen Krise einmal einen Banker daran erinnert:

Wir sind hier in der Wirtschaft und nicht auf einem Kindergeburtstag. Dass Unternehmen auch mal in Schräglage geraten, ist ein völlig normaler Vorgang.

Es ist auch dein Geld

Die Aussicht, Grundsicherung beantragen zu müssen, ist für viele mit dem Gefühl von Scham und Demütigung verbunden. Aber jeder, der in diese Situation kommt, sollte sich bewusst sein, dass er Gelder aus einem Topf bezieht, in den jeder Bürger, ob Angestellter oder Unternehmer – also auch er selbst – quasi sein ganzes Leben lang eingezahlt hat.

Kein Grund zur Scham

Was mich anbelangt, schwindelt es mich, wenn ich sehe, wie viel Steuern ich jedes Jahr bezahle. Über den „Zehnten“ aus der Entstehungszeit des römischen Steuersystems sind wir ja inzwischen weit hinaus. Ein gut verdienender Bürger mit Steuerklasse I muss rund die Hälfte seines Verdienstes an den Fiskus abtreten.

Niemand sollte sich als armseliger Bittsteller fühlen, weil ihn die Corona-Krise in eine Notlage gestürzt hat. Wir alle haben in ein soziales System investiert und einige von uns müssen nun auf dieses System zurückgreifen. Wir brauchen uns nicht dafür zu schämen, es in Anspruch zu nehmen, denn dafür ist es ja da.

5 Achtsamkeitsübungen zur Überwindung von Scham

Das vielleicht Wichtigste zum Schluss:

Lass die Antwort auf Leid immer Mitgefühl sein. Im Fall einer persönlichen Betroffenheit: Selbstmitgefühl. Hier möchte ich dir drei Selbstmitgefühlsübungen an die Hand geben:

1.  Heilsame Hände

2.  Selbstmitgefühlsmantra

Um dich bei emotionalem Schmerz zu erden und auszurichten, kann es hilfreich sein, mit einem Mantra zu arbeiten. Ich schlage dir hier drei bewährte Sätze vor, um dich mit deinem Selbstmitgefühl zu verbinden. Du kannst sie bei Bedarf oder auch einfach zwischendurch fortlaufend im Stillen rezitieren.

  • „Dies ist ein Augenblick des Leidens.“
  • „Leiden gehört zum Leben.“
  • „Möge ich hier und jetzt freundlich (gütig, liebevoll, warmherzig …) zu mir selbst sein.“

Solltest du keinen Zugang zu diesen Sätzen finden, dann formuliere sie um oder finde andere Sätze, die gerade hilfreicher für dich sind. Damit dein Mantra wirkt, solltest du die Sätze nicht zu oft ändern.

3.  Mitfühlendes Gehen

Nutze die gewöhnliche Tätigkeit des Gehens, um Freundlichkeit und Sanftheit zu kultivieren. Diese Achtsamkeitsübung kannst du drinnen oder draußen anwenden. Wähle dafür eine kurze Strecke von zirka 10 Schritten oder praktiziere die mitfühlende Gehmeditation im Alltag, wo du gerade unterwegs bist.

4.  Achtsamkeitsübung Atemraum

5.  Bergmeditation

Eine weitere sehr hilfreiche Meditation für Zeiten, in denen wir uns schambehaftet, herabgesetzt oder einfach elendig fühlen, ist die Bergmeditation.

Teile deine Erfahrungen hier mit anderen →

Kostenlose Videoserie

Selbstbestimmt und glücklich leben aus der Kraft der Achtsamkeit

Finde deine innere Wahrheit und lebe sie authentisch und frei.

Jetzt kostenlos teilnehmen

Und sonst so?

Heute habe ich erfahren, was eine „Corona-Portion“ ist. Eine liebe Freundin kam zu Besuch und nachdem wir uns mit der inzwischen gewohnten tiefen Verbeugung begrüßt haben (ich glaube, ich werde diese ehrerbietige Begrüßung beibehalten ;o) setzten wir uns im ebenfalls inzwischen gewohnten „Corona-Abstand“ auf die Veranda und haben das „kleine Teilchen“ genossen, das sie uns mitgebracht hat:

Falls du vorher noch nicht wusstest, was eine „Corona-Portion“ ist, dann weißt du es ab jetzt … „Viel hilft viel“, sagt meine älteste Tochter gern *händevorsgesichtschlagäffchen*

Reden abgewöhnt

Der persönliche und fachliche Austausch nach längerer Zeit waren sehr schön und inspirierend. Gegen Ende des Besuches bemerkte ich bei mir eine gewisse geistige Erschöpfung und fand es dann auch angenehm, wieder ins Schweigen zurückzugehen.

Ich befinde mich jetzt seit vier Wochen in häuslicher Corona-Quarantäne und mir ist dabei gar nicht aufgefallen, wie wenig ich in dieser Zeit gesprochen habe. Auch wenn wir in unserer kleinen WG dann und wann angeregte Gespräch haben, verbringen wir doch viel Zeit im Schweigen beziehungsweise in achtsamer Kommunikation.

Auf die alltägliche Kommunikation vorbereiten

Ein wenig guselt es mich vor dem, was geschieht, wenn das Corona-Kontaktverbot wieder aufgehoben wird und wir zur „normalen Tagesordnung“ übergehen. Es fühlte sich bereits heute an, wie nach einem Retreat.

Wahrscheinlich täten wir gut daran, uns auf die Rückkehr in den gewöhnlichen kommunikationsüberfrachteten Alltag vorzubereiten. Und hoffentlich können wir etwas von dieser angenehmen reduzierten Kommunikation in den Alltag hinüberretten.

Möchtest du deine Gedanken dazu teilen? Dann nutze die Kommentarfunktion →


Dankbarkeit

09.04.2020

Ein kurzer Blick ins Internet genügt, um zu sehen, wie viele Menschen derzeit in einem Zustand von Unzufriedenheit feststecken. Da wird Front gemacht, gegen dieses und jenes – und vor allem gegen die Regierung. Aus einer dunklen Wolke tiefer Frustration tönen Besserwisserei und Zynismus.

Von Menschen, die Achtsamkeit praktizieren, hört man hingegen andere Töne. Auch sie leiden bisweilen unter Frustration, Müdigkeit, Angst und Verunsicherung. Der Unterschied ist, dass Achtsamkeit Praktizierende momentane Stimmungslagen nicht auf einen ganzen Tag oder sogar auf die ganze Situation übertragen.

Die Welle reiten

Sie leben eher in der Beständigkeit von Auf und Ab, wie beim Surfen einer Welle. Wer Wellenreiten mal probiert hat, weiß, wie anstrengend das ist. Bei geistigem Wellenreiten ist das nicht anders. Das stetige Sich-neu-Ausrichten braucht viel geistige Kraft und kann demzufolge auch ermüden. Achtsam zu sein ist nicht immer so leicht, wie es auf den ersten Blick aussieht.

Es braucht viel Fokussierung, Geschick und Energie, den unbändigen „Affengeist“ im Zaum zu halten und zu disziplinieren. Achtsamkeit ist alles andere als ein Wellness-Parcours – es ist ein Training des Geistes. Jede Art von Training erfordert ein gewisses Maß an Anstrengung – so auch das Training von Achtsamkeit.

Dankbarkeit als Heilmittel gegen Frust

Geradezu ein Heilmittel gegen emotionale „Unzustände“ scheint Dankbarkeit zu sein.

Viele Menschen berichten mir, dass sie die Entschleunigung des Alltags genießen. Etliche greifen wieder ein Hobby auf, das ihnen früher einmal Freude machte. Dadurch entdecken sie alte Resilienz-Ressourcen für Wohlbefinden und Regeneration wieder neu.

Andere lieben es, endlich mal ausgiebig Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können. Sie freuen sich darüber, mehr als sonst an frischer Luft zu sein, wieder Sport zu treiben, Zeitschriften oder Fachliteratur zu lesen, die sie schon lange lesen wollten. Andere kümmern sich um Wohnung, Haus oder Garten und richten sie liebevoll her.

Durch die Corona-Krise verschieben sich Prioritäten

Für all das ist rundherum viel Dankbarkeit da. Plötzlich ist das tägliche Essen auf dem Tisch keine Selbstverständlichkeit mehr. Selbst Klopapier nicht. Wir erfreuen uns wieder an kleinen Dingen.

Und wir besinnen uns darauf, Lebensqualität zu gewinnen, indem wir Prioritäten (anders) setzen. Vielleicht erkennen wir auch gerade, dass wahrer Luxus nicht im Besitzen von Dingen besteht, sondern in der Freiheit, auf sie verzichten zu können.

Lebensqualität liegt nicht im Besitzen von Dingen, sondern in der Freiheit, auf sie verzichten zu können.

Doris Kirch

Corona macht den Wert der kleinen Dinge bewusst

Wir sehen plötzlich wieder den Wert der kleinen Dinge und Gesten. Kürzlich ging ich selbstversunken an einem Geschäft vorbei, hinter dessen Scheibe eine Frau saß. Als unsere Blicke sich trafen, überzog plötzlich ein Lachen ihr Gesicht. Das brachte mich ebenfalls zum Lachen. Augenblicklich war ich von meiner Versunkenheit befreit, atmete tief durch und spürte Dankbarkeit angesichts dieser kleinen und gleichzeitig so wunderbaren menschlichen Geste. Baby, you made my day!

Dankbarbeit heilt vieles. Chrissy, die einen wunderschönen Kommentar zu diesem Achtsamkeits-Corona-Blog geschrieben hat, besinnt sich abends auf all die Dinge des Tages, für die sie dankbar ist. Was für ein schönes Achtsamkeits-Ritual. Dieses Ritual möchte ich dir ans Herz legen, wenn du gerade unter Ängsten und trüben Gedanken leidest.

Wofür ich heute dankbar bin

Ich kann das tatsächlich gar nicht alles aufzählen. Aber das Highlight heute war mein Schnittlauch. Das erste Mal in meinem Leben hat ein Schnittlauch den Winter auf der Veranda überlebt. (War ja auch kein Winter). In seinem saftigen, prächtigen Grün drängte er sich mir förmlich für das heutige Abendessen auf: Pellkartoffeln mit Schnittlauchquark.

In meiner Kindheit galt diese Mahlzeit bei uns zu Hause als „Arme-Leute-Essen“. Und tatsächlich gab es Pellkartoffeln mit Quark häufig gegen Monatsende, wenn das Geld knapp wurde, angesichts der fünf hungrigen Mäuler, die mit dem Lohn meines Vaters zu stopfen waren.

Die Corona-Krise verlangt auch von mir, sparsam zu wirtschaften – und insofern musste ich grinsen, als heute das „Arme-Leute-Essen“ auf den Tisch kam.

Die Welle reiten

Es war einfach köstlich! Eine wahre Freude in so vielfacher Hinsicht. Von solch einer umfassenden Freude erfüllt zu sein, lässt keinen Platz für trübe Gedanken.

Und so bewegen sich während der Corona-Krise die Emotionen auf und ab. Wie beim Wellenreiten. Wer Achtsamkeit praktiziert, steht nicht wie eine deutsche Eiche auf dem Wellenkamm. Weich, flexibel und anpassungsfähig reitet er die Welle. Dadurch wird er zum lebendigen Bestandteil dieses natürlichen, sich fortlaufend in Bewegung befindlichen Prozesses. Und er läuft nicht Gefahr, sich von der Welle bewusstlos herumwirbeln und nach unten ziehen zu lassen.

Lasst uns die Welle reiten!


Kraft in der Corona-Krise

08.04.2020

Heute habe ich ein neues Wort kennengelernt: Corona-Koma. Irgendwie scheinen viele von einer Art Müdigkeit ergriffen zu sein – zumindest von einer tiefen Motivationslosigkeit. Ich merke das an der Anzahl der Views in den sozialen Netzwerken. Sie sind so tief im Keller, dass wir uns im DFME gefragt haben, ob es derzeit überhaupt noch Sinn macht, irgendetwas zu posten.

Unser MBSR-Intervisionstreffen (online) habe ich vorhin abgesagt, weil die Teilnehmer derzeit alle genug mit der Bewältigung ihres Corona-Familienalltags und -Arbeitsalltags zu tun haben. Niemand hat Bock auf das Hundertste Zoom-Online-Meeting. Man wartet ab, verharrt in Regungslosigkeit. Lähmende Ruhe über dem Land.

Don Quichotte

Damit ich mich nicht fühle wie Don Quichotte, denke ich derzeit auch darüber nach, diesen „Achtsamkeits-Corona-Blog“ einzustellen. Auf mein Angebot zur Interaktion von vorgestern hat kein Mensch reagiert. Ist jemand da? → Kommentarfunktion :o)

Alles in allem fühle ich mich gerade etwas müde. Aber das hat weniger mit dem Corona-Koma zu tun, sondern mit der Mehrarbeit, die mir durch die Corona-Krise entsteht. In solchen Müdigkeitsmomenten wandert mein Geist in die Zukunft. Und er wünscht sich, dass bald alles wieder „normal“ läuft.

So verständlich diese Neigung des Geistes und der Wunsch nach Normalität auch sind – hilfreich sind sie nicht. Hilfreich ist für mich, was die ostfriesischen Großeltern meiner jüngsten Tochter in solchen Situationen achselzuckend sagen: „Nützt ja nix.“ „Nützt ja nix“ ist die ostfriesische Version von „Es ist, wie es ist.“ Wunderbar. Die beiden haben den zweiten Weltkrieg überlebt. Und andere Katastrophen. Die Corona-Krise kegelt sie nicht aus den Socken.

Was mir Kraft gibt

Meine Kraft ziehe ich aus dem Garten. Gärtnern und Faulenzen in der Sonne. Beim gestrigen Vertikutieren des Rasens per Hand sind gleich mehrere Zacken aus der Harke herausgefallen. Das ist allerdings weniger meiner dynamischen Arbeitsweise zuzuschreiben (die man eher als slow motion beschreiben könnte), als vielmehr mit einer gewissen Ermüdung des Materials.

Kraft gibt mir übrigens auch, meinen Lehrern zu lauschen. Hier ist die Aufzeichnung eines Livestreams mit Jon Kabat-Zinn im Rahmen von “Mindfulness, Healing and Wisdom in Times of Covid-19”. Vielleicht findest auch du Kraft und Zuversicht in seinen Worten.

Vergessen, dass Corona ist

Habe heute mal glatt vergessen, „dass Corona ist“. Wir waren zu zweit im Baumarkt (man hat mir die insuffiziente Harke übrigens auch ohne Kassenbon ersetzt :o)  dann einkaufen und anschließend habe ich ein Curry mit Belugalinsen, Möhren, Süßkartoffeln, Spinat und Kokosmilch gekocht. Genuss pur. Es macht mir Freude, so viel Muße zu haben, uns liebevoll bekochen zu können. Ich esse zur Zeit zwar nicht weniger und nicht fettärmer – aber auf jeden Fall gesünder.

Überhaupt staune ich rundherum über die Kreativität, die meine Zeitgenossen an den Tag legen. Einige Frauen die ich kenne, haben das Nähen wieder für sich entdeckt. Wahrscheinlich sind die sozialen Medien und Youtube voll mit kreativen Zeugnissen der Corona-Krise.

Pfefferminztee und Stille

In unserer kleinen WG ist nach wie vor alles friedlich. Einer geht arbeiten, einer studiert, einer arbeitet im Home-Office. Bisweilen fällt hier stundenlang kein Wort. Muss ja auch nicht. Jeder von uns schätzt den Wert von Stille.

Den Nachmittag haben wir in der Sonne mit Gartenarbeit verbracht. Hier seht ihr, was dabei herausgekommen ist: der erste eigene Pfefferminztee des Jahres.

Verwelkte Blätter wegharken, Unkräut ausreißen, neu gestalten, düngen, wässern … irgendwie passt das gut in diese Zeit. Alles ist bereit für die Rückkehr in unser altes neues Leben.

Kein Masterplan für Verlust und Schmerz

Heute habe ich mir mit einer lieben Kollegin geschrieben, die ebenfalls MBSR-Lehrerin ist. Wir haben uns darüber ausgetauscht, wie schwierig es derzeit auch für Psychologinnen ist. Was sollen wir Menschen sagen, denen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, die gerade ihren Job oder ihre ganze wirtschaftliche Existenz verloren haben und die über Nacht zu Sozialhilfeempfängern geworden sind?

Viele werden mit der ganzen Bandbreite an Ängsten und anderen schwierigen Emotionen überschwemmt. Niemand war auf so etwas vorbereitet. Es gibt keinen Masterplan für solche Situationen.

Atemzug für Atemzug leben

Mich erinnert das an meine frühere Tätigkeit als Sterbebegleiterin. Weder am Bett eines sterbenden Menschen noch im Zusammensein mit Hinterbliebenen ist Platz für schlaue Sprüche. Das einzige, was wir tun können, als Berater, Coaches oder Psychologen ist „den Riss auszuhalten“. Den Schmerz mit dem anderen zu teilen, in Mitgefühl und im tiefen Zuhören. Da sein, wie wir es aus der Achtsamkeitspraxis kennen: mit vollständiger, liebevoller Präsenz. Gemeinsam atmen.

Diesen Atemzug leben, und diesen Atemzug, und diesen Atemzug …

Einfach nur das.

Magst du deine Gedanken mit anderen teilen? Hier geht’s zur Kommentarfunktion →


Achtsam wirtschaften in der Corona-Epidemie

07.04.2020

Im DFME haben wir durch die Corona-Krise eine Unmenge an Mehrarbeit. Im Moment besteht ein großer Teil unseres Arbeitstages in der Bewältigung der Krise. Die Umsätze stagnieren und das erfordert von uns Ideenreichtum und Kreativität im Umgang mit den Auswirkungen.

Manchmal kommen wir auch nicht umhin, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Wenn man ein Unternehmen führt, trägt man Verantwortung nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für die Investitionen der Kunden sowie für das Umfeld.

Achtsames Wirtschaften ist keine verschmuste Sozialromantik

Wir praktizieren Achtsamkeit. Deshalb ist vor allem von uns in dieser Corona-Epidemie gefordert, uns nicht von emotionalen Impulsen und punktuellem Mitgefühl leiten zu lassen. Umsichtig zu agieren bedeutet, sich vor spontanen Entscheidungen zu hüten, deren Kurzsichtigkeit langfristig einen unangemessen großen Schaden anrichten könnte.

Achtsam zu wirtschaften bedeutet, nicht nur die Belange eines einzelnen, sondern immer auch das große Ganze, die Nachhaltigkeit und die Angemessenheit im Blick zu behalten. Wir können derzeit selbst im „Feldtest“ die Tragfähigkeit dessen erforschen, was wir im Zusammenhang mit achtsamem Wirtschaften in unserem Mindful Leadership Training vermitteln.

Mehr über das Mindful Leadership Training mit IHK-Zertifikat erfahren →

Einander unterstützen

Gestern fragte ich, was dir durch die Corona-Krise helfen könnte. Ich habe mir diese Frage heute auch in Bezug auf unser Unternehmen gestellt. Ich wünschte mir Kontinuität.

Was mich anbelangt, habe ich mein Umfeld im Blick – also all die Menschen und Unternehmen, deren Ressourcen ich sonst so selbstverständlich nutze. Ich möchte, dass sie die Corona-Krise überleben.

Deshalb habe ich „den Gürtel enger geschnallt“ und zahle die Beiträge für Angebote weiter, die ich momentan nicht nutzen kann, zum Beispiel die für das Fitnessstudio. An persönlichen Goodies zu sparen, ermöglicht mir auch, für Menschen zu spenden, die es sehr viel härter als mich getroffen hat.

