Resilienz fördert, salopp gesagt, ein dickeres Fell im Umgang mit dem Stress des Alltags. Von Achtsamkeit sagt man das Gleiche. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es zwischen dem Konzept der „7 Säulen der Resilienz“ und der buddhistisch basierten Achtsamkeitspraxis? Wissenswertes für jeden, der an einem wirkungsvollen Stressmanagement interessiert ist.

Definition von Resilienz

Der Begriff Resilienz bedeutet so viel wie psychische Widerstandsfähigkeit. Damit wird die Fähigkeit eines Individuums bezeichnet, schwierige Ereignisse wie Krisen Widrigkeiten, Verluste, Traumata, Bedrohungen, Beziehungs- und Familienprobleme, ernste Gesundheitsprobleme oder Stress am Arbeitsplatz gut bewältigen zu können, das Beste daraus zu machen und daraus zu lernen.

Ein resilienter Mensch ist jemand, den das Leben nicht so schnell „auf die Bretter schickt“. Und wenn das doch einmal geschieht, findet er schnell in sein inneres Gleichgewicht zurück.

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Das Geheimnis innerer Stärke: Die Resilienzforschung

Das wohl bekannteste Forschungsprojekt zu Resilienz führte Prof. Emmy Werner von der University of California durch. Im Jahr 1977 veröffentlichte sie eine Längsschnittstudie von 698 Kindern, die 1955 auf der hawaianischen Insel Kauai unter schwierigen biologischen und psychosozialen Bedingungen geboren wurden.

Das Ergebnis war nicht wirklich überraschend: Kinder, die unter Armut und disharmonischen häuslichen Bedingungen aufwuchsen, entwickelten sich negativer als Kinder, die unter günstigeren Bedingungen groß wurden.

Wieso macht den einen stark, was den anderen schwächt?

Wirklich bemerkenswert an dieser Studie war jedoch die folgende Erkenntnis: Rund ein Drittel der unter problematischen Bedingungen aufgewachsenen Kinder entwickelte sich trotz der zahlreichen Risikofaktoren positiv. Sie wuchsen zu leistungsfähigen, optimistischen und fürsorglichen Erwachsenen heran.

Das Resultat war eindeutig: Offenbar können sich Menschen, die unter vergleichbaren Umständen aufwachsen, aufgrund bestimmter Persönlichkeitseigenschaften unterschiedlich entwickeln.

Werner versuchte herauszufinden, was den Unterschied machte: Warum gehen manche Menschen gestärkt und zuversichtlich aus schwierigen Lebenssituationen hervor, an denen andere zerbrechen?

Die Wissenschaftlerin identifizierte sieben stärkende Prinzipien, die sie als ausschlaggebend für eine positive Entwicklung hielt. Diese Eigenschaften sind heute bekannt als die Sieben Resilienzfaktoren oder 7 Säulen der Resilienz.

7 Säulen der Resilienz | Achtsamkeit

Sieben Säulen zur Stärkung von Resilienz

Die 7 Säulen der Resilienz

  • Optimismus
  • Akzeptanz
  • Lösungsorientierung
  • Die Opferrolle verlassen
  • Verantwortung übernehmen
  • Netzwerkorientierung
  • Zukunftsplanung

„Echte“ und „falsche“ Resilienzfaktoren

Emmy Werner war natürlich nicht die Einzige, die das Phänomen von Resilienz erforschte; es wurde auch von anderen Wissenschaftlern untersucht, zum Beispiel von Dr. Karen Reivich und Dr. Andrew Shatté. Die beiden Forscher identifizierten zwar ebenfalls sieben Resilienzfaktoren, benannten sie aber etwas anders:

  • Realistischer Optimismus (optimism)
  • Emotionssteuerung (emotion regulation)
  • Impulskontrolle (impulse control)
  • Empathie (empathy)
  • Kausalanalyse (causal analysis)
  • Selbstwirksamkeitsüberzeugung (self-efficacy)
  • Zielorientierung (reaching out)

Um ihre sieben Resilienzfaktoren messen und durch spezielle Trainingsmaßnahmen fördern zu können, haben Reivich und Shatté sogar ein eigenes Instrument entwickelt, das RFI = Resilience Factor Inventory.

