Bist du ein mitfühlender Mensch? Die meisten von uns würden diese Frage wohl bejahen. Aber im Alltag zeigen wir unbewusst oft weniger Mitgefühl, als wir glauben. Mangelndes Mitgefühl kann sich sehr subtil ausdrücken, wie die folgende Geschichte zeigt. Die gute Nachricht ist: Jeder Mensch verfügt über Mitgefühl. Erfahre, wie du mit Achtsamkeitsübungen die Qualität deines Herzens vertiefst.

Heute hat ein Ereignis mich betroffen gemacht und mich zum Nachdenken über Mitgefühl im Alltag gebracht. Ein mir nahestender Mensch steht kurz vor einem Umzug. Wir sprachen über Umzugskartons und deren Gewicht. Meine Gesprächspartnerin erzählte mir davon, dass sie einmal gesehen habe, wie ein Möbelarbeiter zwei Umzugskisten übereinander gestapelt auf dem Rücken eine Treppe hinaufgeschleppt habe.

Wir nickten beide zustimmend mit dem Kopf als sie sagte: „So etwas geht ja gar nicht.“ Ja, das fand ich auch und dachte voller Mitgefühl daran, wie sehr sich dieser arme Mensch seine Gesundheit ruiniert, wenn er so schwer trägt.

Im gleichen Moment fügte meine Gesprächspartnerin noch einen Satz hinzu: „Wenn die Kartons verrutscht wären, dann wären die ganzen Sachen die Treppe heruntergefallen und kaputtgegangen.“

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Gleicher Himmel – anderer Horizont

Dieser Satz machte unsere unterschiedliche Sichtweise auf das Geschehen deutlich. Für einen Moment lang war ich sprachlos. Aber dann wurde mir klar, dass diese wenig mitfühlende Haltung nicht wirklich der Person anzulasten ist. Jeder von uns ist ein Geschöpf der Gesellschaft, in der wir aufgewachsen sind, und wir sind alle sind mehr oder weniger durch eine Haltung geprägt, die Dingen mehr Bedeutung zumisst als Menschen.

Mitgefühl entwickeln

Mitgefühl ist eine Qualität des Herzens – nicht des Verstandes.

Als Ausdruck seines Mitgefühls im Alltag und in der Gesellschaft zu Weihnachten eine Spende an eine gemeinnützige Organisation zu leisten, ist ehrenwert aber nicht genug. Um uns in dieser Welt, in der wir leben, wohlzufühlen, braucht es etwas mehr.

Mitgefühl im Alltag beginnt bei Mitgefühl für sich selbst

Aus Sicht der buddhistischen Psychologie liegt die Ursache für mangelndes Mitgefühl anderen Wesen gegenüber in mangelnder Selbstliebe. Und wenn wir uns selbst nicht lieben, können wir uns selbst gegenüber auch nicht mitfühlend sein. Und wenn wir uns gegenüber nicht mitfühlend sind, können wir es anderen gegenüber auch nicht sein. Die eigene Person ist also der Ansatz: Wir müssen lernen, uns selbst zu lieben.

Mit Selbstmitgefühl das Leben heilen. Hier mehr darüber lesen →

Ich meine nicht die romantische oder selbstbezogene Liebe, die von Bedingungen abhängt. Ich spreche von einer Selbstliebe, die bedingungslos ist wie die Sonne, deren Licht und Wärme ausnahmlos auf alle Wesen scheint.

So stärkst du dein Selbstmitgefühl

Falls diese Sichtweise etwas befremdlich auf dich wirkt, möchte ich dich zu einem kleinen Experiment mit einer Selbstmitgefühlsübung für den Alltag einladen. Sie ist nicht schwierig, denn du brauchst dazu nur auf das Potenzial des Mitgefühls zurückgreifen, das bereits in dir vorhanden ist.

Woher ich weiß, dass es da ist? Weil es in jedem von uns vorhanden ist: Auch ein Schwerverbrecher würde ein weinendes Baby aus einem brennenden Haus retten. So, wie du ein Samenkorn hegen und pflegen kannst, damit eine schöne Blume daraus entsteht, kannst du deine Mitgefühls-Samenkörner hegen und pflegen.