Wie ich mein Umfeld unterstütze

Und ich kaufe Gutscheine von meinen Lieblingsrestaurants im Wert dessen, was ich dort gewöhnlich im Monat verzehre. Urlaub kann ich mir in diesem Jahr so oder so abschminken. Den Ausbau meines Hauswirtschaftsraumes auch. Der Rasen bleibt in diesem Jahr eine maulwurfsbedingte Hügellandschaft. Aber ich schlafe gut. Und ich mache die Erfahrung, dass es stimmt, was der Dalai Lama sagt:

Je mehr wir Gutes für andere tun, desto glücklicher sind wir selbst.

Was uns als DFME anbelangt, würde ich nicht soweit gehen, eine Unterstützung ohne eine Gegenleistung zu erwarten (obwohl wir nicht nur derzeit, sondern grundsätzlich viele Leistungen unentgeltlich erbringen).

Ich würde mir einfach wünschen, dass die Menschen weiterhin unsere Seminare und Ausbildungen buchen – denn es gibt auch eine Zeit nach Corona. Natürlich wird das nicht jedem möglich sein – aber dem einen oder anderen bestimmt.

Eine ethische Entscheidung

Wir haben lange überlegt, ob wir uns in die Riege derer einreihen sollen, die zur Zeit schnellgestrickte Achtsamkeitsangebote auf den Markt werfen, um zu überleben. Wir haben uns dagegen entschieden, weil wir uns der Qualität unserer Arbeit verpflichtet fühlen. Auch das ist achtsames Wirtschaften. Vielleicht ist diese Entscheidung wirtschaftlich gesehen nicht klug. Aber sie ist ethisch :o)

Symptome der Corona-Krise

Symptomatisch für die derzeitige Situation sind eher Ereignisse wie dieses: Ich bekomme eine Mail von einem ehemaligen Kursabsolventen, der offenbar in einer tiefen Krise steckt. Auf mein Angebot zu einem Online-Coaching schreibt er zurück, dass er das vielleicht einmal nach der Corona-Krise in Anspruch nehmen wird – gefolgt von einer ausführlichen Schilderung seiner derzeitigen Situation mit allen Details.

Aus rein menschlicher Sicht hätte ich gerne geantwortet. Das hätte dann bedeutet: Zwei ausführliche Mails gelesen, zwei ausführliche Mails geschrieben – und keinen Cent verdient. Wenn ich das öfter am Tag mache, komme ich nicht mehr zum produktiven Arbeiten.

Was wir brauchen

Wenn es dir möglich ist …

  • Solltest du ohnehin schon erwogen haben, eine Ausbildung zum Achtsamkeitstrainer oder MBSR-Lehrer bei uns zu absolvieren, dann verschiebe deine Anmeldung nicht bis „nach der Corona-Krise“; melde dich jetzt an.
  • Buche zu deinem (und zu unserem) Nutzen jetzt ein Wohnzimmerretreat.
  • Sichere dir jetzt deinen Platz in der nächsten Wochenend-Auszeit in Achtsamkeit und Schweigen.
  • Vielleicht hast du erkannt, wie hilfreich die Achtsamkeitspraxis bei der Bewältigung von belastenden Emotionen und depressiven Stimmungen ist. Dann buche jetzt unsere einwöchige Fortbildung Achtsamkeit bei emotionalem Stress und Depression.
  • Du möchtest die Fähigkeit zu Selbstmitgefühl vertiefen und Selbstmitgefühlskurse geben? Dann buche jetzt unsere Fortbildung Achtsames Selbstmitgefühl.
  • Vielleicht möchtest du den Wandel in der Wirtschaft als achtsame Führungskraft mitgestalten? Dann melde dich jetzt zu unserem Mindful Leadership Training an.

Wir haben nur eine Zeit, in der wir leben. Sie ist jetzt!

Kostenlose Videoserie

Selbstbestimmt und glücklich leben aus der Kraft der Achtsamkeit

Finde deine innere Wahrheit und lebe sie authentisch und frei.

Jetzt kostenlos teilnehmen

Was hilft dir in der Corona-Krise?

06.04.2020

Fällt dir gerade die Decke auf den Kopf? Fühlst du dich überlastet durch die Doppelbeanspruchung, zu Hause zu arbeiten und parallel dazu die Kinder zu beschäftigen und täglich mit ihnen Hausaufgaben zu machen? Hast du Anlass, dir große Sorgen um deine wirtschaftliche Existenz zu machen? Bist du durch die Krise arbeitsmäßig völlig überlastet? Hast du Angst, dich anzustecken? Fühlst du dich gerade einsam?

Nach vielen Gesprächen und E-Mails scheinen das die Hauptprobleme zu sein, die den Menschen derzeit zu schaffen machen. Falls du davon betroffen bist, interessiert mich:

  1. Was wäre jetzt wirklich hilfreich für dich? (Ja, Geld – ist schon klar – aber was noch? ;o)
  2. Was hat sich bislang als unterstützend für dich erwiesen?

Deine Erfahrungen und Wünsche mit anderen teilen

Ich nöchte dich dazu einladen, die Kommentarfunktion am Ende dieses Beitrags zu nutzen, um deine Erfahrungen mit anderen zu teilen. Ich bin kein Freund von „guten Ratschlägen“ (die ja bekanntlich „Schläge“ sind). Am freundlichsten lernt der Mensch durch das gute Vorbild anderer. Zu sehen, wie jemand mit einer Krisensituation umgeht oder umgegangen ist, bringt einen vielleicht auf die eine oder andere gute Idee.

Wenn sich genügend Leser dieses Corona-Tagesbuches mit ihren Erfahrungen beteiligen, könnte ich daraus einen eigenen Beitrag erstellen, der dann hoffentlich hilfreich für viele andere ist.

Lese hier meine 10 Tipps zum Umgang mit der Corona-Angst →

Die Bergmeditation: Kraft, Stärke und Aufrichtung

Als erstes hilfreiches Tool möchte ich dir die Bergmeditation vorstellen. Auf die Idee brachte mich eine Leserin, die mir schrieb, wie enorm hilfreich die Bergmeditation in dieser schwierigen Zeit für sie sei. Gleiches hörte ich auch von einigen Teilnehmern des letzten Wohnzimmer-Retreats.

In dieser 20-minütigen Meditation verbindet man sich mit der Kraft und Beständigkeit eines Berges. Der psychologische Trick dabei ist: Durch die geschickte Anleitung verbindest du dich mit deiner eigenen inneren Kraft und Beständigkeit! Vielleicht ist diese Übung deshalb so wirkungsvoll.

Der Berg ist ein Symbol für deine eigene innere Stärke

Der Berg ist letztlich „nur“ ein Symbol für deine eigene Stärke, die unter der derzeitigen Angst, Schwäche oder Scham verborgen ist. Denn egal wie stark die Wellen deiner Gefühle sich derzeit bewegen, schäumen und auftürmen – darunter liegt der Ozean deiner inneren Kraft … ruhig, still, weit und unendlich kraftvoll.

Die Ressource ist da, und die Bergmeditation ermöglicht dir, dich mit ihr zu verbinden. Das ist einfach wunderbar: Durch die Beine fest geerdet und verankert und den Kopf frei, „umgeben von klarer Luft“.

Tiefenpsychologische Wirksamkeit der Bergmeditation

Wir reden hier nicht über eine kurzfristige Entspannung im Rahmen einer netten Phantasiereise – diese Übung ist tiefenpsychologisch wirksam und verändert deine Haltung, im Umgang mit der Corona-Krise. Bewahre dir deine geistige und emotionale Stabilität – und deine innere Würde durch die Bergmeditation.

Anleitung zur Bergmeditation:


Wohnzimmer-Retreat: Erfahrungen mit meinem ersten Achtsamkeits-Online-Seminar

05.04.2020

Ich hab’s getan! Meine erste Online-Veranstaltung, das Wohnzimmer-Retreat ist heute gelaufen – und es war ein voller Erfolg.

Ich kam auf die Idee, weil unsere Wochenend-Auszeit mit Achtsamkeit im Schweigen (Achtsamkeits-Mini-Retreat) wegen der Corona-Krise ausfallen musste. Auch wenn sich die meisten Teilnehmer auf die nächste Veranstaltung umbuchen ließen, so waren sie doch enttäuscht, dass das Retreat jetzt nicht stattfinden konnte.

Also habe ich kurzerhand gesagt: „Lasst uns doch die Technik nutzen und trotzdem gemeinsam Achtsamkeit und Schweigen im Zuhause praktizieren“. Und einige haben dieses Geschenk gerne angenommen.

 Zuschauer nicht martern

Eine Online-Veranstaltung wirklich gut zu machen, braucht einiges an Geschick und Überlegung. Gut bedeutet in diesem Zusammenhang: Gute Webcam (= gutes Bild und guter Ton), gute Ausleuchtung, eine nett zurechtgemachte Moderatorin, eine gute Didaktik – und natürlich gute Inhalte.

Erst kürzlich schrieb ich über das Grauen, das mir die zahllosen grottenschlechten Online-Angebote machen. Über dieses Grauen sich übrigens auch eine Journalistin der Zeit geäußert. In ihrem Artikel macht sie ihrem Frust mit viel Wortwitz Luft und trifft nach meiner Ansicht voll den Nagel auf den Kopf.

Lohnt sich zu lesen: „Wir wollen das nicht sehen“.

Wer noch nie eine Online-Veranstaltung durchgeführt hat, kann sich kaum vorstellen, wie anstrengend das sein kann. Man muss die ganze Zeit über sehr konzentriert bleiben, denn als Moderator steht man voll im Fokus. Es gibt nichts Ablenkendes um einen herum. Die Zuschauer registrieren jede Bewegung, jede Mimik und Gestik – und sogar jede Mikroexpression im Gesicht.

Nichts bleibt verborgen

Sie nehmen wahr, wenn man vor der Kamera zu viel herumzappelt, weil man nervös ist (das werden sie dann auch) und wie oft man sich ins Gesicht fasst. Den Zuschauern bleibt es auch nicht verborgen, wenn sich eine Moderatorin während ihres Webinars rund 20 Mal eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht.

Jedes „Halt“ rückt in den Fokus – ein momentaner Tick vieler Sprecher, die es „halt“ nicht schaffen, zwei zusammenhängende Sätze ohne „halt“ rüberzubringen. Im Laufe eines Webinars kommt da bei dem einen oder anderen ganz schön was an „Halt’s“ zusammen. Eine fürchterliche Verstümmelung von Sprache. Und ein Beleg für unbewusstes Reden.

Wenn manch einer seinen mit zig „Halt’s“ durchsetzten Text in transkribierter Form zu lesen bekommen würde, dürften sich ihm selbst die Nackenhaare sträuben. Kein Schulaufsatz würde so durchgehen.

Gehirnspagat

All dessen eingedenk, war ich bemüht, meine jeweilige Kommunikationspartnerin immer direkt anzuschauen – was offenbar auch gut gelungen war. Mein Preis dafür war ein steifer Nacken.

Es ist anstrengend, auf die Worte einer Person zu hören, sich in sie hineinzufühlen und dabei in eine 1 Cent kleine Kameralinse zu starren, während das Gesicht der Person auf dem MacBook daneben zu sehen ist. Ich musste mich wirklich dazu zwingen, nicht dem Bedürfnis meiner Augen zu folgen, das Bild der jeweiligen Person anzuschauen. Spagat fürs Gehirn. Sicherlich ist das Trainingssache aber bislang fühlt es sich für mich noch unangenehm an.

Es wird Zeit, dass die Technik nachzieht und die Kameras in den Bildschirm eingebaut werden. Das wird kommen. Bis dahin dürfen wir uns gedulden.

Wohnzimmer-Retreat: Allein und doch gemeinsam

Mir hat es Freude gemacht. Obwohl mein Retreat-Tag als Veranstaltende etwas anders verlief, habe ich mich, soweit wie möglich an den Ablauf gehalten. Während der Meditationen und überhaupt auch während des Tages fühlte ich eine tiefe innere Verbindung zu den Menschen, die ich zum Teil gar nicht persönlich kannte.

Morgenmeditation „alleine mit anderen“ im Wohnzimmer-Retreat.

Die Teilnehmerinnen haben sich gut vorbereitet gefühlt und die Erfahrungen am Tagesende waren sehr interessant. Für jeden war es anfangs ungewohnt aber alle sagten, dass sie bereits nach kurzer Zeit gut in der Achtsamkeitspraxis, der Achtsamkeitsmeditation und im Schweigen angekommen sind.

Natürlich ist solch eine Online-Veranstaltung nicht mit einem Präsenz-Achtsamkeits-Retreat vergleichbar. Aber die Teilnehmer hatten offenbar einen schönen Tag; alle wirkten ruhig und ausgeglichen. Und ich konnte im Austausch am Abend noch mit einigen Missverständnissen über Achtsamkeit und Achtsamkeitsmeditation aufräumen.

Es war also nicht nur ein schönes Zur-Ruhe-Kommen, sondern das Wohnzimmer-Retreat hatte sogar einen Lernnutzen. Was will man mehr in Zeiten von Corona. Ich werde gleich mal ein paar neue Termine ansetzen – vielleicht bist du ja beim nächsten Mal mit dabei!? :o)

Und sonst so?

Es geht mir gut. Ich komme immer mehr in der Ausnahmesituation an und sagte gestern erst, ich wünschte, ich könnte anderen etwas von meiner Gelassenheit, Ruhe und Kraft abgeben.

Der Mensch ist ein unglaubliches Wesen. Manchmal erschrecken mich die offensichtlichen Unzulänglichkeiten von Körper und Geist – und manchmal wiederum beeindrucken mich ihre Fähigkeiten. Zum Beispiel die Adaptionsfähigkeit. Unsere Spezies ist unglaublich anpassungsfähig.

Bei vielen kann ich sehen, dass die Corona-Krise zur neuen Normalität geworden ist. Viele haben akzeptiert, dass die Dinge liegen, wie sie liegen und es gelingt ihnen, das Beste daraus zu machen.

Wenn die Corona-Krise in die Knie zwingt

Nicht bei jedem ist das so, wie ich gestern wieder einmal feststellen konnte. Ein ehemaliger Teilnehmer schrieb mir folgendes: „Es ist schon recht lange her, dass ich den MBSR Kurs bei Dir besucht habe. Leider war ich nicht sehr fleißig. Das hätte mich vor der jetzigen Angeschlagenheit bestimmt besser schützen könne. Aber wie heißt es so schön „Wer nicht hören will, muss fühlen/Erfahrungen sammeln.“

Leider kein Einzelfall.

Achtsamkeit bedeutet nicht, sich den Hintern auf einem Kissen plattzudrücken oder seine Atemzüge zu zählen, als wäre einem einer abhanden gekommen. Es bedeutet vor allem, ein resilientes Gehirn zu trainieren. Auf diese Tatsache ging ich in der Abendbesprechung des Wohnzimmer-Retreats ein, als eine Teilnehmerin sagte, dass sie die langen Meditationen über den Tag teilweise angestrengt hätten.

Achtsamkeitsmeditation ist keine Entspannungsübung

Achtsamkeitsmeditation dient nicht der Entspannung. Sie ist ein Geistestraining, das wir praktizieren, um Einsicht zu erlangen. Einsicht in die eigene innere Natur und in die Natur aller Dinge. Diesen Einsichten folgt ein tiefes inneres Verstehen. Und daraus wiederum resultiert die tiefe Entspannung, die wir bei vielen Achtsamkeit Praktizierenden erleben können.

Wieder einmal zeigt sich, wie wichtig es ist, Achtsamkeit bei ruhiger See zu erlernen, um in stürmischen Zeiten ein geübter Navigator zu sein.

Wenn es reicht

Mir ist vorgestern einmal kurz die Contenance entglitten, als ich über WhatsApp die Nachricht bekam, dass sich zu Hause und im hauseigenen Garten ausschließlich die dort gemeldeten Personen aufhalten dürfen. Das war ein Moment, wo ich wütend wurde und dachte: „Jetzt reichts – das mache ich nicht mehr mit!“

Glücklicherweise erhielt ich kurz darauf eine weitere Mittelung, das niedersächsische Ministerium habe diese Anordnung wieder aufgehoben, weil die Menschen Sturm dagegen gelaufen seien. Auch Duldsamkeit hat Grenzen.

Da das Wetter so wunderbar ist, verlagere ich einen Teil des Lebens auf die Veranda. Und so gönne ich es mir von Zeit zu Zeit, einen Familienangehörigen oder einen lieben Freund einzuladen. Mein großer Garten lässt viel Raum für Social Distancing. Schön, dass Besuche einer vertrauten Person auch weiterhin gestattet sind. Auf diese kleine Freude dann und wann hätte ich ungern verzichtet.

Japanische Verhältnisse

Wir begrüßen uns mit einem tiefen Gassho Teto (eine tiefe Verbeugung mit vor der Brust zusammengelegten Händen), um dann in gebührlichem Abstand im Garten unseren Tee einzunehmen und uns über das Heitere, Ernste und Merwüdige der Welt auszutauschen. Diese Celebration hat irgendwie etwas Japanisches ;o)

Nähe bekommt in diesen denkwürdigen Tagen eine neue Definition und eine neue Qualität. Findest du nicht auch?

Newsletter des DFME


Distanz

02.04.2020

Der Morgen ist klüger als der Abend. Nach einem erholsamen Schlaf und einer langen Morgenmeditation fühle ich mich gekräftigt und zuversichtlich. In den letzten Tagen habe ich mich zu sehr in die Erfordernisse des Arbeitsalltags hineinziehen lassen.

Ich finde es erstaunlich, wie oft man sich selbst bei schädlichem Verhalten zuschauen kann – und es trotzdem nicht schafft, damit aufzuhören. Wie besinnungslos raffelt man weiter, um den Ansturm zu bewältigen, der jedoch nicht abreißt. So geht Burnout.

Bei den meisten braucht es irgendein dramatisches Ereignis im Außen, um sie wieder zur Besinnung zu bringen. Bei mir helfen Meditation und Achtsamkeit :o)

Wieder zur Besinnung kommen

Es ist mein Lieblingsdichter Hermann Hesse, an den ich mich dabei erinnere. In seinem Buch Das Glasperlenspiel schildert er mit seiner unvergleichlich schönen Sprache eine Situation, die wunderbar das Verlorensein im Tun-Modus und die Vernachlässigung der Meditation beschreibt. Ich habe die Passage zum Anhören einfach mal aufgesprochen.

 

Vielleicht enttäuscht es dich zu lesen, dass auch eine Achtsamkeitslehrerin bisweilen aus der Praxis kippt. Willkommen in der Realität. Dass so etwas geschieht, ist nämlich völlig normal. Die Frage ist, was als nächstes geschieht. Und da liegt genau der Unterschied.

Achtsamkeit macht den Unterschied

Während die einen in Burnout oder Depression versinken, bemerkt eine Achtsamkeit Praktizierende, was geschieht und nimmt heilsamen Einfluss auf die Situation, um sich innerlich wieder in der Mitte auszurichten.

Solch eine Fähigkeit erfordert ein langes und systematisches Training des Gehirns. Vielen dürfte durch die Corona-Krise bewusst werden, wie wichtig es ist, sein Bewusstsein lenken zu können. Nur dadurch ist es möglich, sich aus „Unzuständen“ umgehend wieder herauszuholen und Glück, Erfüllung und Freude auch angesichts belastender Umstände zu finden.