Wer solch ein System erstellt hat – oder damit arbeitet – wird geneigt sein, es gegen andere Begrifflichkeiten abzugrenzen. Weil jeder seine eigene Sichtweise für die „richtige“ hält, besteht unter Resilienztrainern bis heute Uneinigkeit über die „echten“ und die „falschen“ Resilienzfaktoren.

Resilienz durch Achtsamkeit

Verschiedene Resilienzmodelle zur Bewältigung von Stress

Verschiedentlich wird Resilienz als ein „ganzheitliches Entwicklungskonzept“ bezeichnet. Das ist jedoch irreführend. Zum einen bezeichnet der Begriff für sich genommen die menschliche Widerstandsfähigkeit im Umgang mit den Wechselfällen des Lebens. Zum anderen gibt es nicht „das“ Konzept zur Resilienzförderung.

Im Laufe der Jahre haben einzelne Resilienzforscher und Resilienztrainer verschiedene Modelle mit bis zu 11 Faktoren für Resilienz entwickelt. Je nach Kontext und beruflicher Grundbildung haben sie den Schwerpunkt dabei auf bestimmte Aspekte gelegt.

Das noch junge Wiener Resilienz-Modell zum Beispiel, bezieht Erkenntnisse aus Ernährungswissenschaften (Food), Sportwissenschaften (Move) und Psychologie (Mind) mit ein.

Obwohl sich die Modelle mehr oder weniger deutlich voneinander unterscheiden, verfolgen sie das gleiche Ziel: Widerstandskraft als Ressource zu stärken.

Die Karte ist nicht die Landschaft

Man sollte beim Blick auf die verschiedenen Ansätze nicht vergessen, dass Theorien und Modelle lediglich die Funktion von Landkarten haben. Sie sind nützlich, weil sie Orientierung geben – aber die Landkarte ist nicht die Landschaft. Die menschliche Psyche und die kontextuelle Situation eines Menschen sind viel zu komplex, um sie innerhalb eines Systems abbilden zu können.

Um Krisen und schwierige Situationen zu meistern, braucht ein Mensch weit mehr Fähigkeiten, als die in den sieben Resilienzfaktoren beschriebenen. Weitet man den Fokus, kann man sehen, dass es kein „entweder – oder“ und kein „richtig oder falsch“ gibt, weil alle Aspekte zusammenhängen, einander durchdringen und sich ergänzen.

Achtsamkeit Resilienz Ausbildung

Beim Entwickeln von Resilienz wirken viele Aspekte und Faktoren zusammen.

Resilienzforschung ist ein Prozess

Zudem ist die Resilienzforschung ein Prozess, der sich fortlaufend weiterentwickelt. Gemäß einer Studie, die 2007 im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchgeführt wurde, gibt es drei Phasen der Resilienzforschung. Reivich und Shatté haben Bedeutungsvolles dazu beigetragen, aber wenn man sich mit ihren Forschungsergebnissen beschäftigt, sollte man berücksichtigen, dass sie zur ersten Phase gerechnet werden.

Während sich die zweite Phase auf situationsspezifische und kontextbezogene Aspekte fokussierte, stehen wir mittlerweile am Beginn der dritten Phase, die sich mit der Entwicklung von resilienzförderlichen Interventionen beschäftigt. Die Praxis der Achtsamkeit könnte im Hinblick darauf künftig eine wichtige Rolle in der Resilienzforschung spielen.

Widerstandskraft ist lernbar

Ob ein Mensch eine hohe oder eine geringe Resilienz aufweist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen scheinen genetische Anlagen eine Rolle zu spielen. Zum anderen finden bereits ab frühester Kindheit resilienzfördernde oder -hemmende Prägungen durch die nahen Bezugspersonen und das Umfeld statt.

Man weiß heute jedoch, dass wir auf diese „Grundausstattung“ nicht festgelegt sind: Resilienz ist etwas, das man erlernen und stärken kann, indem man es gezielt trainiert.

