Die Praxis der Achtsamkeit kann uns zu innerer Freiheit führen. Was frei sein bedeutet, wird jedoch oft missverstanden. Erfahre, was wahre Freiheit ist und wie du sie erlangen kannst.

Jüngst erzählte mir eine Kollegin von einer Situation aus ihrem Achtsamkeits-Kurs. Eine Teilnehmerin hatte gleich zu Beginn ein trotziges Statement abgegeben: Es sei ihre „Freiheit“, im Kurs nichts tun zu müssen, wozu sie keine Lust habe!

In einem Achtsamkeits-Kurs muss ohnehin niemand tun, was er nicht kann oder mag. Aber hier schwang etwas anderes mit, nämlich ein irrtümliches Verständnis von innerer Freiheit – jedenfalls aus Sicht der buddhistisch basierten Achtsamkeitspraxis. Maskierter innerer Widerstand ist falsch verstandene Freiheit.

Verwechslung von Freiheit und Unabhängigkeit

Fragt man Menschen, was sie unter Freiheit verstehen, sagen die meisten: Single (also ohne Partner und Kinder) sein, selbstständig sein, ortsunabhängig sein und/oder finanziell unabhängig sein. Meistens geht es darum, von etwas oder jemandem „unabhängig“ zu sein.

Hier wird Freiheit mit Unabhängigkeit verwechselt. Diese Sichtweise ist ein irreführender Mythos, denn letztendlich sind wir niemals wirklich unabhängig. Als menschliche Wesen sind wir eingebettet in diese Welt. Wir sind Teil eines großen Ganzen und stehen in ständiger Interdependenz mit anderen Menschen und unserer Umwelt.

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Unfrei durch den Autopiloten

Freiheit von etwas ist keine wirkliche Freiheit. Verantwortungslos, rücksichtslos, maß- und zügellos zu sein, bedeutet ebenfalls nicht, wirklich frei zu sein. Auch wer glaubt, tun und lassen zu können, was er will, ist in Wahrheit Sklave seiner inneren Begierden und Abneigungen. Er ist nach wie vor ein Gefangener in dem von seinem Gehirn erzeugten evolutionär bedingten Spannungsfeld zwischen Verlangen und Widerwillen.

Jeder Mensch wird unbewusst und vollautomatisch von einem archaischen Überlebensprogramm gesteuert, das ihm fortwährend einflüstert, was es will und was es nicht will. Wir glauben, dass wir die Entscheidungen treffen. Aber eigentlich trifft eher das Bild einer Marionette zu, bei der ein anderer (unser Gehirn) unbemerkt die Fäden zieht. So lange wir nicht merken, was hier gespielt wird, halten wir uns für frei. Sind wir aber nicht.

Innere, wahre Freiheit mit Achtsamkeit erlangen

Innere Freiheit ist ein Bewusstseinszustand, den wir kultivieren können.

Wahre innere Freiheit: die Freiheit, ich selbst zu sein

Wahre Freiheit liegt jenseits des Getriebenseins von Verlangen und Aversion. Sie liegt in der Freiheit, ich selbst zu sein. Ich selbst zu sein bedeutet, in jedem Moment die Fähigkeit, zu haben, ja zu sagen, wenn ein Ja nötig ist, nein zu sagen, wenn ein Nein nötig ist, und zu schweigen, wenn gar nichts nötig ist.

Frei sind wir dann, wenn wir uns dieser Optionen bewusst sind und wir uns im Einklang mit dem gegenwärtigen Moment entscheiden können. Dann erfahren wir wirkliche Freiheit, eine Freiheit, die nicht von äußeren Bedingungen, Menschen oder Situationen abhängig ist. Die Freiheit von etwas und die Freiheit, zu tun und zu lassen, was man will, hängen immer von äußeren Bedingungen ab; die Freiheit, wir selbst zu sein, nicht.

Achtsamkeit: Der Weg zu innerer Freiheit

Wie werde ich, ich selbst? Die gute Nachricht ist: wir müssen uns nicht anstrengen, denn wir sind es bereits. In der Meditation können wir mit diesem Potenzial in Berührung kommen. Es handelt sich dabei um den natürlichen Zustand unseres Wesens, der rein und unbefleckt ist, wie ein klarer Spiegel.

Verborgen unter Schichten von Konditionierungen aus der frühen Kindheit und dem späteren Leben, liegt dieses unbefleckte Feld unseres Bewusstseins, für das der persische Dichter Dschalāl ad-Dīn ar-Rūmī die wundervollen Worte fand:

Jenseits der Ideen vom rechten Tun und vom falschen Tun liegt ein Feld. Dort warte ich auf dich.