Und hier kommt der Werbeblock für diejenigen, die sich auf den Weg machen wollen, ihre Stärke, Freude und ihr Mitgefühl durch die Praxis der Achtsamkeit zu kultivieren:

Kuriositäten in Zeiten der Corona-Krise

Gestern stolperte ich über eine Kuriosität, die ich gerne mit euch teilen möchte. Es handelt sich dabei um ein Zitat aus dem aktuellen Newsletter des Netzwerks Achtsame Wirtschaft. Gleich zu oberst prangte das folgende Zitat: „In Krisenzeiten hilft nicht Geld, sondern die Verbundenheit und ein Netzwerk mit anderen Menschen.“ (Michaela Doepke)

Angesichts der Tatsache, dass per heute rd. 470.000 Betriebe in Deutschland Kurzarbeit angemeldet haben, ein interessantes Postulat. Ich vermag mir gar nicht vorzustellen, wie hoch die Zahlen derjenigen sind, die ihren Job oder sogar ihr Unternehmen verloren haben. Angesichts dieser Not zu sagen, dass Geld in Krisenzeiten nicht weiterhilft, hat mich doch etwas sprachlos gemacht. Oder sehe ich das falsch?

Propheten und Heilsbringer

Natürlich sind Netzwerke und Verbundenheit von essenzieller Bedeutung. Aber ich glaube, mit finanziellem Rückhalt könnte der der eine oder andere diese Verbundenheit tatsächlich auch genießen.

Kuriosität Nr. 2 sind Anzeigen (in Tageszeitungen!), die versprechen: „Banker zeigt Trick, wie du 1.478 € am Tag von zu Hause verdienen kannst. Krise kann so einfach sein.

Ich beschließe, diesem Kuriositätenkabinett für heute den Rücken zu kehren und achtsames Gärtnern zu praktizieren.

Suche in der Natur und in den Blumen nach Ruhe im Geist und nach Lebensfreude.

Wang Wei

Genau das, werde ich jetzt tun. Ihr findet mich … irgendwo im Garten.

So helfen dir Achtsamkeits-Rituale durch die Corona-Krise →


Folter

01.04.2020

Deutschland sitzt zu Hause. Freelancer und andere Unternehmer versuchen derzeit, den drohenden Konkurs durch Online-Angebote abzuwenden. Das treibt bisweilen seltsame Blüten. Und „umsonst“!? Ist oft umsonst. Es hat auch seinen Preis. Manchmal den der geistigen Folter.

Ich habe mir heute das unzähligste schlecht gemachte Webinar angeschaut. Die Faszination des Grauens. Schlechte Bild- und/oder Tonqualität, mangelnde Ausleuchtung, fehlende Didaktik und redundante, schwadronierende Vortragende nehmen mir gerade die Freude an der neuentdeckten virtuellen Gemeinsamkeit.

Existenzielle Verzweiflung treibt blinden Aktionismus an

Es geht nicht nur darum, dass man die Kernaussagen mancher zweistündiger Webinare auf zwei DIN A4-Seiten hätte zusammenfassen können – oft sind die Online-Angebote so unstrukturiert und von ständigen Chats und Zwischenfragen der Teilnehmer so „zerhackt“, dass einem am Ende der Veranstaltung nur noch der Kopf dreht.

Ich frage mich, wie lange wir alle noch Freude an Meetings, Seminaren und Fortbildungen via Zoom und Co. haben werden. Was mich anbelangt, sind die Grenzen meiner Toleranz gerade erreicht. Morgen werde ich mal wieder informelle Achtsamkeit im Garten praktizieren, damit ich nicht vergesse, warum ich lebe.

Jeder tut sein Bestes

Auch wenn ich gerade genervt bin und das Gefühl habe, dass solche Veranstaltungen mir manchmal einfach nur die Lebenszeit und die Gemütsruhe klauen, so kann ich doch die existenzielle Not dahinter sehen. Viele müssen schnell mit Angeboten in den Markt, um ihr Überleben abzusichern. Da bleibt nicht viel Zeit, sich mit Qualität aufzuhalten.

Auch ich biete mit dem Wohnzimmer-Retreat mein erstes Online-Seminar an und ich mache mir Gedanken darüber, wie es zu einer angenehmen Erfahrung für die Teilnehmer werden kann. Heute haben wir mit Beleuchtung und Ton experimentiert. Und ich habe mir überlegt, wie ich es schaffe, mit meinen Ausführungen kurz und knackig zu sein, damit die Menschen, die den Corona-Virus überlebt haben, nicht an Langeweile durch meine Webinare sterben.

Müdigkeit, die keinen Raum für Corona-Sorgen lässt

Ob mir das gelingt? Ich weiß es nicht. Vielleicht werde ich am Ende erkennen, dass ich mich mit meiner eigenen Veranstaltung auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert habe. Wir tun alle unser Bestes. Es ist mir wichtig, beides anzuerkennen: Die Tatsache, dass jeder seine Sache so gut macht, wie er kann und die Tatsache, dass mein Geist unter dem Dargebotenen oft leidet.

Die letzten Tage waren anstrengend. Viel Kommunikation und laufend Neues zu lernen. Zwischendurch habe ich auch mal in die Nachrichten hineingehört. Nichts, was zum Jubeln Anlass gab. Ich fühle Müdigkeit. Dadurch bekommt die Corona-Krise etwas Unwirkliches.

Bin ich wirklich wach?

Bin ich wirklich wach? Bin ich der Mensch, der träumt, er sei ein Schmetterling oder bin ich der Schmetterling, der träumt, er sei ein Mensch?

Ich werde jetzt ins Bett gehen und sich die barmherigen Schwingen des Schlafes über mich ausbreiten lassen. Und der Morgen – wird für sich selber sorgen.

Schlaflos

01.04.2020, 1:20 Uhr

Wer ist wach
ganz allein auf dieser schlafenden Erde,
in der Luft,
die zwischen den regungslosen Blättern schlummert?

Wer ist wach
in den stillen Nestern der Vögel,
in den verschwiegenen Kelch-Gemächern der Lumenknospen?

Wer ist wach
in den zitternden Sternen der Nacht,
in dem pochenden Schmerz tief in meinem Inneren?

Rabindranath Tagore


Wohnzimmer-Retreat

31.03.2020

Jeder, der schon mal an einem Retreat teilgenommen hat, weiß zweierlei: 1. Ein Retreat ist kein Sonntagsspaziergang und 2. Ein Retreat ist sehr unterstütztend für die Meditations- und Achtsamkeitspraxis.

Heute dachte ich darüber nach, wie hilfreich ein Retreat gerade in dieser Krisenzeit wäre, wo die Praxis bei einigen einer großen Zerreißprobe ausgesetzt ist. Gerade jetzt wäre es nötig, die geistigen Kräfte zu unterstützen und zu stärken.

Alleine aber nicht einsam

So kam ich auf den Gedanken eines „Wohnzimmer-Retreats“. Die Idee ist, dass jeder für sich und doch gemeinsam mit anderen meditiert. Das wirkt der Vereinsamung entgegen und man kann Kraft aus der geistigen Verbundenheit mit Gleichgesinnten ziehen.

Im Vorfeld bekommt jede Teilnehmerin Unterlagen zur Vorbereitung des Wohnzimmer-Retreats. Am Tag selbst gibt es morgens ein Online-Treffen über Zoom und abends zum Abschluss nochmal ein Treffen, in welchem die Teilnehmer ihre Erfahrungen des Tages miteinander teilen können. Schauen wir mal, ob das Format angenommen wird.

 

Und sonst so?

Die Klorona-Krise hat mich nun doch erwischt. Habe heute vergeblich versucht, bei Rossmann, Lidl oder Rewe Toilettenpapier zu kaufen: alles weg! Hätte ich wohl doch mal bunkern sollen …

Letztens ließ meine Freundin Britta mir zwei Rollen hier. Liebe Britta, wenn du das liest: Jedesmal, wenn ich mir den Popo abwische, muss ich an dich denken ;o))

Ich bin froh, dass es trotz der harten Zeiten zwischendurch immer wieder mal Situationen gibt, die mich köstlich amüsieren.

Was mich berührt

Tief berührt bin ich von den Zuschriften, die uns täglich erreichen. Derzeit jonglieren wir mit Informationen, die wir gar nicht haben und unseren Veranstaltungsterminen. Wir mussten das Mini-Retreat absagen und müssen die eine oder andere Präsenzwoche der Ausbildungen verschieben.

Wir hatten bislang nicht einen einzigen Absolventen unserer Ausbildung (inklusive derjenigen, die im Juni erst anfangen), der irgendwie negativ war. Ganz im Gegenteil. Alle bleiben ruhig, würdigen unseren derzeitigen Spagat und freuen sich darüber, von uns in der Krise immer gut informiert und begleitet zu werden.

Zitat aus einer heutigen Mail:

Ich finde es super, wie ihr mit der Situation umgeht, uns regelmäßig auf dem Laufenden haltet und konstruktive Lösungen findet.

Dankbarkeit und Glück durch Mitgefühl, Wertschätzung und Besonnenheit

In der Tat ist das ist ein hartes Stück Arbeit. Aber das Verständnis, den Gleichmut und die Wertschätzung der Menschen zu sehen, die mit uns sind, macht mich wirklich zutiefst glücklich. Und es erleichtert auch enorm.

Wir werden die Krise überstehen – weil alle besonnen und kooperativ bleiben. So wird es für niemanden einen Schaden geben. Und wir werden alle über uns hinausgewachsen sein. Wir werden gesehen haben, wie viel Güte und Kraft in uns stecken.

Ja, wir sind unendlich!


„Sommerzeit“

30.03.2020

Die Umstellung auf die künstliche „Sommerzeit“ torpediert in jedem Frühjahr eines meiner liebsten Rituale: In der Meditation auf den ersten Ton des ersten Vogels am frühen Morgen zu lauschen! Gewöhnlich beginne ich gegen 5 Uhr mit dem Meditieren und in den letzten Tagen konnte ich den ersten Pieps so gegen 5:20 Uhr vernehmen. Heute hörte ich ihn erst um 6:31 Uhr. Da war ich mit dem Meditieren bereits durch. Das macht mich gerade etwas mufflig.

Mir fällt dabei ein, wie  psychologisch geschickt die Bevölkerung bei der letzten Umfrage zur Sommerzeit manipuliert wurde. Statt zu fragen: „Möchtest du die natürliche Zeit zurück?“, fragte man uns: „Möchtest du lieber Sommerzeit oder Winterzeit haben?“. Wer will schon „Winter“!?

Lemminge

Wer nicht geübt darin ist, seine Gedanken achtsam zu erforschen, wird die suggestive Scharade kaum durchblicken. Er wird eher geneigt sein, spontan-automatisch zu voten: „Ich will Sommer!“ Vor allem, wenn diese Frage im Herbst oder im Frühjahr gestellt wird, wo man gewöhnlich dem Sommer hinterhertrauert bzw. ihn ersehnt. Ein schönes Beispiel dafür, wie scheinbar demokratische Prozesse durch geschickte Fragestellungen gezielt in eine bestimmte Richtungen gelenkt werden können.

Chaos in der Corona-Krise

Da ich schon mufflig bin, mache ich gleich mal weiter. Tatsächlich ist mir gestern Abend etwas aufs Gemüt geschlagen. Um inneres Chaos zu vermeiden, habe ich meinen Nachrichtenkosum auf ein Minimum reduziert. Mit Rücksicht auf meine Seelenruhe halte ich mich bewusst von Verschwörungstheorien und Anti-Regierungs-Diskussionen fern.

Aber irgendwie schaffen es solche Informationen bisweilen doch bis in meinen Kopf. Wie gestern. Via WhatsApp – was schon erstaunlich ist, weil meine Handynummer nur wenige ausgesuchte Menschen haben.

Ich bekam zwei Youtube-Videos zugeschickt. Darin wird erklärt, die ganze Corona-Epidemie sei ein einziger Fake. Die Bundesregierung habe aufgrund von falschen und falsch interpretierten Fakten mit dem Shut-Down eine riesengroße Fehlentscheidung getroffen.

Sich widersprechende Informationen über die Corona-Krise

Normalerweise hätte ich mir das a) gar nicht erst angeschaut und b) als Blödsinn sofort wieder gelöscht. Aber der Absender ist jemand, den ich als vertrauenswürdig einstufe und die Personen, die in den Videos zu Wort kommen, sind Mediziner, Universitäts-Professoren und anerkannte Epidemiologen – also Leute, von denen man annmimmt, dass sie wissen, worüber sie reden.

Die Experten schlagen Alarm und liefern handfeste Belege für eine völlige Fehleinschätzung der Corona-Krise durch die verantwortlichen Regierungsvertreter.

Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Da haben wir auf der einen Seite renommierte Fachleute. Sie sagen, wir hätten eine Pandemie, die es zum Schutze der Menschheit rechtfertigt, Bürgerrechte weitgehend außer Kraft zu setzen, Entscheidungen über Leben- und Sterbenlassen zu treffen, eine Weltwirtschaftskrise einzuleiten, Existenzen zu vernichten und unzählige Menschen in wirtschaftliche Not zu stürzen.

Und auf der anderen Seite haben wir ebenso renommierte Fachleute, die genau das Gegenteil behaupten: Es gäbe keine echte Gefahr und die Maßnahmen seien allesamt unnötig.

Corona-Krise: Ab in die Depression

Die Situation ist unklar und ich spüre Verwirrung. Fasziniert beobachte ich, welche Gedanken mein Kopf über die Situation produziert und welche Emotionen sie auslösen. Zusammen mit der Verwirrung tauchen Gefühle von Hilflosigkeit, Enttäuschung und Wut auf. Am liebsten würde ich den ganzen Mist abmurksen.

In meinem Kopf überschlagen sich viele Fragen: „Wie kann es zwei so klare Fronten in der Corona-Krise geben?“ „Wie kommt es dazu!?“ „Wem kann ich noch glauben?“ „Was kann ich noch glauben?“

Fragen, die depressive Zustände begünstigen

Das sind typische Fragen, die Depressionen begünstigen, denn es gibt keine eindeutigen Antworten darauf. Es handelt sich aber um eine Art von Fragen, auf denen der Geist gerne manisch herumreitet und die er permanent wiederkäut.

Durch Denken und noch mehr Denken versucht er verzweifelt, Antworten auf diese Fragen zu bekommen. Als würde intensiveres und noch angestrengteres Nachdenken zu Klarheit führen. Was es jedoch nicht tut.

Natürlich findet der Geist die Antworten nicht, was Traurigkeit, Hilflosigkeit und Wut nach sich zieht. Wieder setzt der Geist an, den begleitenden deprimierenden Emotionen zu entfliehen, indem er die Gedanken erneut aufnimmt. „Da muss sich doch eine Lösung finden lassen!“

Nach wie vor findet er aber keine zufriedenstellenden Antworten (weil es keine gibt). So führt dieses fruchtlose Ping-Pong zwischen zwanghaften Gedanken und deprimierten Emotionen in einen immer enger werdenden Abwärtstrichter, der in einem depressiven Zustand münden kann.

Sich mit Achtsamkeit aus den depressiven Gedanken befreien

Vor allem Menschen, die zu Depressionen neigen, sollten diese Dynamik ernst nehmen. Aber alle anderen ebenso. Denn auch wenn nicht die Gefahr einer handfesten Major-Depression droht, kann der Mechanismus des Denkens zu belastenden depressiven Verstimmungen führen. Und das braucht wirklich niemand. Grundsätzlich nicht und zu dieser Zeit schon gar nicht.

Die Corona-Krise ist also eine gute Möglichkeit, mehr über die eigenen Psychodynamiken zu lernen, herauszufinden, wie sie bei uns wirken und die Fertigkeit zu entwickeln, diesen Prozessen mit Achtsamkeit heilsam entgegenzuwirken.

4 Achtsamkeits-Tipps zur Vermeidung von Depressionen in der Corona-Krise

1.  Stoppe, halte inne, nimm achtsam wahr

Hier ist schon wieder dieses Stoppen und Innehalten. Ja, ich kann es nicht oft genug wiederholen ;o)

Wenn die Seele leidet, bringt sie das durch Gedanken, Emotionen und körperliche Empfindungen zum Ausdruck. Oft merken wir erst, dass wir leiden, wenn wir mittendrin stecken. In diesem Fall ist gegensteuern schwieriger. Am besten ist, die Dynamik so frühzeitig wie möglich zu erkennen.

Achte besonders auf die Inhalte und die Dynamik der Gedanken, die dir durch den Kopf gehen. Beobachte auch, wie die Gedanken deine Gefühle und dein Körperempfinden beeinflussen. Wenn es heikel wird, setzt du dich am besten hin und machst dir dazu einige Notizen. So durchblickst du schneller, was vor sich geht.

Denke daran, dass sich die achtsame Erforschung von einer rein kognitiven Beobachtung durch die innere Haltung unterscheidet, in der sie durchgeführt wird. Prüfe deine Geisteshaltung anhand der Haltungen der Achtsamkeit.

2.  Erkenne an, dass es ist, wie es ist

Erkenne zunächst einmal dein Bedürfnis nach Klarheit und verlässlichen Informationen an. Als Bürger und Menschen haben wir ein Recht darauf. Gerade deshalb kann es schwer sein, anzuerkennen, dass wir diese Sicherheit und Orientierung erzeugende Situation (derzeit) nicht bekommen werden.

Wir brauchen das nicht gut zu finden. Aber es geht darum, die Situation zu sehen, wie sie gerade ist: Wir werden mit diesen beiden Lagern sich widersprechender Experten leben müssen.

Die Akzeptanz umfasst auch unseren eigenen Schmerz. Wir dürfen anerkennen, wenn uns das Ganze hilflos und wütend macht und dass wir unter der Situation leiden. Auch dieses Leid ist Teil der momentanen Erfahrung.

3.  Glaube nicht alles, was du denkst

Der Geist neigt dazu, die von ihm produzierten Inhalte (Gedanken) für die Wahrheit zu halten. Oft wird dabei die Wirklichkeit mit den Gedanken über die Wirklichkeit verwechselt. Wer seine Gedanken untersucht, wird vor allem zwei Dinge feststellen: Sie entstehen ohne unser bewusstes Zutun und sie gehen, wie sie gekommen sind. Ebenfalls ohne unser Zutun.

Stimmunglagen sind wie Wetterlagen

Es geht also darum, die Gedanken als flüchtige Erscheinungen zu erkennen, statt allem Glauben zu schenken, das am Horizont unseres Bewusstseins vorbeiwabert. Gedanken und die sie begleitenden Stimmungslagen sind wie Wetterlagen. Mal ist da Sonne, mal Bewölkung, mal Regen, mal Gewitter und mal Sturm oder Hagel. Dieses Kommen und Gehen lässt sich in der Meditation besonders gut beobachten.

Wenn wir nicht aufpassen, rennen wir immer noch im Regenmantel herum, obwohl längst schon wieder die Sonne scheint.

Don’t believe everything you think

Bei der Beobachtung der Gedanken lässt sich unschwer erkennen, wie viel „Trash“ dabei ist. Ich stehe meinen Gedanken manchmal selbst verwundert gegenüber und staune, was der Geist so alles hervorbringt. Weil der Geist ein unkontrollierbares Eigenleben hat, ist eine  gesunde Skepsis gegenüber den gedanklichen Produkten durchaus angebracht.

Auf diese Weise können wir erkennen, wenn sie uns irgendwo hinführen, wo wir nicht hinwollen – und uns für etwas anderes entscheiden.

4.  Folge deiner inneren Weisheit

Depressive Stimmungen werden durch zu viel Denken begünstigt. Du wirst schnell merken, dass Nachdenken nicht das geeignete Mittel ist, um dich aus einer miesen Stimmung während der häuslichen Corona-Quarantäne zu befreien.