Phönix aus der Asche

Resilienz zu entwickeln, ist das Phoenix-aus-der-Asche-Prinzip

Wenig Konkretes zur Förderung von Resilienz

Schaut man sich im Internet und in Lebenshilferatgebern um, stellt man jedoch fest, dass für solch ein systematisches Training nicht viel Konkretes angeboten wird. Es wird viel „Was“ anstelle von „Wie“ verkauft. Wortreich wird ausgeführt, wie ein resilienter Zeitgenosse auszusehen hat. Er soll

  • optimistisch und lösungsorientiert sein
  • die Opferrolle verlassen
  • Verantwortung für sein Leben übernehmen
  • seine Ziele planen
  • sein soziales Umfeld erweitern
  • Probleme in Möglichkeiten und Chancen verwandeln
  • alles zulassen, was ihm widerfährt
  • seine Energie darauf lenken, erwünschte Ergebnisse zu erzielen und Ressourcen zu aktivieren
  • sich im Hinblick auf unterschiedliche Befindlichkeiten und Situationen angemessen steuern und sich je nach Bedarf aktivieren oder beruhigen können

Das trägt alles zur Resilienzförderung bei, ist demnach also gut und richtig. Aber es bleibt die Frage offen, auf welche Weise all diese Kompetenzen entwickelt werden können.

Betrachtet man die hohen Burnoutraten in Deutschland im Verhältnis zu den Umsätzen von Lebenshilfe-Ratgebern, drängt sich die Vermutung auf, dass es mit dem Lesen von Büchern nicht getan ist – vor allem nicht, wenn sie triviale Ratschläge und irreführende Aussagen wie diese beinhalten:

Jetzt nehmen Sie sich etwas Neues vor. Wie wäre es zum Beispiel mit 5 Minuten Morgengymnastik nach dem Aufstehen?“

Wird die Zukunft entsprechend der eigenen Möglichkeiten geplant, bleibt sie beherrschbar und große Krisen können in den meisten Fällen in Eigenregie bewältigt werden.“

Aus Lebenshilfe-Ratgebern zur Resilienzförderung

Resilienzförderung durch Achtsamkeit

Die Erkenntnisse des Buddha: pragmatisch und zeitlos.

Achtsamkeit als Praxis zur Stärkung von Resilienz

Die wesentliche Grunderkenntnis der Resilienzforschung ist eine Tatsache, die der Psychologe Albert Ellis bereits in den 1950er Jahren in seinem ABC-Modell dargelegt hat:

Unsere Emotionen und Verhaltensweisen werden nicht durch die Ereignisse selbst bestimmt, sondern durch die Art und Weise, wie wir die Ereignisse wahrnehmen und bewerten.

Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen,
sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben.

Epiktet

Wie man an dem Zitat sehen kann, waren die Zusammenhänge zwischen Ereignis, Bewertung und Verhalten bereits zur Zeit von Christi Geburt bei den griechischen Philosophen der Stoa bekannt.

Normalerweise reagieren wir automatisch und so blitzschnell auf ein Ereignis, dass wir den Vorgang der Bewertung – in den wir theoretisch eingreifen könnten – gar nicht wahrnehmen.

Es braucht deshalb ein systematisches Trainig des Geistes, um allmählich zu lernen, in diesen geschwindigkeitsstarken Prozess einzugreifen und ihn heilsam zu beeinflussen. Kognitives Buchwissen ist dabei wenig hilfreich. Wie also können wir lenkend in ein Geschehen eingreifen, das quasi „unter dem Radar“ unseres Bewusstseins abläuft?

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Definition von Achtsamkeit

Genau dafür ist die Achtsamkeit von unschätzbarem Wert. Zum rechten Verständnis ist an dieser Stelle eine Definition des Wortes Achtsamkeit nötig. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch wird Achtsamkeit meistens als ein anderes Wort für Aufmerksamkeit benutzt. Hier geht es jedoch um die Achtsamkeitspraxis als einen Erkenntnisweg.

Die Achtsamkeitspraxis basiert auf den zweieinhalbtausend Jahre alten buddhistischen Lehren. Der Buddha hat uns einen zeitlosen und höchst pragmatischen Weg zur Erforschung unseres Bewusstseins und zur Veränderung von Verhalten hinterlassen.

Er hat erkannt, dass die Struktur des Lebens so angelegt ist, dass wir fortlaufend vor Herausforderungen gestellt werden, die uns unter Stress setzen. Seiner Einsicht nach besteht der größere Anteil dessen, worunter wir leiden, in der Reaktion auf das uns widerfahrene Unheil – und er fand heraus, wie wir das vermeiden können.