In der Meditation können wir die grenzenlose Freiheit unserer selbst spüren. Pures Sein. Ein heiter gelassenes Gewahrsein, das sich durch ein umfassendes Einverstandensein mit dem, was gerade ist, zum Ausdruck bringt. Es ist ein Zustand des Sich-glücklich-Fühlens, in völliger Abwesenheit der Ideen vom „rechten Tun und falschen Tun“, also jenseits von Begehren und Widerstand und dem Streben nach irgendetwas.

Innere, wahre Freiheit mit Achtsamkeit finden

Innere Freiheit kann nicht durch Wollen erreicht werden.

Bewusstheit mit Hilfe der Achtsamkeitspraxis entwickeln

Wahre Freiheit liegt in dem Bewusstsein des gegenwärtigen Moments. Die Vergangenheit trägt uns fort aus dem Hier und Jetzt, indem sie uns in Erinnerungen an Geschehnisse versinken lässt, die längst vorbei sind und nicht mehr verändert werden können.

Und all unser Streben, Begehren, Wollen und Wünschen zieht uns in eine imaginäre Zukunft, ebenfalls weg, aus dem einzigen Moment, den wir im Leben wirklich haben: dem gegenwärtigen Moment.

Freiheit erfahren wir in der Präsenz des Augenblicks, jenseits von Vergangenheit und Zukunft. Das verdeutlicht den großen Wert von Achtsamkeitspraxis und Achtsamkeitsmeditation für unsere innere Freiheit, denn sie lehren uns, im gegenwärtigen Moment vollkommen präsent zu sein.

Den Geist durch Einsicht zur innerer Freiheit führen

Das gewöhnliche Bewusstsein ist wie ein verstaubter Spiegel. Wir müssen ihn putzen, um uns selbst, also unsere wahre innere Natur, darin sehen zu können. Das Putzmittel ist die Einsicht und die Putzarbeit sind unsere formale und informelle Achtsamkeitspraxis.

Indem wir Achtsamkeit in unsere Alltagverrichtungen bringen, täglich meditieren und unseren Geist in Stille-Retreats regelmäßig klären, können wir immer weitere Schichten von Konditionierungen abtragen und kommen unserer wahren Essenz – und damit unserer Freiheit – immer näher. Nicht umsonst wird der Moment, indem wir uns klar in diesem Spiegel erkennen können, als „Befreiung“ bezeichnet.

Es ist der Augenblick, wo sich alles auflöst, was unseren ursprünglichen Geist bislang verdeckt hat. Ein spiritueller Lehrer beschrieb diesen Moment mit den Worten: “ … und Freiheit kam, als allem ich gestorben, was gestern mir noch traut und Heimat war, was ich in harter Mühe Jahr um Jahr in Hoffnung auf das Morgen mir erworben.“

Auch er bringt zum Ausdruck, dass wir uns nicht anstrengen müssen, anders oder ein anderer zu werden, um frei zu sein. Innere Freiheit ist ein spiritueller Prozess des Loslassens. Dieser Prozess braucht Vertrauen, Zeit und unablässiges Bemühen.

Meditation macht aus uns niemand anderen, sondern den, der wir immer gewesen sind.

Carl-Friedrich von Weizsäcker, Physiker und Philosoph

Die Angst, frei zu sein

Eine der größten Hürden auf dem Weg zur Freiheit ist die Angst, frei zu sein. Das mag sich paradox anhören, ist aber gar nicht ungewöhnlich, und die Ursache dafür ist Gewohnheit. Wir sind mit dem Elend des Unfrei-Seins vertraut; wir empfinden es als Teil von uns.

Vielleicht kennen Sie auch das Bild von dem Vogel, der nach langer Gefangenschaft im Käfig nicht davonfliegt, obwohl die Käfigtür geöffnet ist. Wir sollten wachsam dafür sein, wo wir aus Angst vor Freiheit weiter im eigenen Käfig verharren, obwohl unsere Gefängnistür weit offen steht.

Eine weitere Stolperfalle auf dem Weg zur Freiheit ist der Wunsch nach Freiheit. Denn wenn du dir Freiheit wünschst, bist du schon wieder in einem auf die Zukunft gerichteten Streben gefangen.

Streng dich nicht an, denn deine innere Freiheit ist schon da: Jetzt! Geh dir selbst aus dem Weg. Lass hinter dir, was dir die Sicht versperrt. Wahre Freiheit ist spiritueller Natur – sie kann uns weder gegeben noch genommen werden. Weil sie immer da ist.

Freiheit bedeutet,
bewusst zu sein.
Je bewusster du bist,
desto freier bist du.

Doris Kirch