Viel mehr Aussicht auf Erfolg hat es, die Weisheit des Kopfes mit der Weisheit des Körpers zu verbinden. Dabei hilft Achtsamkeit. Nutze deine Sinne, um aus den unheilsamen Gedankengespinnsten auszusteigen. Die Verbindung mit dem Körper verbindet dich mit der Realität des Hier und Jetzt, denn der Körper hat nur eine Zeit und einen Ort: Jetzt. Hier.

Wenn du in Verbindung mit deinen Sinnen bist, blickst du klarer. Du bist im wahrsten Sinne des Wortes bei dir. Das gibt dir Sicherheit und hilft dir herausfinden, wie du gut für dich sorgen kannst.

Möge die innere Erforschung während der Corona-Krise deine Geisteskräfte stärken und zur vollen Entfaltung bringen.


Stay at home

29.03.2020

Gestern sah ich, dass die Zahlen der Corona-Infizierten in Deutschland weiter steigen. Seltsamerweise fühlte ich nicht Besorgnis, sondern Dankbarkeit – Dankbarkeit für das entschlossene und zielstrebige Handeln unserer Regierungsvertreter. Denn habe mich gefragt, wo die Zahlen wären, wenn wir keinen Shut-Down hätten. Ich bin froh, dass uns Szenarien wie im italienischen Bergamo – zumindest bislang – erspart blieben.

Auch wenn ich hinter dem Vorgehen des Staates stehe, rufen gewisse Dinge doch eine leichte Besorgnis in mir hervor. Nach einer Woche war ich gestern mal wieder im Supermarkt einkaufen. Als ich auf meine Einkaufsliste auf dem Handy schaute, stand dort auf einmal am oberen Rand „Stay at home“.

Aktion ohne Grips

Vodafone schmückt sich mit dieser Aktion, die sie einen „freundlichen Reminder“ nennt. Wieder mal eine Aktion ohne Grips. Denn diejenigen, die sowieso zu Hause bleiben und nur zum Arztbesuch oder zum Einkaufen vor die Tür gehen, braucht man daran nicht zu erinnern. Alle anderen interessiert es ohnehin nicht.

Natürlich wusste ich auch vorher, dass man den Standort und die Bewegungen jeder Person über das Handy orten kann. Aber dieser „kleine Reminder“ brachte mir die Tatsache noch einmal unmittelbar ins Bewusstsein, und das macht mir Unbehagen.

Weil es sich für mich nicht gut anfühlt, auf solch eine Weise verfolgt (und gegängelt) zu werden, werde ich das Handy beim nächsten Mal zu Hause lassen – oder es zumindest auf Flugmodus schalten, wenn ich meine, es mitnehmen zu müssen.

Achtsamkeit

Fast täglich lese und höre ich von Praktizierenden, wie unterstützend die Achtsamkeitspraxis während der Corona-Epidemie für sie ist. Aber es gibt auch andere, die sagen, dass Achtsamkeit keine Stütze in der Krise für sie sei. Wenn jemand so etwas sagt, dann hat er nach meiner Erfahrung die Achtsamkeitspraxis nicht richtig verstanden und/oder sie wird nicht richtig (bzw. zu wenig) praktiziert.

Wenn man gar nicht wirklich Achtsamkeit praktiziert und wenn man es nur alle paar Monate mal aufs Meditationskissen schafft, braucht man sich nicht zu wundern, dass die Praxis nicht wirkt.

Ein achtsames Gehirn erzeugt man nicht durch das bloße Bedürfnis danach. Um strukturelle Veränderungen im Gehirn zu erzeugen, braucht es ein systematisches Achtsamkeitstraining über einen längeren Zeitraum.

Ein verzerrtes Verständnis von Achtsamkeit

Viele fühlen sich berufen, über Achtsamkeit zu schreiben oder sie sogar zu lehren, ohne über das dafür erforderliche tiefe buddhistische Hintergrundwissen zu verfügen, geschweige denn über die notwendigen Erfahrungen einer eigenen stringenten Achtsamkeitspraxis. Dadurch kursiert in der Öffentlichkeit eine Menge Unsinn über Achtsamkeit, der zu vielen Irritationen (und Frustrationen) führt. Manche praktizieren etwas in einem Verständnis, das der Achtsamkeitspraxis sogar entgegensteht.

Ein großes Missverständnis ist zum Beispiel, Achtsamkeit für die schicke Schwester von Aufmerksamkeit zu halten. „Die Polizei rät zu mehr Achtsamkeit“. Falsch ist das nicht. Aber bei der Achtsamkeit, die ihren Siegeszug um die Welt angetreten hat, weil ihre Wirkungen als so heilsam erfahren werden, handelt es sich nicht um eine kognitive Fähigkeit, sondern um eine Meditations- und Lebenspraxis, die ihre Wurzeln in den buddhistischen Lehren hat.

Achtsamkeit als seelenlose Gehirnakrobatik

Um sie vom Verdacht einer möglichen religiösen Indoktrination freizuhalten, wird vollmundig erklärt, dass die Praxis der Achtsamkeit „säkularisiert“ vermittelt wird. (Eine Aussage, die mein Lehrer, Jon Kabat-Zinn, der „Vater der modernen Achtsamkeitspraxis“ übrigens gar nicht gerne hört).

Achtsamkeit die ihrer buddhistischen Wurzeln beraubt wird, ist nicht mehr, als eine ebenso geistlose wie wirkungslose Gehirnakrobatik.

Doris Kirch

Achtsamkeit, die ohne Anbindung an ihre Herkunft vermittelt und praktiziert wird, ist wirkungslos. Jedenfalls im Hinblick auf die ihr zugeschriebenen Wirkungen. Was die Achtsamkeitspraxis zu dem macht, was sie ist, sind die dahinterstehenden Haltungen der Achtsamkeit.

Lerne hier mehr über die Haltungen der Achtsamkeit →

Die geistigen Qualitäten der Achtsamkeitspraxis

Wenn jemand sagt, er praktiziere Achtsamkeit und ist mit den Haltungen der Achtsamkeitspraxis nicht vertraut, dann praktiziert er keine Achtsamkeit. Er bemüht sich einfach, im Alltag etwas aufmerksamer zu sein. Was ja, für sich genommen, eine feine Sache ist – nur eben keine Achtsamkeitspraxis.

Die Haltungen der Achtsamkeitspraxis haben eine Leuchtturmfunktion. Ein Leuchtturm ist nicht das Ziel – er weist den Weg zum Ziel. Das Ziel ist Einsicht (Weisheit). So sind diese Tugenden ein Bezugspunkt, ohne den wir nicht erkennen würden, wenn wir uns auf dem Weg verloren haben.

Mit Achtsamkeit heilsame geistige Zustände kultivieren

Wir, die wir Achtsamkeit im Sinne ihrer Wurzeln praktizieren, üben uns darin, die geistigen Qualitäten Anfängergeist, Nicht-Urteilen, Nicht-Streben, Akzeptanz, Seinlassen, Geduld und Vertrauen in jedem Augenblick unseres Lebens zu verwirklichen. Wir tun das mit Freundlichkeit, (Selbst-)Mitgefühl und Dankbarkeit – und  ich rechne gerne noch eine gute Portion Humor dazu.

Wenn mir zum Beispiel auffällt, dass ich bereits den ganzen Vormittag lang frustriert darüber bin, dass die Kontaktverbote bis nach Ostern nicht gelockert werden, dann kann mir die Besinnung auf Akzeptanz, Geduld und Selbstmitgefühl helfen, in eine heilsamere geistige Verfassung zurückzufinden. Soweit die Theorie.

Simple but not easy

Das hört sich so leicht an. Ist es aber nicht. Es ist einfach – aber nicht leicht. Die Stunde der Wahrheit schlägt auf dem Meditationskissen, im Ringen mit dem Gedankenchaos und ungebetenen, unangenehmen Gefühlen – und während der Corona-Krise an der Supermarktkasse … Hier zeigt sich in splitternackter Wahrheit, wo wir in unserer Praxis wirklich stehen.

Wir können eine Menge toller Bücher gelesen haben und viel über Achtsamkeit wissen. Aber was wir können, was wir verwirklicht haben, das zeigt sich vor allem in Krisensituationen. Und im Umgang mit Partner und Kindern. Der Alltag ist der Gradmesser. Er hält uns den Spiegel vor und zeigt uns unerbittlich, wie weit es mit unserer Achtsamkeitspraxis wirklich her ist.

Milde mit uns sein

Jeder Moment, in dem wir merken, dass wir aus der Praxis herausgekippt sind, ist ein Moment der Achtsamkeit, für den wir uns beglückwünschen sollten. Und es ist wichtig, dass wir in diesen Momenten milde mit uns sind, uns für unsere Unachtsamkeit nicht anmeckern. Die Praxis der Achtsamkeit ist eine Praxis des Herausfallens und Zurückkehrens von Moment zu Moment.

Das, was wir einen konstanten Strom achtsamen Gewahrseins nennen, liegt in der Mitte dieser beständigen Hin- und Herbewegung.

Achtsamkeit und Meditation unterscheiden sich grundlegend von allem, was du in der Welt lernst. Normalerweise lernen wir immer in der Absicht uns zu verbessern. Aber bei Achtsamkeit geht es überhaupt nicht ums Verbessern. Es geht darum zu bemerken, dass du schon perfekt bist, so wie du bist.

Jon Kabat-Zinn

Auf dem Boden der Tatsachen

Das bringt uns wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und verhindert, spirituell überzuschnappen. Ich liebe den Pragmatismus der Achtsamkeitspraxis :o)

Was mich anbelangt, möchte ich nicht so tun, als hätte ich stets und ständig alles im Griff. Jeder Praktizierende, egal, wie lange er schon dabei ist, kann mit seiner Praxis mal in Schieflage geraten. Manchmal sind die Anforderungen einfach zu hoch und sie folgen zu schnell aufeinander. Dann brauchen wir die Sangha. Zur Zeit Buddhas beschrieb das die Mönchsgemeinschaft.

Lernen durch die Sangha

Auch heute gibt es noch Sanghas: Gemeinschaften von buddhistischen Praktizierenden. Die Sangha gehört zu den Drei Juwelen der buddhistischen Grundlagen: Buddha, Dharma (die Lehre) und Sangha (die Gemeinschaft).

In einer Sangha gibt es (jedenfalls ist das die Idee) keine Klugscheißer. Wenn mal jemand aus der Praxis gekegelt wird, dann ist es das Vorbild seiner Mitpraktizierenden, das ihn wieder zurückbringt. Nichts beruhigt in einem aufgeregten Moment mehr, als der Anblick einer Person im inneren Gleichgewicht.

„Belehre“ ich als Achtsamkeitslehrerin andere, dann lernen sie … belehren. Meine Aufgabe sehe ich eher darin, sie an das zu erinnern, was sie bereits wissen. Ihr Augenmerk wieder auf die Praxis zu richten und auf die Haltung, in der sie ihre Praxis ausüben.

Achtsamkeitspraxis in der Corona-Krise

Was bedeutet das für deinen Alltag in der Corona-Krise? Ich weiß nicht, wer diesen Achtsamkeits-Blog liest. Vielleicht gehörst du zu denen, die keine finanziellen Probleme haben, die sich nicht um Kinder zu kümmern brauchen und die ihre Zeit in einem geräumigen Haus mit Garten verbringen können.

Möglicherweise bist du jedoch auf Kurzarbeit, hast im Moment Berufsverbot oder hast sogar deinen Job verloren. Oder du sitzt mit Partner/in und Kindern in einer kleinen Wohnung und dir fällt gerade die Decke auf den Kopf.

Weil die Voraussetzungen so unterschiedlich sein können, fällt es mir schwer, etwas allgemein Hilfreiches zur Achtsamkeitspraxis in der Corona-Krise zu sagen. Von einigen, die ohne große existenzielle Herausforderungen durch die Krise zu kommen, hörte ich, dass sie die Zeit nutzen, um wieder mehr zu meditieren.

Andere sind überbeansprucht damit, zu Hause zu arbeiten und parallel dazu Beziehung und Kinder in ungewohnter Enge managen zu müssen. Für sie dürfte es eher darum gehen, wie sie sich derzeit einen Freiraum für Meditation schaffen können.

Doppelbelastung von Kindern und Home-Office als Achtsamkeitsübung.

Wie du Achtsamkeit während der Corona-Krise zu Hause übst

Es wird dich vielleicht überraschen aber beide Situationen bieten gleichermaßen Möglichkeiten, Achtsamkeit zu praktizieren. Als berufstätige Mutter wirst du derzeit möglicherweise keine Ruhe für die formale Meditation auf dem Kissen finden. Dann praktiziere informell, indem du Achtsamkeit in die täglichen Verrichtungen bringst.

Die informelle Praxis braucht auch dann und wann Aufladung durch die formale Praxis aber für eine gewisse Zeit können die alltäglichen Verrichtungen gute Achtsamkeitsübungen sein. (Wenn du sie dazu machst ;o)

Eine weitere Möglichkeit des häuslichen Übens ist die Gehmeditation. Keine Wohnung ist zu klein für ein paar Schritte. Es müssen durchaus keine langen Gehstrecken sein; es reicht eine Strecke mit 10 Schritten.

Mit Kindern Achtsamkeit praktizieren

Beziehe deine Kinder in die Achtsamkeitspraxis ein. Nicht „beschulend“, sondern mit ihnen gemeinsam praktizierend. Zum Beispiel beim morgendlichen und abendlichen Zähneputzen. Praktiziert gemeinsam achtsames Essen, Sitzmeditation mit Beobachtung des Atems oder den Bodyscan (hier findest du auch einen Bodyscan für Kinder zum kostenlosen Herunterladen.

Corona-Krise: Achtsamkeit im Home-Office praktizieren

Erste Hilfe – Wenn dir die Decke auf den Kopf fällt

Stoppen und Innehalten

Lies noch einmal über die heilsamen Wirkungen des Stoppens und Innehaltens nach.

Nutze die Atemraumübung

Die Atemraumübung (auch Atempause genannt) ist eine hervorragende Erste-Hilfe-Übung für schwierige Momente.

Gönne dir eine Auszeit mit der ‚1 Minute Meditation‘

Cool down mit einer 1-Minute-Meditation. Speichere dir den Link zu dieser Meditation auf deinem Handy ab, um sie für Ausnahmesituationen verfügbar zu haben. Alternativ kannst du das Video auf Youtube deiner Playlist hinzufügen.

Praktiziere R.A.I.N

R.A.I.N. ist ein Akronym für einen Prozess zum heilsamen Umgang mit schwierigen emotionalen Zuständen →

Praktiziere Selbstmitgefühl

Erfahre mehr über die heilende Kraft des Selbstmitgefühls →
Praktiziere die Selbstmitgefühlsübung „Heilsame Hände“ bei emotionalem Schmerz und Erschöpfung →
Lerne mehr über den achtsamen Umgang mit Wut →

Und sonst so?

Geist im Jogging-Anzug

Die häusliche Quarantäne unter dem Corona-Virus begünstigt nicht nur die innere, sondern auch die äußere Verwahrlosung ;o) Wie ich so rundherum hörte, verzichtet die eine oder andere Frau neuerdings aufs Schminken („Für wen soll ich denn das machen?“) und die Männer aufs Rasieren. Beiderlei Geschlechter machen es sich zu Hause gemütlich und haben Jeans und Hemd oder Bluse längst gegen den schlabbrigen alten Jogging-Anzug eingetauscht.

Ich bemerkte auch bei mir solche Tendenzen und habe festgestellt, dass sie mir nicht gut tun. Die äußere Lässigkeit wirkt sich unangenehm auf meine Arbeitsmotivation aus und fördert die Neigung, mich hängenzulassen. Um mir das Gefühl einer gewissen „Normalität“ zurückzuholen, habe ich mich heute wieder feingemacht und fühle mich irgendwie disziplinierter. Werde das beibehalten.

Heutiger Süßigkeitenkonsum: zwei Pralinen.


Achtsame Kommunikation

26.03.2020

Zur Freude der einen, zum Bedauern der anderen herrscht in unserer Gesellschaft seit dem Mittelalter kein Faustrecht mehr. Seit dem darf man einem anderen nicht mehr ungestraft auf die Birne hauen. Jedenfalls nicht mit Fäusten. Doch der Kampf Mann gegen Mann geht weiter. Wir haben ihn zivilisatorisch angepasst und fechten ihn heute mit Worten aus.

Homo homini lupus

heißt es dazu in der Komödie Asinaria des römischen Dichters Plautus aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Wir kämpfen heute „unter dem Radar“.

Läuft während der Corona-Krise eine Freundin in mäandernden Bögen auf mich zu und ich sage lachend: „… kommt torkelnd über den Rasen“. Fauchende Reaktion: „Ich kann ja wieder gehen, wenn’s dir nicht passt.“

Auf meine Irritation bekam ich zur Antwort, das wäre ein Witz gewesen und ich werde der Humorlosigkeit bezichtigt. So läuft Corona-Kommunikation. Und so läuft zwischenmenschliche Kommunikation. Öfter als uns lieb ist.

Ich höre was, was du nicht sagst

Meistens ist es gar nicht unsere Absicht, unser Gegenüber anzugreifen. Und doch verletzen wir andere durch die Wahl unserer Worte öfter als es uns bewusst ist. Wut und Ärger entstehen dadurch, wie wir miteinander umgehen, was sich dadurch ausdrückt, wie wir miteinander reden.

Mir fällt angesichts der Komplexität von Kommunikation immer wieder aufs Neue die Kinnlade herunter. Das einfachste Modell, das diese Komplexität aufzeigt, ist das Kommunikationsquadrat des Hamburger Kommunikationswissenschaftlers Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun.

Warum Kommunikation so anfällig für Stress ist

Ich will das Modell einmal kurz skizzieren, um aufzuzeigen, wieso Kommunikation so komplex und dadurch so außerordentlich kompliziert und anfällig ist.

Jede Äußerung, die wir von uns geben, wirkt in vierfacher Weise. Ob es uns bewusst ist oder nicht, enthält jede unserer Botschaften eine

  • Sachinformation (worüber ich dich informiere)
  • eine Selbstoffenbarung (was ich von mir preisgebe)
  • einen Beziehungshinweis (was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe)
  • einen Appell (was ich bei dir bewirken möchte)

Zum einen senden wir auf diesen Ebenen (durch unsere verbalen und nonverbalen Äußerungen). Zum anderen empfangen wir das, was wir hören, auf diesen Ebenen. Eigentlich sollte Kommunikation durch diese vier Aspekte geordnet und unmissverständlich sein. Das ist jedoch eher die Ausnahme.

Wir meinen zum Beispiel, lediglich eine Sachinformation übermittelt zu haben, während unser Tonfall und unsere Gestik verraten, dass sowohl eine Beziehungsbotschaft in unseren Worten enthalten ist, wie auch ein Appell. Das bekannteste Beispiel dafür ist die folgende Szenerie:

Frau und Mann sitzen im Auto. Sie fährt. Er sagt: „Du, da vorne, die Ampel ist grün.“ Sie entgegnet: „Fährst du oder fahre ich?“.

Botschaften senden

Nimm dir in diesen Tagen der Corona-Krise einmal die Zeit, eine missglückte Kommunikation zu analysieren. Dann wirst du wahrscheinlich feststellen, der Absender

  • hat nicht immer auf der Ebene gesendet, auf der zu senden er glaubte.
  • wollte den Empfänger zu etwas Bestimmtem veranlassen, hat seinen Appell aber maskiert transportiert und zum Beispiel als Sachinformation verkleidet.
  • glaubte, etwas auf der Beziehungsebene zu kommunizieren, hat sich aber vor allem auf der Sachebene bewegt.
  • hat seine Botschaft offensichtlich auf einer bestimmten Ebene gesendet – aber parallel dazu noch auf einer oder mehreren anderen.