Übung für Selbstmitgefühl:

  • Bleibe morgens nach dem Aufwachen noch einen Moment liegen.
  • Spüre in den Körper hinein und nimm die Empfindung wahr, die dein Atem im Körper erzeugt. Beibe einen Moment lang dabei.
  • Dann bringe dich in Kontakt mit deiner Güte. Denke dazu an all das Gute und Hilfreiche, das du in der letzten Zeit oder in deinem Leben gedacht, gesagt oder getan hast – an alle großen, aber auch kleinen, unscheinbaren Dinge.
  • Lasse die Freude, die dabei entsteht, zu und spende dir Zuneigung, Wärme und Anerkennung.
  • Werde dir deines Bedürfnisses bewusst, gesund, beschützt und glücklich zu sein.
  • Richte die folgenden Segenswünsche an dich selbst, wiederhole sie nach Belieben und lasse sie tief in dein Herz einsinken:
    – Möge ich gesund und glücklich sein.
    – Möge ich sicher und geborgen sein.
    – Möge ich frei von Leiden sein.
    – Möge ich mit Leichtigkeit leben.
  • Beende die Übung wenn es für dich passt, mit einigen tiefen bewussten Atemzügen.

Anstelle der von mir vorgeschlagenen Sätze kannst du auch andere Sätze verwenden, die dir besser gefallen oder besser passen. Alles, was dir gut tut, ist willkommen.

Selbstmitgefühl entwickeln: Sich selbst ein guter Freund sein →

Was ist Mitgefühl

Mitgefühl gehört zu unserer genetischen Grundausstattung; es lässt sich kultivieren und vertiefen

Alltagsübung zum Entwickeln von Mitgefühl

Hier ist noch eine kleine Übung mit unglaublicher Wirksamkeit für den Alltag in Familie und im Job:

Wünsche jedem Menschen Gutes, der dir heute begegnet.

Zum Beispiel: „Mögest du einen schönen Tag haben“ oder „Friede sei mit dir“ oder welcher Satz auch immer dir in den Sinn kommt. Nimm dabei auch deine Gefühle und Gedanken wahr.

Vielleicht möchtest du einmal damit experimentieren, auch einem Menschen Gutes zu wünschen, den du schwierig findest oder gegen den du ausgesprochene Abneigung hegst. Beim Üben mit einem schwierigen Menschen können wir am meisten über uns lernen – unter anderem, wie viel Güte in uns steckt.

Praktiziere eine Zeit lang mit diesen Übungen für Mitgefühl und Selbstmitgefühl im Alltag und beobachte, was sich verändert.

Mitgefühls-Übung für schwierige emotionale Situationen im Alltag

Mitgefühl in der Forschung

Das Thema Mitgefühl spielte in der Forschung lange keine Rolle. Wahrscheinlich deshalb, weil Mitgefühl seit jeher als Domäne der Religionen und spirituellen Traditionen galt. So hat sich die Wissenschaft erst spät dieses speziellen Themas angenommen.

Als Richard Davidson, Professor für Psychologie und Psychiatrie an der University of Wisconsin, in den 1980er Jahren mit wissenschaftlichen Untersuchungen über Achtsamkeit und Mitgefühl begann, warnten ihn seine Kollegen, dass er damit seine wissenschaftliche Reputation aufs Spiel setze. Zum Glück hat er sich nicht abhalten lassen.

Neben Davidson war Paul Gilbert, Professor für klinische Psychologie an der University of Derby, einer der ersten, die sich wissenschaftlich an das Thema Mitgefühl heranwagten.

Der folgende Vortrag mit Paul Gilbert wurde bei einer Action for Happiness-Veranstaltung in London im April 2017 gefilmt. Gilbert zeigt auf, wie wir Mitgefühl in unseren Alltag bringen können und auf welche Weise das zu einem glücklicheren Leben beiträgt.

Gilbert hat die Erkenntnisse aus seiner jahrzehntelangen Forschung in mehreren Büchern veröffentlicht, die sehr lesenswert sind:

Buchtipps zum Thema Mitgefühl

Paul Gilbert: Mitgefühl: Wie wir Mitgefühl nutzen können, um Glück und Selbstakzeptanz zu entwickeln und es uns wohl sein lassen →

Paul Gilbert und Choden: Achtsames Selbstmitgefühl →