Ein achtsames Gehirn trainieren

Resilienzfaktoren durch die Achtsamkeitspraxis hervorbringen anstatt sie anzutrainieren

Den Geist erforschen, um Achtsamkeit und Resilienz zu entwickeln

Durch meditative, fast wissenschaftliche Erforschung hat der Buddha herausgefunden, wie der Geist funktioniert. In der Vipassana-Lehre (Lehre der Einsicht/Klarsicht) ist uns der Übungsweg überliefert – ein Weg, mit dem wir mehr Kompetenzen im Umgang mit den Schwierigkeiten des Lebens entwickeln können.

Im Gegensatz zum kognitiven Resilienzansatz geht es also in der Achtsamkeitspraxis nicht darum, unbewussten geistigen Prozessen einstudierte kognitv basierte Verhaltensweisen überzustülpen. Der Weg der Achtsamkeit ist eher umgekehrt: So etwas wie die Eigenschaften der 7 Säulen der Resilienz oder der 7 Resilienzfaktoren entwickeln sich intrinsisch, also von innen heraus.

Resilienz als Folge von Einsicht

Die als resilienzfördernd beschriebenen Faktoren sind das Ergebnis eines intensiven meditativen Einsichtsprozesses, also der tiefen achtsamen Erforschung der eigenen Gedanken, Gefühle, Motivationen, Impulse und Handlungen von Moment zu Moment.

Und das Schöne dabei ist: Sie müssen sich nicht anstrengen, jemand anderer zu werden, indem Sie Charaktereigenschaften einstudieren wie beim Auswendiglernen eines Gedichtes. (Solch ein Ansatz nährt die in vielen von uns tiefsitzenden defizitären Überzeugungen, nicht gut genug zu sein).

Meditation macht aus uns niemand anderen,
sondern den, der wir immer gewesen sind.

Carl-Friedrich von Weizsäcker, Physiker und Philosoph

Wir können viel Bewusstsein über das erlangen, was in unserem Gehirn vor sich geht. Unser Handeln wird das bewusste Ergebnis dieser Erkenntnisse sein. Der Buddha hat uns einen bewährten Übungsweg dafür hinterlassen.

Resilienz und Selbstmitgefühl entwickeln

Achtsamkeit fördert nicht nur Resilienz, sondern auch Glück, Sinn und Selbstmitgefühl.

Glück, Sinn und Selbstmitgefühl als „Nebenwirkungen“

Die Achtsamkeitspraxis führt nicht nur zu Erkenntnissen über Verhaltensweisen im Umgang mit Stress und sich daraus ergebende Verhaltensänderungen. Es gibt noch wundervolle „Nebenwirkungen“: Wer gelernt hat, seinen Geist in der Meditation und im Alltag auf achtsame Weise zu erforschen, wird sich tiefsitzender psychischer Denkmuster und automatischer Reaktionsweisen bewusst und lernt, sich daraus zu befreien.

Die Haltungen der Achtsamkeit, als Basis dieser Praxis, fördern eine bestimmte geistige Ausrichtung, die ganz natürlich Gefühle von Glück, Sinnhaftigkeit und Selbstmitgefühl hervorbringt. Und zwar nicht als Eigenschaften, die antrainiert werden, sondern als Qualitäten des Herzens, die in jedem von uns angelegt sind.

Durch die Praxis der Achtsamkeit kommen sie zum Vorschein, wie beim Blick in einen See, in dessen klarem Wasser wir den Grund sehen können, sobald das aufgewühlte Sediment sich gesetzt hat.

Wie man ein achtsames Gehirn entwickelt

Die bekanntesten systematischen Programme zum Erlernen von Achtsamkeit sind das wissenschaftlich evaluierte und krankenkassenanerkannte MBSR-Programm (MBSR – Mindfulness Based Stress Reduction = Stressbewältigung durch Achtsamkeit) und das achtsamkeitsbasierte Training, das wir in unserer Ausbildung zum Trainer für Achtsamkeit, Resilienz und Selbstmitgefühl vermitteln.

© Doris Kirch