Das ließe sich weiter fortsetzen. Hinzu kommt, dass wir in der Regel nicht wissen, was die ursprüngliche Absicht des Absenders war. Gab es eine manipulative Absicht? Wie viel Bewusstsein und bewusste Absicht lagen in den Worten des Absenders? Oder schossen sie völlig unbewusst, impulsgesteuert und unreflektiert aus den Untiefen seines Unterbewusstseins hervor?

Du solltest mehr über deine Gefühle reden.“
„Ich habe das Gefühl, es wird heute regnen.“

Vor allem, wenn wir uns verletzt fühlen, möchten wir andere für ihre Worte zur Rechenschaft ziehen. Aber wenn jemand gar nicht weiß, was er redet – welchen Sinn hat das?

Botschaften empfangen

Als wäre das alles nicht schon kompliziert genug, haben wir da auch noch die Seite des Empfängers. In der Kommunikation senden wir nicht nur auf vier Ebenen – wir hören auch auf vier Ebenen. Das bedeutet: Wir kriegen manchmal etwas auf einem Kanal rein, auf dem ein anderer gar nicht gesendet hat.

Und in Wahrheit ist es noch komplizierter: Wir glauben manchmal, etwas auf einem bestimmten Kanal gehört zu haben, aber tatsächlich haben wir die Botschaft auf einer anderen Ebene empfangen … und reagieren entsprechend. Kein Wunder, wenn der andere sauer wird, weil er sich missverstanden fühlt.

In Wahrheit ist alles noch sehr viel komplexer und verworrener. Am Beispiel von Frau und Mann im Auto kann man das ansatzweise erkennen. Und man beachte: Bei diesem Beispiel, über das man stundenlang diskutieren könnte, handelt es sich nur um zwei! Sätze.

Sich in flottem Tempo die Sätze um die Ohren hauen

Gewöhnlich reden wir sehr viel mehr. In der Hitze eines Disputs hauen sich die Kontrahenten innnerhalb weniger Sekunden zahllose Sätze um die Ohren – und damit Mengen an ausgesprochenen und unausgesprochenen, bewussten und unbewussten gesendeten und empfangenen Botschaften. Was für ein Schlamassel.

Was solche Situationen erschwert, sind vor allem Textmenge und Zeit. Unter dem durch den Alarmzustand erzeugten Druck wird innerhalb kürzester Zeit zu viel gesagt. Klarheit und Vernunft aber auch Mitgefühl und Verständnis bleiben dabei zwangsweise auf der Strecke.

Lernen von Austen und Shakespeare

Einer der Gründe, weshalb ich Romane von Jane Austen und Bühnenstücke von William Shakespeare so gerne mag, ist die Geschliffenheit der Sprache. Selbst in Stresssituationen bleiben die Protagonisten, aufgrund der vorherrschenden Etikette, in ihrer Kommunikation höflich, überlegt und schön. Das zeigt: Es geht irgendwie auch anders.

Achtsame Kommunikation in der Corona-Krise

Wie können wir unsere Anliegen, Werte, Gefühle und Bedürfnisse auf eine Weise zum Ausdruck bringen, die andere nicht verletzt? Nicht immer werden wir es vermeiden können, dass unser Gegenüber sich angegriffen oder missverstanden fühlt – aber was können wir tun, um das nicht unnötig zu befeuern?

Es gibt zahllose Ursachen für missglückte Kommunikation. Nach meiner Ansicht liegen die Hauptursachen darin, dass wir zwar hinhören aber nicht wirklich zuhören und dass wir unbewusst reden.

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist das Tempo. In der Hektik des Alltags stolpern wir in der Kommunikation oft über unsere eigenen Füße. Meistens werden wir uns erst im Nachhinein bewusst, was wir von uns gegeben haben.

Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?

Entschleunigung und Bewusstsein durch achtsame Kommunikation

Wenn wir es schaffen, unsere Kommunikation zu entschleunigen und mehr Bewusstsein hineinzubringen, ist bereits viel gewonnen. Die Achtsamkeitspraxis fördert beides. Leider lassen sich diese Fähigkeiten nicht anlesen – sie sind das Ergebnis eines systematischen Achtsamkeitstrainings, durch das die Fertigkeit einer bewussteren Kommunikation über die Zeit im Bewusstsein verankert wird.

Am Anfang steht auch hier wieder das schon erwähnte STOP. Wenn wir nicht wahrnehmen, das Unbehagen in uns aufsteigt und wir in diesem Moment nicht stoppen, setzt sich der Vorgang der Stresshormonausschüttung fort und wir befinden uns innerhalb von Sekunden im Alarmmodus. Im Zuge dieser körperlichen Generalmobilmachung kappt unser Überlebenssystem als erstes die Zugänge zu den klügeren und reflektierten Bereichen des Gehirns.

Von hier ab befinden wir uns wieder im „Amöben-Status“. Es liegt auf der Hand, dass Kommunikation, die aus dem Kampf- und Fluchtmodus heraus gestaltet wird, keine guten Früchte hervorbringen kann. Krieg führt immer nur zu noch mehr Krieg.

Stoppen, innehalten, Selbstklärung

Das Stoppen und Innehalten sind demnach das Zünglein an der Waage. Wenn mein Alarmsystem durch etwas aktiviert wird, das jemand zu mir gesagt hat, dann folgt dem Stoppen und Innehalten die Selbstklärung.

Wahrzunehmen, was ich gerade im Körper spüre, das Rasen der Gedanken zu beobachten und die verschiedenen Emotionen zu identifizieren, die gerade in mir aufwallen, schafft zunächst einen gewissen Abstand zum Geschehen. In der psychologischen Fachsprache nennen wir diesen heilsamen Abstand Disidentifikation.

Aikido der Kommunikation

Wenn ich angegriffen werde und es schaffe, zu stoppen, innezuhalten und wahrzunehmen, wie es mir gerade geht, passiert meistens folgendes: Ganz natürlich steigt Selbstmitgefühl in mir auf, für die Tatsache, dass ich mich schmerzvoll getroffen fühle.

Mir die Zeit zu nehmen, einen kurzen Moment mitfühlend auf mich selbst einzugehen, öffnet mich dafür, auch das Leid des anderen wahrzunehmen. Und das wiederum öffnet einen weiteren Raum, in dem ich jenseits alles Trennenden auch das Verbindende erkennen kann. Ich nenne das Achtsames Aikido der Kommunikation.

Kein Mindfuck

Dabei handelt es sich nicht um eine „Methode“ oder um eine mentale Wortakrobatik, sondern um eine Sprache des Herzens, bei der Achtsamkeit und Mitgefühl die Zunge lenken. Kein Mindfuck.

Lerne hier mehr über das Aikido der Kommunikation →

Dieser Prozess des Stoppens, Innehaltens, Selbstklärens und Mitgefühl-Spendens dauert nicht so lange, wie es auf den ersten Blick scheint. Ist er erst einmal verinnerlicht, vollzieht er sich wie eine einzige Bewegung – er durchflutet uns wie eine barmherzige warme Welle.

In späteren Beiträgen werde ich noch auf achtsames Zuhören und achtsames Reden eingehen. Aber für den Moment soll dies als Impuls erst einmal reichen. Hier sind noch weitere Beiträge von mir zum Thema achtsame Kommunikation. Vielleicht findest du auch dort Hilfreiches zum Anwenden in der Corona-Krise. Jetzt lernen und einüben und später in der „Normalität“ weiter nutzen :o)

Achtsam Reden mit dem Aikido der Kommunikation →
Achtsame Kommunikation im Arbeitsalltag →
Achtsames E-Mail-Schreiben →

Und sonst so?

Der Geburtstag ist vorbei und der „Corona-Alltag“ hat mich wieder. Ich schaue einmal täglich in die neuen Entwicklungen. Heute spürte ich beim Anblick der unaufhörlich steigenden Zahlen einen Anflug von hilfloser Frustration.

Beim näheren Hineinspüren merkte ich, dass es weniger die steigenden Zahlen sind, als vielmehr meine innere Haltung dazu. Jeden Tag starre ich gebannt auf die Zahlen, als könnte ich sie damit zum Sinken bringen. Wenn ich das tue, bewege ich mich aus der Akzeptanz der Dinge heraus, wie sie sind und möchte mit Macht einen Zustand, der zur Zeit nicht möglich ist. Gegenlenken.

Heraustreten aus unheilsamen geistigen Angewohnheiten

Ich trete heraus, aus diesen unheilsamen Neigungen und werde die Zahlen künftig in einer absichtsloseren Haltung anschauen – ohne den Anspruch im Hinterkopf, dass sie am besten sofort sinken müssen.

Nichts bleibt ewig. Alles wandelt sich. Die Corona-Pandemie macht da keine Ausnahme. Immer wieder geht es darum, Geduld zu kultivieren und das Augenmerk auf das Nächstliegende zu richten.

Die Achtsamkeitstrainer-Ausbildung: Im Dienste unserer Teilnehmer

Im Moment bin ich mit der Überarbeitung unserer Achtsamkeitstrainer-Ausbildung beschäftigt. Wir haben Sie ja auf zweieinhalb Jahre erweitert und das ganze erste Jahr konzentriert sich voll und ganz auf das Entwickeln einer eigenen stabilen Achtsamkeits-und Meditationspraxis.

Die Ausarbeitungen machen mir viel Freude und ich freue mich schon sehr darauf, im Juni mit einer neuen Ausbildungsgruppe zu starten, die übrigens fast ausgebucht ist.


Zeitqualität

25.03.2020

Vor vielen Jahren habe ich eine astrologische Ausbildung absolviert – und das erweist sich auch in der Corona-Krise als sehr hilfreich. Seriöse Astrologie hat nichts mit Bildzeitungs-Horoskopen zu tun. Sie ist auch kein Blick in eine Kristallkugel.

Die Planetenkunde beschreibt Zeitqualitäten und zur Zeit der Corona-Epidemie ist der Blick in die Sterne natürlich ganz besonders interessant. Der heutige Tag markiert einen Wendepunkt und darauf basierend wäre es nicht unwahrscheinlich, dass wir zum Wochenende das erste Mal sinkende Infektionszahlen für Deutschland sehen werden. Hoffen wir das Beste.

Eine Zeitqualität, die es in sich hat

Die Zeitqualität zeigt für den ganzen Monat April eine besonders spannungsgeladene Zeit. Es liegt viel Aggression in der Luft und eine Neigung zum Überreagieren. Das verschärft die ohnehin schon schwierige Zeit noch einmal deutlich. Wir werden alle zeigen dürfen, wie viel Kraft und Geduld in uns schlummert.

Mir hilft es, das zu wissen, denn mit diesem Bewusstsein im Hinterkopf achte ich noch mehr als sonst darauf, „den Ball flach zu halten“. Indem ich mir der Brisanz dieser Energien bewusst bin, fällt es mir leichter, aggressive Anflüge in mir selbst besser zu beobachten und frühzeitig gegenzusteuern, um Eskalationen zu vermeiden. Und es gelingt mir auch, nachsichtiger zu sein, wenn bei einem anderen die Zunge mal schneller ist als das Hirn.

Burgfrieden

In meinem Umfeld gibt es keine Gewalteskalationen. Nur gelegentlich spüre ich eine unterschwellige Ungehaltenheit. Manchmal auch bei mir. Gestern fiel mir das bei zwei Sätzen auf, von denen ich rückblickend dachte: „Diese Bemerkung war unnötig und ich hätte sie mir sparen können.“ In unserer WG kommen wir nach wie vor gut klar. Hier und dort fällt mal eine kleine Spitze oder eine etwas unangemessene Bemerkung aber niemand legt etwas auf die Goldwaage oder steigert sich in irgendetwas hinein. Wir sind uns alle bewusst, dass es schwierig ist und jeder gibt sein Bestes.

Corona-Geburtstag

Okay, ich wollte es ja eigentlich gar nicht schreiben … aber jetzt sind gerade so wunderbare Dinge passiert, die ich unbedingt teilen möchte … Ich habe heute Geburtstag. Gerade, noch früh am Morgen, klopfte es an der Tür. Man kann sich vorstellen, wie verwundert ich war. Und als ich öffnete, bot sich mir dieser Anblick:

Eine Mitbewohnerin unseres Gartens stand am Fuße meiner Treppe, wünschte mir alles Gute zum Geburtstag, und im Blumenkübel steckte dieses liebevolle Geschenk. Das hat mich so sehr berührt, heute an diesem Tag, an dem ich auf meine Kinder, Enkel und Freunde verzichten muss. *schnief*

Die zweite Überraschung kam von meinen beiden häuslichen Mitbewohnern. Sie haben im Garten Blumen für mich gepflückt – einen Strauß mit Symbolcharakter:

Die bunten Frühlingsblüten als Ausdruck des Wunsches nach Gesundheit; die aufbrechenden Knospen als Symbol für das Entfalten meiner Kraft und die vertrockneten Hortensienblüten als Zeichen von Sterben und Wiedergeborenwerden.

Was soll ich sagen!? Ich glaube, in meinen „normalen“ Alltag hätten mich diese Gaben niemals so tief erfreut und berührt, wie sie es gerade heute tun. Und ich wünsche mir für uns alle, dass es uns gelingen möge, die Fähigkeit der Freude an den kleinen Dingen des Lebens über die Corona-Krise hinaus in uns zu bewahren.

Und mir war es wichtig, meine Freude mit anderen zu teilen. Kannst du sie in dir spüren?

Freude ist etwas, das sich verdoppelt, wenn man es teilt.

Freude mitten in der Corona-Krise

Apropos Freude … Hier ist meine Geburtstagstorte. Unsere „Nordis“ haben es wahrscheinlich gleich erkannt: Es ist eine Ossitorte. Für alle anderen: Eine Ostfriesentorte, die aus Sahne, Rumrosinen und einem halben Liter Rum besteht. Die Torte hatte es wirklich in sich :o)

Ich möchte von Herzen Lucca und Dirk danken, die mich heute den ganzen Tag über verwöhnt haben. Danke für eure Liebe und dass ihr mir diesen Tag mitten in der Krise zu solch einem wundervollen Tag gemacht habt. Diesen Geburtstag werde ich wohl nicht vergessen.


Überleben

24.03.2020

Ich betrachte die Geschehnisse rund um die Corona-Krise um mich herum aus einer gewissen inneren Distanz. Doch wie groß ist meine innere Distanz wirklich? Mit Erstaunen habe ich festgestellt, dass mich mein Überlebenssystem mehr im Griff hat, als es auf den ersten Blick scheint. Trotz gelassener Grundhaltung unterliegt mein Verhalten leichten Veränderungen.

Zuerst fiel es mir beim Essen auf. Heimlich still und leise wurden die Portionen größer. Erkannt habe ich das zunächst bei meiner Mitbewohnerin … bis mir klar wurde, dass auch meine Portionen mittlerweile größer geworden waren. Auch wenn ich gewöhnlich nicht fettreich koche, gehe ich derzeit mit Öl, Butter und Co. tatsächlich etwas sorgloser um. Alles keine großen Sachen – eher ziemlich subtil – aber eine Änderung zum gewöhnlichen Status quo.

Chips und Eis als Seelentröster

Gestern im Supermarkt habe ich einmal darauf geachtet, worauf mein Fokus sich automatisch richtete. Gewöhnlich landen zunächst einmal Berge von Gemüse und Obst im Einkaufskorb aber diesmal ging mein Blick mehr in Richtung Süßigkeiten und Eis. Die teilweise leergefegten Kühlregale zeigten mir, dass ich mich mit meiner Neigung in bester Gesellschaft befinde. Bei den Snacks fiel mir ein leeres Regel auf: die Gewürz-Chips waren ausverkauft.

Süßes, fettes Essen als Seelentröster. Klammheimlich sorgt unser Überlebenssystem dafür, dass wir uns Notreserven anlegen. Was mich zu der Überlegung brachte, ob ich weniger und fettärmer essen würde, wenn ich diesen Mechanismus durch Klopapier-Bunkern ausleben würde? Weight Watchers wird nach der Krise wohl einen enormen Zulauf verzeichnen ;o)

Wie dem auch sei: Mir ist durch achtsame Beobachtung bewusst geworden, was ich hier tue. Ab jetzt werde ich wachsamer für diese Tendenzen sein und sanft gegensteuern, um meinem Reptilienhirn nicht vollständig das Feld zu überlassen.

In der Krise hat der Homo Sapiens die Tendenz, Ressourcen zusammenzuhalten. Ich dachte, dass ich das nicht tue: Ich horte nichts und ich kaufe, was ich sonst auch kaufe. Ich halte nicht einmal zwingend mein Geld zusammen, denn erst gestern habe ich, trotz überschaubarer eigener Ressourcen, einer Freundin finanzielle Unterstützung angeboten. Aber das Überlebensprogramm wirkt auch hier unglaublich subtil – wie das nächste Ereignis zeigt.

Es ist Frühjahr und ich liebe Tulpen. Zu dieser Jahreszeit habe ich fast immer einen großen Strauß auf dem Tisch stehen. Mal einfarbig und mal bunt aber immer üppig. Gestern nahm ich beim Einkaufen wieder einen Strauß Tulpen mit. Als ich sie in der Vase arragierte, dachte ich, dass der Strauss etwas mickrig aussieht und mir fiel auf, dass ich gewöhnlich zwei Sträuße kaufe, weil ich die Fülle dieser Tulpensträuße gerne mag.

Überleben durch 3 Euro gesichert

Ich hatte einen zweiten Strauß schon in der Hand und habe ihn wieder zurückgesteckt. Vom Bewusstsein unbemerkt habe ich mich hier zurückgenommen … und damit 3 Euro gespart. Interessant ist, dass unser auf Überleben ausgerichteter Instinkt uns unbemerkt dazu veranlasst, auf diese Weise zu handeln. Fast noch interessanter ist, dass er sich dabei nicht um die Verhältnismäßigkeit schert.

So erklären sich auch die Hamsterkäufe und das massive Horten von Toilettenpapier. Deshalb prügeln sich Menschen im Supermarkt um die letzten Rollen (des Tages). Man kann sich selbst bei seinem irrationalen Verhalten zusehen und es völlig abstrus finden … und dennoch handelt man auf diese Weise. Ich sage bewusst „man“, denn das betrifft wohl jeden von uns.

Wo hat dich das Überlebensprogramm im Griff? Kannst du es in deinem Alltag sehen?

Im Herzen immer noch Wilde

Wer Achtsamkeit praktiziert, ist auch hier klar im Vorteil. Denn nur, wer sich seines Denkens, Fühlens und Handelns bewusst ist, kann Einfluss darauf nehmen. Sonst sind wir nicht mehr als Marionetten eines archaischen Programms. Im Herzen immer noch Wilde. Weit entfernt von innerer Freiheit.

Das begünstigt weiteres unbewusst gesteuertes Verhalten, das weder situationsangemessen, noch mit unseren wahren Werten und Bedürfnissen im Einklang ist. Automatisches Handeln kann unheilsame Auswirkungen haben.

Die Presse schürt die Angst zu ihrem Vorteil

Ich stolperte gestern über einen Pressebeitrag zur angeblichen Erhöhung häuslicher Gewalt während der Corona-Krise. Tatsächlich findet man derzeit eine Fülle von Veröffentlichungen zu diesem Thema. Auf den ersten Blick hinterlassen sie den Eindruck, wir hätten es hier mit einem akuten, bedrohlichen und massiven Problem zu tun.

Tippt man „Häusliche Gewalt Corona“ bei Google ein, lauten die Headlines der obersten angezeigen Suchergebnisse: „Corona und Gewalt: Die Situation verschärft sich“, „Corona-Pandemie: Mehr häusliche Gewalt gegen Frauen“, „Corona Maßnahmen: Sorge vor häuslicher Gewalt ist groß“ und „Corona: Häusliche Gewalt ist jetzt in Düsseldorf im Fokus“.

Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass die zur reißerischen Überschrift gehörenden Texte fast ausschließlich im Konjunktiv geschrieben sind. Man „geht“ davon aus, dass die Zahlen steigen werden“; man „warnt vor einem Anstieg“; „es wird befürchtet“; „… kann dazu führen“.

Das Letzte, was wir in der Corona-Krise brauchen, sind Angst und Stimmungsmache

Bei RTL.de verkündet die Headline eine (scheinbare) Tatsache: „Coronavirus verursacht auch Anstieg häuslicher Gewalt“, während man auch hier im Beitrag selbst zur Möglichkeitsform übergeht: „Das hat Konfliktpotenzial, wie Experten warnen. Familienministerin Franziska Giffey rechnet mit einer Zunahme häuslicher Gewalt“.

Da packt mich beim Lesen schon mal die Wut. (Auch hundert Jahre Meditation machen aus einem Löwen kein Schaf ;o) Die Presse hat überhaupt keine Skrupel, die Aufmerksamkeit potenzieller Leser durch das Schüren von Ängsten auf sich zu ziehen. Es sind solche apokalyptischen Überschriften, die das Fieber der Angst und Aggression zum Steigen bringen. Dabei täte Mäßigung Not. Was wir brauchen, sind sachliche Informationen und Beiträge, die uns darin unterstützen, diese Pandemie zu überstehen und unseren Partner nicht abzumurksen.

Aggression

Die Nerven liegen blank. Es geht um den Job, die Firma, die Ersparnisse, die Sicherheit, den Sozialstatus. Gut vorstellbar, dass der Druck einer Familie mit Kindern, deren Eltern auf Kurzarbeit sind und die kaum noch der Enge einer Zweieinhalb-Zimmerwohnung entfliehen können, groß ist. Die psychischen Belastungen dürften bei vielen enorm hoch sein.

Und natürlich wirft das die Frage auf, was man tun kann, um eine Eskalation von Frust und Gewalt zu verhindern. Aus Sicht der buddhistischen Achtsamkeitspraxis im Grunde leider nicht sehr viel. Mich erinnert das an eine Situation, die viele Jahre zurückliegt. Während eines Seminars mit Zentatsu Baker Roshi erfuhr ich, dass eine Freundin von mir in eine Psychose abgedriftet ist.

Vorsorgen ist besser als Bohren

Ich fragte meinen Lehrer, ob es in unserer Praxis irgendetwas gäbe, das hilfreich für sie sein könne. Er fragte mich, ob sie irgendeine (spirituelle) Praxis habe, was ich verneinte. „Dann“, sagte er, „haben wir da leider nichts“. Dieses Geschehnis machte mir klar, wie wichtig „Prophylaxe“ ist.

Mitten in einer existenziellen Krise damit zu beginnen, zum Beispiel eine Achtsamkeitspraxis entwickeln zu wollen, ist viel zu spät. Die geistigen Kapazitäten sind zu solchen Zeiten voll und ganz vom Überlebensmodus gebunden.

Was meinst du wohl, wer diesen Achtsamkeitsblog in der Corona-Krise liest!? Vor allem werden es diejenigen sein, die bereits Achtsamkeit praktizieren.

Achtsamkeit zu entwickeln, braucht Zeit

Ein achtsames Gehirn zu entwickeln, braucht Zeit. Warum ich heute recht gelassen mit dieser Krise umgehen kann, habe ich meiner 35-jährigen Achtsamkeits- und Meditationspraxis zu verdanken. Wir praktizieren Achtsamkeit, um Einsicht zu entwickeln – Einsicht in die Natur des eigenen Geistes und in die Natur des Seins schlechthin.

Die durch die Achtsamkeitspraxis erlangten Einsichten verändern die Perspektive zu vielen Aspekten des Lebens. Wir können schneller sehen, wo wir in unheilsame Denk- und Fühlmuster und Verhaltensweisen abdriften und sind imstande heilsam gegenzusteuern. Aber das braucht ein langes und systematisches Training.

Stoppen und innehalten, wenn die See hochgeht

Doch ich möchte noch nicht aufgeben. Kann ich denen, die nicht in einer Achtsamkeitspraxis verankert sind, nicht doch irgendetwas Hilfreiches anbieten? Vielleicht gibt es da etwas. Es heißt schlichtweg STOP!

STOP ist ein Akronym für eine Achtsamkeitsübung bei Ärger und Wut. Das S steht für „Stop“ (Stoppen und Innehalten), das T für „Time Out“ (eine Auszeit nehmen), das O für „Observe“ (untersuche, was gerade in dir vor sich geht) und das P für „Possibilities“ (Möglichkeiten).

Diese kleine Übung hat es wirklich in sich, denn sie unterbricht einen geistigen Automatismus. Wenn wir uns über etwas ärgern, reagieren wir normalerweise sofort darauf. Wissenschaftler haben jedoch herausgefunden, dass es zwischen dem, was die Wut ausgelöst hat und unserer Reaktion darauf, einen Raum gibt. Hier ist noch einmal das Zitat des Psychiaters Viktor Frankl, das ich bereits vor einigen Tagen zitiert habe:

Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.

Dieser Raum ist wirklich winzig. Anfangs ist es schwierig, ihn überhaupt zu treffen. Es ist wie beim Zielen auf den Mittelpunkt einer Dartscheibe: Es braucht Übung, bis man „auf die Zwölf“ trifft. Man könnte die Corona-Krise jedoch als Übungsfeld dafür nutzen.

„STOP“ – Achtsamkeitsübung bei Wut und Ärger

  • Versuche, dir im Laufe des Tages aller angenehmen und unangenehmen Empfindungen bewusst zu werden – ohne sie zu werten oder darauf einzugehen. Wut fängt mit leichtem Unbehagen an. In diesem Stadium ist der Ärger noch klein und kann gut in den Griff gekriegt werden.
  • Sehr hilfreich ist es auch hier, diese Übung schriftlich zu machen. Vielleicht legst du dir ein Achtsamkeitstagebuch an und notierst deine jeweiligen Erfahrungen.
  • Gewöhnlich spüren wir das Aufkeimen von Ärger unmittelbar im Körper. Wo oder wie kannst du es spüren? Kloß im Hals? Hitze im Gesicht? Flaues Gefühl im Magen? Verspannte Schultern?
  • Sobald du erste Anzeichen aufsteigenden Ärgers bemerkst, erinnere dich an STOP! Stoppe, halte inne und gönne dir zunächst eine Auszeit, zum Beispiel in Form eines Spaziergangs. Wenn das nicht geht, schließe dich einfach in der Toilette ein und mache das stille Örtchen für eine kurze Weile zu deinem Refugium.
  • Lass deinen Geist auf den Wellen des Atems zur Ruhe kommen.
  • Untersuche dann die Situation – und zwar so wertfrei wie möglich.
    Sei dir des Ärgers bewusst der da ist. Achte darauf, dich nicht mit dem Ärger zu identifizieren. Es ist ein Unterschied, ob du ein Gewitter beobachtest oder in das Gefühl einsteigst, selbst das Gewitter zu sein!
  • Geh immer wieder in die Position eines neutralen Beobachters zurück, wenn du merkst, dass die Wut beginnt, dich zu absorbieren.
  • Nimm wahr, welche deiner Gefühle, Bedürfnisse oder Werte gerade verletzt sind.
  • Schau auch auf den oder die übrigen Beteiligten: Welche ihrer Gefühle, Bedürfnisse oder Werte könnten gerade verletzt sein?
  • Achte darauf, in der achtsamen Haltung der Urteilsfreiheit zu bleiben.
  • Im letzten Schritt kannst du deine Möglichkeiten im Umgang mit der Situation überlegen. Als welcher Mensch möchtest du handeln? Welche Reaktionen deinerseits werden die Situation (langfristig gesehen) verschlimmern und welche könnten sie verbessern?

Sei nicht frustriert, wenn das alles nicht auf Anhieb klappt. Veränderung von Verhalten geht nur über unverdrossenes Üben. Beginne mit kleinen Herausforderungen und nicht gleich mit einer fundamentalen Beziehungskrise. Kultiviere sanfte Beharrlichkeit und du wirst sehen: Irgendwann gelingt es dir, das erste Mal im aufkeimenden Ärger bewusst zu stoppen, innezuhalten und Eskalationen zu verhindern.

Manchmal, wenn mich alle Hoffnung verlassen hat, kann ich in mein Herz atmen und dort den Glauben finden, der mich trägt; einen Glauben, der von den Momenten genährt wird, in denen ich oder andere ungeachtet aller tiefen Verletzungen und schier unüberwindlichen Schwierigkeiten doch noch das Gute, Lustige, Süße und Liebevolle im Leben finden konnten.

Oriah Mountain Dreamer


Herausfinden, was in mir steckt

23.03.2020

Als ich heute Morgen in meine Mails schaute, war ich überwältigt! Ich habe etliche wunderbare Zuschriften zu diesem Achtsamkeitsblog erhalten. Es sind Zeilen voller Achtsamkeit, Besinnung und Dankbarkeit. Und vor allem sind sie authentisch. Menschen sehen die Krise, sehen ihre kleinen und großen Ängste aber sie lassen sich davon nicht überwältigen.

Sie finden gerade heraus, wie viel Kraft und Geschick zur Bewältigung einer schweren Zeit in ihnen steckt. Was für ein Potenzial! Das macht Mut!

Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksal leichtem Wagen durch, und uns bleibt nichts, als mutig gefasst die Zügel festzuhalten und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da die Räder abzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.

Johann Wolfgang von Goethe, Egmont

Eine Absenderin schrieb: „Ohne meine Achtsamkeitspraxis wäre ich abgesoffen.“ Man kann viel über Achtsamkeit lesen und in unseren Ausbildungen viel über Achtsamkeit lernen. Und man kann die Achtsamkeitspraxis auch fest in sein Leben integriert haben. Aber erst wenn es hart auf hart kommt, erschließt sich einem das ganze heilsame Potenzial der Achtsamkeit.

Durch Achtsamkeit ein geübter Navigator des eigenen Lebensschiffs sein

Aus diesem Grund wird auch gesagt, dass der beste Zeitpunkt zum Erlernen von Achtsamkeit eine ruhige Lebensphase ist. Wir sind dann wie ein Kapitän, der bei ruhiger See das Navigieren lernt. Geht die See irgendwann hoch, ist er bereits geübt darin, Untiefen und Klippen zu umsteuern und das Lebensschiff sicher in den Hafen zu bringen.

Ich bin tief berührt, Teil dieser Erfahrungen sein zu dürfen. Und ich möchte die Absender um Verständnis dafür bitten, dass ich nur die E-Mails unserer Teilnehmer und Ausbildungs-Absolventen beantworte. So gerne ich alle Zuschriften beantworten würde – ich schaffe das einfach nicht. Aber wir haben unter diesem Beitrag eine Kommentarfunktion eingerichtet und es wäre toll, wenn du hier deine Erfahrungen in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter teilen würdest. Ich freue mich darauf, von dir zu lesen.

Einsamkeit

In dieser Corona-Krise höre ich viel über Einsamkeit. Offenbar fühlen sich viele Menschen in der derzeitigen häuslichen Quarantäne einsam, abgeschnitten und isoliert. Solche Gefühle können sehr belastend sein und ich habe tiefes Mitgefühl mit allen, die derzeit darunter leiden. Ich habe überlegt, was hilfreich für Menschen in dieser Situation sein könnte.

Wer mich kennt, weiß: Ich bin kein Freund von salbungsvollen, oberflächlichen Bemäntelungen. Ich bin eher dafür, den Dingen auf den Grund zu gehen und daraus zu lernen, um sich zu transformieren. Nach meiner Erfahrung ist jede Herausforderung, vor die wir gestellt werden, von unschätzbarem Wert von uns, denn sie ist eine Chance zu innerem Wachstum.

Fasziniert vom Leben

Wozu inneres Wachstum gut ist? Für mehr Lebenssinn und Lebensfreude. Je mehr Einsichten wir über unsere inneren Strukturen haben und je mehr wir über die Natur des Lebens begreifen, desto weniger Angst und Einsamkeit spüren wir. Seit ich begonnen habe, mich dem Sein mit Achtsamkeit, Anfängergeist, Neugierde und Offenheit zuzuwenden, bin ich nur noch fasziniert vom Leben und von der Fülle von Entfaltungsmöglichkeiten, die es birgt.

Die Stille bedeutet mehr
als tausend Leben.
Und diese Freiheit ist mehr wert
als alle Reiche der Welt.

Die Wahrheit in sich selbst erblicken,
nur für einen Augenblick,
gilt mehr als alle Himmel, mehr als alle Welten,
mehr als alles, was es gibt.

Rumi

Isolation: Zurückgeworfen auf sich selbst

Die einen fühlen sich vereinsamt, während andere das Alleinsein genießen. Wie kommt es zu solch unterschiedlichen Bewertungen derselben Situation? Um das zu verstehen, ist es hilfreich, diesen Sachverhalt einmal näher anzuschauen. So kann die in dieser Corona-Krise erfahrene Isolation als „Dünger“ für inneres Wachstum genutzt werden.

Psychologisch gesehen, hat derjenige Angst vor Einsamkeit, dessen Beziehungen gewöhnlich auf Bedürftigkeit statt auf Wachstum gründen. Das bedeutet, der Betroffene braucht andere, um sich selbst spüren zu können. Infolgedessen werden andere für eigene Bedürfnisse instrumentalisiert – oder man lässt sich selbst instrumentalisieren. So oder so sucht der Betroffene in einer Beziehung (unbewusst) verzweifelt nach Hilfe.

Einsamkeit als Lehrer für Beziehungsfähigkeit

Paradoxerweise sind es im Alltag genau diese bedürfnisorientierte Movitation und die daraus resulierenden Verhaltensweisen, die erfüllende und tragfähige Beziehungen verhindern. Die häusliche Zurückgeworfenheit der Corona-Epidemie ist eine Möglichkeit, solche Tendenzen in sich zu entdecken und das eigene Beziehungsverhalten einmal tiefer zu ergründen. Phoenix aus der Asche.

Die Achtsamkeitspraxis erweist sich auch hier wieder einmal als besonders wertvoll, denn sie erlaubt eine sanfte Erforschung dieser so sensiblen Sachverhalte.

Solltest du zu denen gehören, die sich derzeit einsam und isoliert fühlen, dann lass mich dir als erstes sagen: Es ist nicht deine Schuld!

Nicht deine Schuld

Wie wir heute mit Bindung und Beziehung umgehen und was wir brauchen, hat seine Wurzeln in unserer Kindheit. Unsere Beziehungfähigkeit gründet in frühkindlichen Erfahrungen; sie entstand durch den Kontakt zu unseren nächsten Bezugspersonen. Wir hatten auf das, was wir zu dieser Zeit erlebten, keinen Einfluss. Deshalb ist es nicht unsere „Schuld“, wenn wir heute ungeschickt mit Beziehungen umgehen.

Die gute Nachricht ist: Es ist nie zu spät, Verhaltensmuster zu verändern. Zunächst einmal muss man sie jedoch erkennen – und dazu ist die Corona-Krise mit ihrer häuslichen Quarantäne eine ungeahnte Möglichkeit.

Selbstmitgefühl als Antwort auf Schmerz

Nachdem wir im ersten Schritt festgestellt haben, dass der Status quo deiner Beziehungsfähigkeit nicht deine „Schuld“ ist, besteht der zweite Schritt darin, dir Selbstmitgefühl zu spenden. Kein infantiles „Mitleid“, sondern ein aufrichtiges Anerkennen der Tatsache, dass du gerade einsam bist und darunter leidest.

Zur Erforschung der Einsamkeit eignet sich die Schriftform hervorragend. Denn: Schreiben schafft Bewusstsein.

Erfahre hier mehr über die heilsamen Wirkungen des achtsamen Schreibens →

Achtsamkeitsübung zur Erforschung von Einsamkeit

Die folgenden Leitfragen können dir helfen, mehr Klarheit über deine Beziehungsmuster zu bekommen. Das Verstehen des eigenen Verhaltens ist die Basis dafür, es verändern zu können.

Gehe behutsam und mit spielerischer Leichtigkeit an diese Fragen heran. Sieh es am besten als ein Forschungsprojekt in eigener Sache und sei neugierig auf alles, was du zutage beförderst. Achte darauf, dich nicht zu verurteilen. Sei gut zu dir und mache eine Pause, wenn du spürst, dass es reicht. Es kann hilfreich sein, sich zwischendurch etwas zu bewegen. Vielleicht eine Gehmeditation an der frischen Luft? Gehmeditation lernen →

  • Welche Gedanken kommen zusammen mit dem Gefühl von Einsamkeit auf?
  • Welche Körperempfindungen kannst du wahrnehmen? Wo sind sie hauptsächlich lokalisiert? Welche Qualität haben sie?
  • Welche Emotionen begleiten das Gefühl von Einsamkeit noch?
  • Wenn der Schmerz der Einsamkeit sich in dir ausbreitet, dann setze dich hin und schreibe auf: „Was brauche ich gerade wirklich?“
  • Welche Rolle spielen andere Menschen dabei?
  • Was vermisst du im Moment am meisten?
  • Könntest du dir das auch selber geben?
  • Was sind deine drei hauptsächlichen Glaubenssätze über Beziehungen?
  • Was sagen andere über dein Beziehungsverhalten?
  • Pflegst du vorzugsweise Beziehungen, von denen du „profitierst“?
  • Wie ist das Verhältnis von Geben und Nehmen in deinen Beziehungen?
  • Wie tief lässt du dich emotional in Beziehungen ein?
    (Benenne auf einer Skala von 1 bis 10 Werte für Partner, Freunde, Kollegen, Eltern etc.)

Solche inneren Auseinandersetzungen brauchen Zeit. Derweil spürst du aber immer noch den Schmerz von Einsamkeit und Verlassensein. Dafür möchte ich dir auch eine zweiteilige Imaginationsübung anbieten. Es ist eine Übung aus dem Kontext des Selbstmitgefühls und sie nutzt die geistige Vorstellungskraft, um sich einen liebevollen Gefährten zu imagnieren.

Natürlich kann das einen Gefährten aus Fleisch und Blut nicht ersetzen. Aber aus der Mitgefühlsforschung wissen wir, dass es für unser Gehirn keinen Unterschied macht, ob ein liebevolles Wesen körperlich anwesend ist oder „nur“ in unserer Vorstellung besteht. Die unterstützende und tröstende Wirkung entsteht auch durch ein imaginiertes liebevolles Wesen.

Deshalb sollte diese Übung nicht unterschätzt werden; sie ist tiefenpsychologisch hochgradig wirksam.

Selbstmitgefühlsübung „Der liebevolle Gefährte“

Teil 1: Den liebevollen Gefährten erschaffen (Schreibübung)

Setze dich in einer ruhigen Stunde hin, nutze deine Kraft der Phantasie und mache dir ein paar Gedanken und Notizen zu der Frage, wer ein ideales Vorbild für Mitgefühl für dich ist.

Die Absicht ist, dich an jemanden zu erinnern oder dir jemanden zu imaginieren, der ein liebevoller Gefährte für dich sein möchte, den du immer herbeirufen kannst, wenn du Mitgefühl, Trost oder Unterstützung brauchst und der sich freut und es genießt, in deiner Nähe zu sein.

Dabei kann es sich um eine reale Person handeln, die lebt oder die bereits verstorben ist. Dein liebevoller Gefährte kann auch eine fiktive Person aus einem Film, einem Märchen oder einem Buch sein. Lasse deiner Phantasie freien Lauf.

Das Bild des Gefährten sollte uneingeschränktes Wohlbefinden in dir hervorrufen und du solltest eine positive Beziehung zu ihm haben. Dein liebevoller Gefährte muss kein Mensch sein. Es kann sich auch um ein Tier handeln, um ein übernatürliches oder mythologisches Wesen oder um ein Motiv aus der Natur.

Die Eigenschaften, die dein Gefährte haben sollte, sind uneingeschränktes Mitgefühl für alle fühlenden Wesen. Er sollte Mut verkörpern und vor nichts zurückzuschrecken und er sollte die Kraft haben, alles zu tragen, was es auch sein mag. Er ist erfüllt von Weisheit und da er es selbst durchgemacht hat, kennt er dein Leid und deinen Schmerz.

Dein Gefährte ist freundlich, liebevoll, zugewandt, fürsorglich, milde und akzeptierend. Du hast Vertrauen zu ihm, weil er dich nicht kritisiert oder belehrt, sondern dich vorbehaltlos annimmt, wie du bist. Die folgenden Fragen werden dir helfen, einen liebevollen Gefährten aus deiner Vorstellungskraft heraus entstehen zu lassen:

  • Wie soll dein idealer liebevoller Gefährte aussehen: Mensch oder nicht Mensch?
  • Männlich oder weiblich?
  • Jung oder alt? Male dir den Gefährten in allen Details aus.
  • Welchen Klang hat seine Stimme? Wie spricht er mir dir?
  • Wie ist sein Verhältnis zu dir?
  • Und wie ist dein Verhältnis zu ihm?
  • Wie möchtest du dich in seiner Gegenwart fühlen?

Teil 2: Den liebevollen Gefährten treffen (Imagination)

  • Wenn du bereit dazu bist, dann lege oder setze dich hin, und wenn es angenehm ist, schließe die Augen.
  • Richte die Aufmerksamkeit einige Zeit lang auf den Bereich des Körpers, in dem du deine Atmung besonders gut spüren kannst.
  • Lass deinen Geist auf den Wellen des Atems zur Ruhe kommen.
  • Stell dir einen schönen und sicheren Ort vor, an dem du den liebevollen Gefährten treffen möchtest. Male dir diesen Ort mit allen Sinnen aus. Es ist dein Ort, den nur du kennst. Zutritt hat nur, wen du dazu einlädst. Nutze die Kraft deiner Phantasie.
  • Wenn du bereit bist, dann lade deinen liebevollen Gefährten zu dir ein. Stell dir vor, wie du ihm begegnest. Vielleicht siehst du nur ein unklares, vages Bild, spürst aber seine wohltuende Gegenwart. Lass alles zu, wie es vor deinem inneren Auge entsteht.
  • Kannst du die bedingungslose Liebe spüren, die dein liebevoller Gefährte dir entgegenbringt – seinen tiefen Wunsch, dass es dir gut gehen möge, dass du in Sicherheit und frei von Angst und Schmerz bist? Er ist vollkommen um dein Wohlergehen besorgt.
  • Wie fühlt es sich an, auf diese bedingungslose Weise geliebt zu werden? Wie fühlt es sich an, die fürsorgliche Haltung eines anderen Wesens dir gegenüber zuzulassen – und anzunehmen? Welche körperlichen Empfindungen und Gefühle kannst du dabei wahrnehmen?
  • Genieße noch einige Momente lang die heilsame Gegenwart deines liebevollen Gefährtens.
  • Verabschiede dich, wenn du bereit bist und bringe deine Aufmerksamkeit wieder in Raum zurück.

Ich wünsche mir sehr, dass diese Ausführungen dir helfen, die Zeit des All-Eins-Seins auf die bestmögliche Weise zu überstehen. Mögest du Trost in dieser Übung finden und mögen dich die Erkenntnisse aus der Corona-Krise wie Phoenix aus der Asche aufsteigen lassen, wenn du ins gewohnte Leben zurückkehrst.

Die Dinge von einer anderen Seite zu betrachten heißt, ein neues Leben zu beginnen.

Doris Kirch

Und sonst so?

Den ganzen Tag lang hat die Sonne geschienen – das war wundervoll. Sonne und Zuversicht sind irgendwie Geschwister. Obwohl mir der Ostwind heute kalt aufs Hinterteil geweht ist, habe ich mich wieder im Garten amüsiert. Zwischendurch gab’s Pausen mit Tee und Studium der Visuddhi Magga (buddhistische Lehre aus dem 5. Jahrhundert) auf der Hollywoodschaukel.

In einigen Zuschriften, die ich bekommen habe, wurde die Vermutung geäußert, dass ich dieses Achtsamkeitstagebuch der Corona-Krise auch irgendwie für mich selbst schreibe. Das tue ich ganz bestimmt aber vielleicht anders, als mancher meint.

Die Hilflosigkeit lindern

Das Schreiben dieses Tagebuches ist keine psychische Aufarbeitung der Geschehnisse. Aber es lindert mein Gefühl von Hilflosigkeit angesichts des Leides der Corona-Pandemie. Ich fühle mich weniger hilflos, wenn ich etwas dazu beitrage diese Tage für den einen oder anderen erträglicher zu machen. Wichtig ist mir auch, immer wieder auf den übergeordneten Aspekt des Geschehens hinzuweisen und damit auf die enormen Entwicklungschancen, die dieser Virus uns beschert. Ich werde zu späterer Zeit noch auf den evolutionären Aspekt des Geschens eingehen.

Vorhin habe ich bei Lidl einige Dinge besorgt, die ich bei meinem Biodealer nicht bekomme. Vor dem Eingang stand ein Security-Mann. Ich musste grinsen bei dem Gedanken, dass ich mich beim Einkaufen noch nie so sicher gefühlt habe. Es waren nur wenige Menschen im Laden und sie bewegten sich langsam und behutsam umeinander herum, wie Schwäne auf einem Teich in der Abenddämmerung.

Ein seltsamer Zauber

Eine sonderbare Ruhe liegt über dem Land; ich spüre sie über die Grenzen meiner Eremitage hinaus. Alles ist leiser und langsamer, als wäre das Leben unter einer durchsichtigen Schneedecke verborgen, die die Geräusche dämpft und alles in einen seltsamen Zauber hüllt.

Ich merke, dass der Schreck und die Befürchtungen, die ich zu Beginn der Epidemie hatte, sich immer mehr auflösen und sich in einen Zustand von Glückseligkeit verwandeln. Ein etwas surrealer Zustand angesichts der Situation, dass die Zahlen der Infizierten und Toten weiter im Steigen begriffen sind. Aber es fühlt sich tatsächlich so an.

Mögen alle Wesen die Kraft haben, zu tragen, was ihnen gerade aufgebürdet wird

Während ich mich auf den gemeinsamen Abend mit meinen Lieben vor dem Fernseher freue (es gibt Inspektor Barnaby ;o) gehen meine Gedanken und Gefühle noch einmal um die Erde. Ich sende meine innere Ruhe hinaus in die Welt, in der Hoffnung, dass diejenigen sie auffangen, die ihrer bedürfen. Das Mitgefühl aus der Stille meines Herzens hüllt alle Wesen ein. Auch dich.


WG-Impressionen während der Corona-Quarantäne

22.03.2020

Immer noch gelingt es uns in unserer Wohngemeinschaft eine gute Ausgewogenheit zwischen Arbeit und Entspannung hinzukriegen. Manchmal gibt es auch Überschneidungen ;o)

Bin heute mal wieder auf die Waage gegangen. Das Ergebnis hat mir nicht gefallen. Die Auswirkungen des regelmäßigen Essens, des Nachmittagstees mit kleinem „Teilchen“ und der Langeweile-Snacks zwischendurch beginnen, sich auf meinen Hüften niederzuschlagen. Das kommt davon, wenn in diese Zeit der häuslichen Quarantäne das Essen in den Mittelpunkt des Vergnügens rückt. Werde als erstes mal die Snacks durch Äpfel ersetzen und zusehen, dass ich mich mehr an der frischen Luft bewege.

Wie gehst du in diesen Tagen mit deiner Ernährung um? Wenn du magst, nutze die Kommentarfunktion am Ende dieses Beitrags, um deine Erfahrungen und Gedanken mit anderen zu teilen.

Hier ist übrigens ein Beitrag zum Thema achtsam essen →

Die kleinen Freuden der häuslichen Quarantäne

 18.00 Uhr: Habe den Nachmittag in der Sonne genossen und noch ein wenig im Garten herumgewerkelt. Mein kleiner Freund, das Rotkehlchen, hat mir wieder Gesellschaft geleistet.

Die Schattenseiten der Corona-Krise

Gewöhnlich lese ich die Fake-News und Horrormeldungen in den sozialen Netzwerken nicht, die einem auch in einer Krise leider nicht erspart bleiben. Aber blieb ich heute bei einem Video hängen, das ich anschaute, weil es von einer Person geteilt worden war, die ich sehr schätze. Ein österreichischer Psychiater stellte die Notwendigkeit der derzeitigen Beschränkungen in Frage.

Ich frage mich, was geschehen würde, wenn die Bundesregierung nicht so konsequent handeln würde. Täten sie es nicht und hätten wir Zustände mit Hunderten bis Tausenden von Toten wie in Italien, würde man die Verantwortlichen im Nachhinein zur Verantwortung ziehen, weil sie nicht rechtzeitig, nicht vorausschauend und nicht verantwortungsbewusst gehandelt haben.

Vertrauen

Ist es wirklich angebracht, in der derzeitigen Situation die Verhältnismäßigkeiten in Frage zu stellen? Lässt sich diese Frage ohnehin nicht erst im Nachhinein beantworten? Hinterher ist man immer schlauer. Außerdem ist es die erste Epidemie in der Geschichte der Bundesrepublik. Meiner Ansicht nach sollte man den Verantwortlichen zugestehen, dass sie möglicherweise auch falsche Entscheidungen treffen – aber wer möchte sich hier zum Richter über falsch und richtig machen?

Wir sitzen alle sicher zu Hause mit vollen Speisekammern und heulen herum, weil wir unsere Lieben EIN PAAR TAGE nicht sehen oder körperlich berühren können. Ja, sind denn alle verrückt geworden?

In ein paar Jahren – und vielleicht sogar schon in ein paar Monaten – werden wir auf diese Situation zurückblicken und uns erinnern an die Zeit, wo wir mal einige Tage lang zu Hause bleiben mussten und es kein Klopapier mehr gab.

Mir machen die derzeitigen Maßnahmen keine Angst. Sie geben mir das Gefühl, dass die Verantwortlichen die Sache im Griff haben (so weit das überhaupt möglich ist). Zumindest handeln sie sicher und entschlossen. Wenn mir etwas Angst macht, dann sind das Menschen wie dieser sichtlich nervöse Psychiater, der mit seinem Post Verunsicherung schürt und denen den Rücken stärkt, die ohnehin nicht geneigt sind, den Sicherheitsmaßnahmen Folge zu leisten.

Sich auf das Hier und Jetzt fokussieren

Meine Gesprächspartnerin entgegnete, sie habe mehr Angst vor dem Kontrollwahn der Menschen als vor einem Virus. Sie sagte noch, mir wäre Sicherheit eben wichtiger, während ihr Freiheit wichtiger sei. Aber mir geht es hier nicht um Werte, sondern darum, was wir JETZT tun und welche Auswirkungen das auf andere hat.

Wir stecken mitten in der Epidemie und sollten uns auf das fokussieren, was uns hilft, gut durch diese Zeit zu kommen. Hinterher kümmern wir uns um das, was dann ansteht. Um Freiheit zum Beispiel. Apokalyptische Prophezeihungen werden die Angst vieler weiter schüren und sie verunsichern. Aber was wir derzeit brauchen ist Ermutigung, Kräftigung, etwas, das uns aufbaut.

In dem Dialog mit der Bekannten fiel mir ihre Ich-Bezogenheit auf – symptomatisch für diese Krise, wo vielen die Jacke näher zu sein scheint als die Hose. Für sie war es wichtig, das zu posten, sagte sie, sie wollte das sagen.

In meinem Beitrag 10 Tipps zum Umgang mit der Corona-Angst aus der Sichtweise der Achtsamkeitspraxis gehe ich auf „Die drei Siebe des Sokrates“ ein. Sprich nur, wenn das, was du sagen willst, durch die drei Siebe passt: Erstes Sieb: Ist es wahr? Zweites Sieb: Ist es hilfreich? Drittes Sieb: Ist es gut?

Wir sollten vor allem in dieser Zeit besonders achtsam mit unseren Gedanken und Äußerungen und sensibel für ihre möglichen Auswirkungen auf andere sein.


Leben im Hier und Jetzt

21.03.2020

Morgenmeditation. Ein Vogel singt: „Meet me, met me, met me“ und ein anderer antwortet: „Here, here, here.“ Sind das die Auswirkungen des Corona-Virus, den ich nicht habe!? ;o) Wohl eher ein Geschenk des Himmels, eine Einladung, mich voll und ganz auf den gegenwärtigen Moment zu besinnen. Denn der ist das Einzige, was ich habe – gestern ist vorbei und ob es ein Morgen gibt, weiß ich nicht – aber ich habe das Jetzt. „Here, here, here“. Ich fühle mich von tiefem Glück erfüllt.

Es gibt Zeiten, da ist es anders. Gestern bemerkte ich seufzend, dass wir schon seit Tagen keine Anmeldung für ein Seminar, ein Retreat, eine Fortbildung oder unsere Ausbildung hatten. Wir werden den Gürtel ziemlich eng schnallen müssen. Aber vorausgesetzt, die Corona-Epidemie dauert nicht ewig, werden wir es überleben. Damit gehören wir zu den Glücklicheren in diesen unwägbaren Zeiten.

Aussteigen

Die Erkenntnis der ausbleibenden Einnahmen ließ unwillkürlich Panik in mir aufsteigen. Ich konnte direkt dabei zuschauen, wie Stimmung und Körperhaltung in sich zusammensanken und sich Starre in mir ausbreitete. Mein achtsamer Geist nahm die unangenehmen Körperempfindungen, Gedanken und Gefühle im Moment ihres Entstehens zur Kenntnis. Gleichzeitig war ich mir des Prozesses dieser Beobachtungen bewusst.

Zu erkennen, wie es gerade um mich stand, einen Moment innezuhalten und tief in diese Empfindungen hineinzufühlen, schaffte den inneren Raum mir zu überlegen, wie ich damit umgehen wollte. Ich entschied mich für „aussteigen“, zog Schuhe und Jacke an und drehte eine Runde im Garten. Während ich in die Natur schaute, die sich unbeeindruckt von Corona mit neuer Frische entfaltet, dachte ich darüber nach, dass es uns – wenn ich den Kreis des uns mal um Deutschland ziehe – wesentlich schlimmer hätte treffen können.

Es hätte schlimmer kommen können

Ich dachte an die Gebiete der Erde, in denen Naturkatastrophen wie Erdbeben, Tsunamis, Wirbelstürme, Dürren oder Feuer Leid von unvorstellbarem Ausmaß hervorgebracht haben. Alleine der Tsunami 2004 hat über 200.000 Menschen! das Leben gekostet.

Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich friedlich in meinem Garten sitze, mir die Sonne ins Gesicht scheinen lasse, ich gesund bin und überlege, dass ich uns heute zum Mittag ein leckeres indisches Dal kochen werde. Klopapier ist auch noch da. Ich wende mich wieder dem Alltag zu. „Holz hacken und Wasser holen“, sagt man im Zen.

Achtsamkeit als Mittel der Verdrängung?

Kürzlich fragte mich einer unserer Absolventen, ob es nicht Verdrängung sei, sich von den quälenden Gedanken und Gefühlen fortzubewegen und den Geist auf angenehmere Dinge zu richten. Es solle ja in der Achtsamkeitspraxis darum gehen, dem Unangenehmen gerade nicht auszuweichen, nichts zu verdrängen, sondern sich stattdessen in Akzeptanz zu üben.

Das ist natürlich richtig aber in der Realität ist der Sachverhalt etwas komplexer. Zunächst einmal geht es darum, die von Moment zu Moment auftauchenden Körperempfindungen, Gedanken, inneren Bilder und Gefühle wahrzunehmen: „Was ist Teil meiner Erfahrung im gegenwärtigen Moment?“.

Was bedeutet „Akzeptanz“?

Mit Akzeptanz beschreiben wir eine innere Haltung, die allem, was im Bewusstsein auftaucht – egal ob angenehm oder unangenehm – mit dem gleichen offenen, freundlichen Interesse begegnet. Weder versuchen wir manisch das Angenehme zu erhalten oder zu behalten, noch versuchen wir, uns das Unangenehme „vom Hals zu schaffen“.

Erfahre hier mehr über die inneren Haltungen der Achtsamkeitspraxis →

Die Gelassenheit, Dinge aus einem gewissen Abstand heraus zu betrachten, will gelernt sein, denn diese Fähigkeit ist leider nicht angeboren. Jeder von uns weiß, wie heilsam es ist, etwas Abstand zu schmerzhaften Ereignissen zu bekommen.

Praktizieren wir Achtsamkeit, dann lassen wir nicht die Zeit für uns arbeiten. Wir nehmen die Dinge quasi selbst in die Hand und schaffen durch das Einnehmen einer Beobachterposition einen gewissen Abstand zum Geschehen, der uns davor bewahrt, von den Ereignissen absorbiert zu werden.

Keine runden Pfeiler in viereckige Löcher klopfen

Akzeptanz bedeutet, dem Status quo keinen unnötigen Widerstand entgegenzusetzen. Wir können die Corona-Situation noch so blöd finden – sie ist Teil unseres Lebens in diesem Moment. Das anzuerkennen, bedeutet zu akzeptieren, dass die Dinge sind, wie sie sind. Wir müssen nicht mögen, was wir da gerade erleben. Was mich anbelangt, finde ich die Corona-Krise so überflüssig wie einen Kropf.

Aber sie ist da. Punkt. Und ich habe mich damit auseinanderzusetzen. Punkt. Ich habe Angst. Punkt. Und ich wünschte, dass die Dinge anders liegen würden. Punkt. Tun sie aber nicht. Punkt.

Stoppen. Innehalten. Die Dinge zu sehen, wie sie sind, öffnet einen inneren Raum, der uns Freiheit zum selbstbestimmten Handeln gibt. Wir sind ausgestiegen aus dem Automatismus des instinktgetriebenen Überlebensmodus.

Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.

Viktor Frankl

Wenn das kluge Denken die Regie übernimmt

Das bringt uns wieder in Kontakt mit den weiseren Regionen unseres Gehirns und wir können wohlüberlegte Entscheidungen treffen, was nun das Beste ist. Manchmal ist Verdrängung das Beste. Verdrängung wird oft als etwas Verwerfliches dargestellt, denn sie löst Probleme nicht und macht sie oft noch größer.

Hier gilt es zu unterscheiden zwischen Verdrängung als Sicherheitsmaßnahme, um nicht von schmerzhaften Emotionen überwältigt zu werden und Verdrängung als Lebenskonzept. Die derzeitige Krise verlangt uns täglich viel ab. Wir kommen gar nicht umhin, uns mit ihren Auswirkungen auf unseren Alltag auseinanderzusetzen.

Aber wenn wir mit den Augen der Achtsamkeit schauen, können wir erkennen, dass parallel zu all dem Schwierigen auch ganz viel Wunderbares vorhanden ist. Die Corona-Krise verlangt nicht von uns, die Augen davor zu verschließen. Ein achtsames Bewusstsein ist sich der schwierigen Situation bewusst und tut nicht so, als wäre alles in Ordnung. Es tut aber auch nicht so, als wäre nichts mehr in Ordnung.

Tausend kleine Wunder, um zu überleben

Eine Freundin in einer wirklich schweren existenziell bedrohlichen Lebenssituation antwortete mir auf die Frage, wie sie damit umgeht:

Ich schaff‘ mir täglich tausend kleine Wunder, um zu überleben.

Wir können uns unsere täglichen kleinen Wunder erschaffen und sind gleichzeitig auch von ihnen umgeben. Zahlreiche schöne Dinge und Momente sind Möglichkeiten zum genießen, um wieder neue Kraft zu sammeln. Auch in der Corona-Krise. Vor allem in der Corona-Krise.

Der Duft von frisch gewaschenem Haar; Sonne, die warm auf die Haut scheint; der Sternenhimmel bei Nacht; farbenfrohe Blumen auf dem Tisch; der Duft frisch gebackener Brötchen und Kaffees am Morgen; ein unerwartetes Lächeln eines Mitmenschen; der Genuss von klarem Wasser; sich Zeit zum Lesen zu nehmen; anderen eine Freude machen; Spaziergang durch den Wald; Sonne, die aus den Wolken hervorbricht; Lieblingsmusik hören; sich nach einem Bad in den Bademantel kuscheln; Kaminfeuer; im Garten das Herbstlaub entfernen; achtsam Kochen; achtsam Essen; meditieren; sich beim Einschlafen in die richtige Position kuscheln; Zeit zu haben und mal aus der ständigen Betriebsamkeit heraustreten.

Achtsamkeitsübung:

Schreibe heute den Tag über alle Genussmomente auf.

Ich bin dann mal weg

Siehst du das kleine Rotkehlchen auf dem Bild? Es klopfte gerade ans Fenster, um mich in den Garten zu locken. Wenn ich draußen zugange bin, leistet mir mein kleiner Freund häufig Gesellschaft. Oft kommt er mir dabei so nahe, dass ich Angst habe, auf ihn zu treten oder ihn vom Rand der Schubkarre zu kegeln. Er hat keine Corona-Angst vor Nähe. Nähe hat viele Gesichter.

Jetzt folge ich erstmal dem Ruf des Rotkehlchens und gehe in den Garten.


Morgengedanken über achtsames Handeln

20.03.2020

Eine Leserin eines meiner Facebook-Posts hat sich mitfühlende Gedanken zu meinen Anmerkungen über den Rücktritt von Seminarteilnehmern und den damit verbundenen Rückerstattungen der Seminargebühren gemacht. Sie regte an, die Haltung derjenigen verständnisvoll zu betrachten, weil sie durch die Corona-Krise möglicherweise einen finanziellen Engpass haben.

Ich finde es sehr wichtig, diesen Gedanken zu berücksichtigen, was wir natürlich getan haben – und bei einer Person, war das ganz bestimmt auch der Fall. Die Frage ist, ob dieses Geld, das man zurückfordert, den Status quo in irgendeiner Form nachhaltig! verbessert.

Ich habe da meine Zweifel. Unzweifelhaft hingegen ist die Tatsache, dass diese reflexhaften Panikreaktionen dazu führen, Arbeitsplätze zu vernichten und viele Menschen nebst deren Familien in eine echte Existenznot stürzen.

Achtsames Handeln ist umsichtiges und mitfühlendes Handeln

Wenn man darüber nachdenkt, führt das fast zwangsweise zu der Frage, was achtsames oder ethisches Handeln eigentlich ist. Wie definiert sich das? Die buddhistischen Lehren geben da eine gute Orientierung. Nicht im Sinne eines moralischen Leitfadens. Auch hier erweist sich die Lehre Buddhas eher als erstaunlich pragmatisch.

Welche Konsequenzen hat mein Handeln und welchen Schaden wird es (langfristig gesehen) möglicherweise nach sich ziehen? Nach umsichtiger Abwägung aller Fakten kann achtsames Handeln dazu führen, eigenes Leid hinzunehmen, um mehr Leid an anderer Stelle zu verhindern.

Es gibt keine Achtsamkeit ohne Mitgefühl

Um eigene Interessen hintenan stellen zu können, braucht man ein starkes, mitfühlendes Herz, das sich gegen die reflexhaften Impulse des inneren Überlebenssystems durchzusetzen vermag. Es geht dabei nicht um irgendeine fragwürdige „Moral“. Es geht viel mehr um ein Handeln mit Weisheit, ohne jemandem (sich selbst eingeschlossen) in manifeste Schwierigkeiten zu bringen, um ein kluges Abwägen aller Fakten, bevor man zur Tat schreitet.

Von der Amöbe zum Menschsein

C. G. Jung, der bekannte Psychoanalytiker, prägte den Begriff der Individuation („Menschwerdung“). Ich mag diesen Begriff. Er verkörpert für mich die Möglichkeit, mich zum Menschsein zu entwickeln. Wie definiere ich mein Menschsein?

Individuation bedeutet, zu dem Menschen zu werden, der man wirklich ist.

Für mich ist das weder eine rhetorische, noch eine metaphorische und auch keine philosophische, sondern eine höchst pragmatische Frage: Was für ein Mensch möchte ich sein? Als welcher Mensch möchte ich handeln?

So lange wir vom unbewussten Automatismus eines evolutionären Überlebensmodus beherrscht sind, trennt uns nicht viel von einer Amöbe.

Doris Kirch

Individuation bedeutet auch Bewusstwerdung – was uns dann wieder direkt zur Achtsamkeits- und Meditationspraxis zurückbringt.

Meditation macht aus uns keinen anderen, sondern den, der wir immer gewesen sind.

Carl Friedrich von Weizsäcker,
Physiker und Philosoph

Aha. Der hat es auch verstanden. Um achtsam handeln zu können, braucht es einen achtsamen Geist. Mit solch einem Geist werden wir nicht geboren. Es gibt jedoch einen Weg, um ihn auszubilden und diesen Weg zeigt uns die Achtsamkeitspraxis. Indem wir regelmäßig formale und informelle Meditation praktizieren und unseren Geist systematisch in Retreats schulen, transformieren wir unser Bewusstsein allmählich in Richtung Menschsein.

Buchtipp:

Physik und Transzendenz. Die großen Physiker unseres Jahrhunderts über ihre Begegnung mit dem Wunderbaren. Hans-Peter Dürr (Hrsg.).
Hier bestellen →

Die Corona-Krise als Chance für die Menschheit

Und hier birgt die derzeitige Corona-Krise die Chance zu einer wahrhaftigen Transformation der Menschheit. Solch ein transformativer Akt wird vor allem von Menschen ausgehen, die ihren Geist bereits für diese Möglichkeit geöffnet haben.

Wer noch „tief versenkt ist, in seines Daseins tiefstem Schacht“, wie es Lama Anagarika Govinda einmal formulierte, ist vollauf von seinem täglichen Überlebenskampf in Anspruch genommen.

Wer Sklave seines Überlebensmodus ist, prügelt sich eher im Supermarkt um Klopapier, statt zu meditieren, um sich in einen mitfühlenden und weisen Menschen zu verwandeln.

Ich meine das weder wertend noch zynisch. Vielleicht, mit Blick auf den derzeitigen Zustand des Homo Sapiens, etwas frustriert, angesichts der Herkulesaufgabe, die noch vor uns liegt.

Und sonst so?

Es geht mir gut. Jedenfalls so lange ich dem keinen Glauben schenke, was mein Kopf mir so erzählt. Nach einer Woche häuslicher Zurückgezogenheit erklärte er mir heute Morgen: „Dir fällt die Decke auf den Kopf.“ „Was für ein Blödsinn“, entgegnete ich.

Hätte ich diesem Gedanken geglaubt, der irgendwo in den Tiefen meines Unterbewusstseins entstanden ist, wäre dem wahrscheinlich eine miese Stimmung gefolgt. Wer Achtsamkeit praktiziert, ist auch hier klar im Vorteil. Er ist sich nämlich seiner Gedanken bereits bei ihrem Entstehen bewusst und er kann sich frei entscheiden, ob er ihnen glauben möchte – oder nicht. Ich habe mich in diesem Fall für „oder nicht“ entschieden :o)

Don’t believe
everything
you think.

Nicht alles glauben, was du denkst

Ein unverstellter Blick auf meine Situation zeigt nämlich, dass es mir gerade ziemlich gut geht. Ich kann im Home-Office gemütlich vor mich hin arbeiten, muss weniger E-Mails beantworten und werde weit weniger als gewöhnlich von Anrufen aus meinem Work-Flow gerissen. Außerdem kann ich mich sehr gut um meine Gesundheit kümmern, was angesichts der Tatsache, dass ich zur Corona-Risikogruppe gehöre, von unschlagbarem Wert ist.

Draußen stinkts nach Gülle. Schöner Normalitätsgeruch.

Ich werde heute tagsüber weiter fasziniert die fragwürdige Strategie meines Kopfes beobachten, mein Überleben mittels furchterregender geistiger Zukunftszenarien und bedrohlicher Gedanken sichern zu wollen.

*händevorsgesichtschlagäffchen*
*zwinkersmiley*

10 Tipps zum achtsamen Umgang mit der Corona-Angst →


Die Kraft der Achtsamkeitsmeditation

19.03.2020

5:35 Uhr: Meditation. Der erste Vogel am Morgen bringt seinen ersten Ton hervor. Ein magischer Moment. Nach und nach stimmen weitere Piepmätze in den Gesang ein. Die Situation hat etwas Surreales: Während die Welt mit dem Corona-Virus ringt, singen draußen die Vögel, als wäre nichts geschehen.

Während wir alle den Atem anhalten, dreht die Welt sich weiter. Menschen sterben, werden geboren, Blumen blühen, werden verwelken, die Sonne geht auf und wieder unter.

Sorgen schmelzen in der wärmenden Sonne der Achtsamkeit

Dieses Bewusstsein weitetet meinen Geist. Ganz von allein. Er gibt meinen kleinen Sorgen Raum. Auch den großen Sorgen: Der Angst vor Ansteckung, der Angst vor einem möglichen Tod, wirtschaftliche Ängste. Je größer ich diesen Raum werden lasse, um so mehr löst sich das ganze Affentheater auf. Es wird ersetzt durch ein fast surreal anmutendes Einverstandensein. Sitzen. Inmitten aller Dinge. Atmen. Tiefer noch.

In der Meditation finde ich große Kraft, die Dinge anzunehmen, wie sie sind. Ich lasse zu, mich von dieser Kraft anfüllen zu lassen. Sie verbrennt alle Ängste und Zweifel. Statt dessen breitet sich ein zärtlicher tiefer Frieden in mir aus. Auf seinen Flügeln gleite ich sanft in den Tag.

Klorona-Krise

15:20 Uhr: Habe gerade gelesen, dass in Mannheim ein Streit um Toilettenpapier zwischen einem Kunden und zwei Supermarktangestellten in eine handfeste Schlägerei ausgeartet ist.


Selbstwirksamkeit tut gut

18.03.2020

In meinem Beitrag über die Corona-Krise habe ich einige Ideen angeregt, wie man das Zurückgeworfensein auf die eigenen vier Wände sinnvoll gestalten kann. Ich dachte, ich gehe mal mit gutem Beispiel voran :o)

Glücklicherweise lebe ich in einem Haus auf dem Land, das von einem parkähnlichen Garten umgeben ist. In diesem Jahr werde ich es wohl erstmalig schaffen, den Garten zeitgerecht frühlingsfit zu machen. Ein kleiner aber angenehmer Nutzen, den ich jetzt schon aus der Krise ziehe.

In unserer kleinen 3er-WG haben wir beschlossen, keine weitreichenden Pläne zu machen. Wir leben von Tag zu Tag, besprechen morgens, wie wir den Tag gestalten wollen und was wir zum Mittag kochen. Dass  wir vom Home-Office aus arbeiten, erlaubt uns, die Tage in einer harmonischen Ausgewogenheit zwischen sitzender Tätigkeit am Computer und körperlicher Arbeit an frischer Luft zu gestalten.

Freude aus der Natur schöpfen

Suche in der Natur und in den Blumen nach Ruhe im Geist und nach Lebensfreude

sagte einst der chinesische Philosoph Wang Wei. Wie recht er hat! Natürlich treiben auch mich Sorgen um meine Lieben und die Sicherung der Arbeitsplätze meiner Kollegen um. Ich merke, wie schnell die Gedanken Fahrt aufnehmen und welche unangenehmen Emotionen sie nach sich ziehen. Achtsamkeit hilft mir, frühzeitig die heraufziehenden „Gewitterwolken“ zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern. Die erdende Arbeit im Garten macht den Kopf wieder frei.

Auch die Hausarbeit – wir haben heute alle bodentiefen Fenster des Hauses geputzt – ist in dieser Hinsicht wohltuend. Diese Tätigkeiten sind einfach. Die Resultate sind direkt sichtbar und das freut mich. Außerdem merke ich, dass das Saubermachen und Ordnungschaffen mein Gefühl von Selbstwirksamkeit stärken. Ich bin nicht „allem“ hilflos ausgeliefert. Innerhalb der äußeren Begrenzungen kann ich entscheiden, was ich tue und lasse.


Sehnsucht nach Nähe!?

17.03.2020

Einkauf im Supermarkt. Während ich darauf achte, den 2-Meter-Abstand zum Vordermann einzuhalten, rückt der Nächste in der Schlange mir dicht auf die Pelle, um seine Lebensmittel zur gleichen Zeit wie ich aufs Band zu legen. Auf meine freundliche Bitte, den gebotenen Abstand einzuhalten, glotzt er mich verständnislos an.

Selbst im Bioladen und in der Apotheke halten Menschen den Sicherheitsabstand nicht ein. Was sind wir nur für eine merkwürdige Spezies, die an der Supermarktkasse farbige Fußboden-Markierungen braucht, weil sie sonst offenbar nicht in der Lage ist, 2 Meter Abstand zum Vordermann zu halten. Sehnsucht nach Nähe!? Wenn weiterhin viele Menschen so ignorant sind, wird sich das Corona-Virus schneller ausbreiten. Das wird uns unausweichlich zu einem Shut-Down führen. Und zu noch mehr Toten.

Gutes Essen genießen, um die Gesundheit zu stärken

Es scheint derzeit realistisch, sagen die Experten, dass wir nahezu alle vom Corona-Virus infiziert werden. Eine stabile Gesundheit scheint da die beste Vorsorge zu sein, um ihm gut zu überstehen. Da im Fachzentrum derzeit alles ruhiger läuft und ich im Home-Office arbeite, finde ich zwischendurch Muße zum achtsamen Kochen und achtsamen Essen.

Der Anblick der frischen Gemüsefarben die würzigen Aromen des Veggie-Gyros erfüllen mich mit Wohlbehagen. Sind die Stücke nicht wundervoll achtsam in gleicher Größe geschnitten? ;o)

Habe auch gleich meine neue Granit-Bratpfanne eingeweiht :o)


Wenn Selbstbezogenheit Unternehmen ruiniert

16.03.2020

Während wir anfangs noch dachten, diese Corona-Epidemie sei in ein bis zwei Wochen Legende, wird allmählich klar, dass wir uns auf einen längeren Zeitraum einzurichten haben. Bei vielen steigt das Panikthermometer. Hastig ergreifen sie Maßnahmen zur (scheinbaren) Existenzsicherung – auch wenn diese so unüberlegt sind, wie Toilettenpapier für 10 Jahre im voraus zu kaufen.

Für einige gehört dazu auch, bei uns gebuchte Veranstaltungen abzusagen und ihr Geld zurückzuverlangen. Glücklicherweise ist das die geringere Zahl. Wäre die Mehrzahl unserer Teilnehmer und Absolventen nicht so besonnen, hätte uns das den Kopf kosten können.

Bei den meisten gibt es für solche Rücktritte, die uns zum Teil recht rüde übermittelt wurden, gar keinen „echten“ Grund. Wir haben allen Teilnehmern angeboten, sie auf die nächste Veranstaltung umzubuchen. Aber einige wollten das nicht – sie würden sich dann nach der Krise erneut anmelden, so die Begründung. Nach mir die Sintflut.

Handeln ohne zu denken

Solche selbstbezogenen und kurzsichtigen Aktionen können Unternehmen in den Ruin stürzen. Uns betrifft das glücklicherweise (Dank der überwiegenden Zahl unserer besonnenen Teilnehmer) nicht. Aber zahlreiche andere Unternehmen schon. Ich bin erschreckt darüber, wie wenig Gedanken sich manche über die Auswirkungen ihres Handelns machen. Oder noch schlimmer, dass es ihnen möglicherweise sogar egal ist.

Auch das geht vorbei

Wenn jetzt alle „den Ball flach halten“ und wir die Situation quasi aussitzen, bleiben Arbeitsplätze erhalten und Familien werden nicht ins Unglück gestürzt. In der buddhistischen Psychologie gibt es das Konzept der Drei Daseinsmerkmale. Eines dieser Merkmale unseres Daseins ist Anicca (Vergänglichkeit). Es besagt, dass alles vorbeigeht. Das gilt auch für die Corona-Krise. Wir harren ein paar Wochen aus und irgendwann finden wir uns wieder zum gemeinsamen Praktizieren von Achtsamkeit zusammen. So einfach könnte das sein. So einfach ist es.

Kein Zombie

Anfangs spürte ich bei jedem dieser Rücktritte Anflüge von hilfloser Verzweiflung, weil ich keine Ahnung hatte, wohin das führen würde. Dann wurde ich wütend auf die Betroffenen. Und dann sah ich meine Wut, mein Unverständnis und meine Traurigkeit. Ich spendete mir soviel Selbstmitgefühl wie nötig war, um aus dem Überlebensmodus herauszutreten und mich mit den weiseren Bereichen meines Gehirns zu verbinden.

Mein kluges Gehirn hat Verständnis für ihr Handeln. Sie sind Instrumente ihrer Angst – dafür können sie nichts. Achtsamkeit könnte ihnen helfen, umsichtigere Entscheidungen zu treffen. Langfristig. Vorerst sagen sie ihr Achtsamkeitsseminar aber erst einmal ab.

Wer Achtsamkeit praktiziert, steht nicht über den Dingen. Auch eine Achtsamkeitstrainerin kann Aufwallungen unangenehmer Emotionen erleben. Wir wären Zombies, wenn das anders wäre. Was den Unterschied macht ist: Ich falle nicht mehr tief und wenn es doch einmal passiert, komme ich schnell wieder aus der Fallgrube heraus.


Die Welle reiten

15.03.2020

In dieser unwägbaren Zeit erlebe ich meinen, seit 35 Jahren in Achtsamkeit und Meditation geschulten Geist als echten Vorteil. Das brachte mich auf die Idee, dessen Ruhe und Klarheit in diesem Achtsamkeitstagebuch mit anderen zu teilen.

Einige der Absolventen unserer Achtsamkeitstrainer-Ausbildung haben mich gebeten, etwas Heilsames aus Sicht der Achtsamkeitspraxis zur derzeitigen Corona-Epidemie zu schreiben. Voilá: Hier ist der Beitrag →