Auch unter den Mitarbeitern eines Fachzentrums für Achtsamkeit kann es mal krachen. Kürzlich gab es Stress zwischen zwei Kollegen und wieder einmal hat sich gezeigt, wie hilfreich achtsame Kommunikation ist, um Klarheit und Frieden in den Arbeitsalltag zurückzubringen.

Trouble in Paradise – Wenn Kommunikation nicht achtsam ist

Ärger keimt im Stillen. Und meistens fängt es ganz harmlos an. In diesem Fall mit zwei Kollegen, die als freie Mitarbeiter vom Home-Office aus arbeiten, sie sitzen also nicht mit im Büro. Gewöhnlich erfolgt die Kommunikation per E-Mail und gewöhnlich klappt das auch sehr gut. In diesem einen Fall jedoch nicht.

Die Situation: Kollege A machte gerade ein kompliziertes Softwareupdate, als Kollege B hilfreich sein wollte, spontan in den Arbeitsprozess des Kollegen A eingriff und damit ein kleines Desaster verursachte, das einiges an Irritationen und Mehraufwand nach sich zog.

So etwas passiert eben mal. Ein typischer Fall von „dumm gelaufen“. Aber wirklich interessant war, was dann folgte: zahlreiche E-Mails hin und her, mit Erklärungen, Zuschreibungen und Missdeutungen.

Ich höre was, was du nicht sagst.“

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Irritationen in der Kommunikation als Achtsamkeitsanker nutzen

Bei fast jeder dieser E-Mails stand ich im Verteiler. Und nach jeder neuen E-Mail hoffte ich, dass diese die letzte sein würde. Es hörte aber nicht auf und der Ton wurde allmählich etwas schärfer. Irgendwann begann sich ein gewisses Unbehagen in mir auszubreiten.

Unbehagen, Irritation und beginnender Ärger sind wunderbare Achtsamkeitsanker, um in aufschaukelnden Prozessen zu stoppen und innezuhalten. Also stoppte ich und hielt inne.

Zunächst einmal richtete ich die Aufmerksamkeit auf meine Emotionen. Ich war leicht genervt und bemerkte auch, wie dieses Genervtsein die Gedanken anfeuerte. Ich atmete tief durch und schaute auf den Prozess, in einer offenen, fragenden Haltung von: „Was ist hier eigentlich los?“

Achtsamkeitstrainer - Achtsame Kommunikation

Irritation und Ärger als Achtsamkeitsanker nutzen, um in Stress-Situationen nicht den Kopf zu verlieren.

Achtsam sein bedeutet, vorurteilsfrei zuzuhören

Achtsam sein bedeutet auch, vorurteilsfrei zu sein – und so schaute ich unvoreingenommen auf den Prozess, der sich hier entfaltet hatte. Mit dieser Betrachtung aus einem gewissen Abstand stellte sich sofort ein großes Mitgefühl mit den Kontrahenten ein.

Wenn du dir das Leben schwer machen willst, dann denke schlecht über andere und beschwere dich.“

Marshall Rosenberg

Denn indem ich achtsam „zuhörte“ konnte ich sehen: Beide wollten tatsächlich nur das Beste und keiner von beiden wollte leiden. Sie waren festgefahren in einem Teufelskreis aus verletzten Gefühlen, vermutenden Zuschreibungen in Bezug auf das Verhalten des anderen und niemand wollte als der „Dumme“ dastehen. Das ist nur allzu menschlich.

Indem ich die Sache weiter auf mich wirken ließ, verstand ich auch, dass es unabhängig von den sachlichen und emotionalen Aspekten um ein grundsätzliches Kommunikationsproblem ging, dessen Zeuge ich schon öfter im Leben meiner Teenagertochter geworden war: der „WhatsApp-Zicken-Alarm“.

Wieso fünf Minuten telefonieren, wenn man die Sache auch in acht Stunden über WhatsApp klären kann?“

Doris Kirch

Bei dem WhatsApp-Stress unter den Mädels konnte man direkt dabei zusehen, wie sich im Zuge unendlich vieler hin- und hergehender Nachrichten ein unheilsamer Prozess enwickelte, der mit jeder neuen Nachricht nicht besser sondern schlimmer wurde. Interessanterweise selbst dann, wenn ein Gesprächspartner einlenken oder besänftigen wollte.

„Entmenschlichte“ Kommunikation

Aus Sicht der Kommunikationspsychologie ist solch eine Dynamik auch nicht verwunderlich. Dort gibt es das Konzept des „Kommunikativen Eisbergs„. Dieses Konzept besagt: Nur 10 – 20 Prozent der zwischenmenschlichen Kommunikation entfallen auf das gesprochene Wort. 80 – 90 Prozent hingegen – also der weit größere Teil – entfallen auf die nonverbalen Kommunikationsanteile (Stimme, Mimik, Gestik etc.).

In der elektronischen Kommunikation müssen wir demnach auf den größten Teil dessen verzichten, was für unseren zwischenmenschlichen Austausch essenziell ist. Das macht Kommunikationsprozesse enorm störanfällig im Sinne von „ich höre was, was du nicht sagst“ …

Statt über E-Mail oder WhatsApp persönlich miteinander reden

Wir hören die Stimme des anderen nicht, sehen sein Gesicht und seine Augen nicht und auch nicht seine Körpersprache. In der elektronischen Kommunikation müssen wir auf all diese Informationen verzichten, die uns sonst Klarheit darüber geben, ob unser Gesprächspartner sein Anliegen locker und wohlwollend oder angespannt und gereizt von sich gibt.

Fehlende Informationen ersetzt unser Gehirn automatisch durch Annahmen und Interpretationen. Und wenn wir bereits „angefressen“ sind, fallen solche Interpretationen im Allgemeinen nicht zugunsten des anderen aus.

Ich habe selbst schon mit Staunen erlebt, dass Prozesse gekippt sind, selbst wenn ich defensiv und freundlich war. Ab irgendeinem Punkt kann man Situationen per E-Mail schwer bis gar nicht mehr retten.

Kommunikativer Eisberg - Achtsame Kommunikation

Mit Hilfe des Eisberg-Konzeptes verstehen, was elektronische Kommunikation so stressanfällig macht.

Achtsame Kommunikation im Arbeitsalltag nutzen

Es gibt einige Möglichkeiten, achtsame Kommunikation im Arbeitsalltag zur Stressvermeidung zu nutzen: Zum Beispiel das bereits angesprochene Stoppen und Innehalten. Ein weiterer Schritt ist die Selbsterforschung: „Wie geht es mir gerade? Was macht diese Situation mit mir?“ Wir können uns bewusst darüber werden, was wir denken, fühlen und empfinden.

Klarheit über unsere Gedanken und Gefühle haben, öffnet fast automatisch den Raum für das Verständnis des anderen. Wir sind nicht mehr in uns selbst und unserem beengten Fokus gefangen, sondern haben die Freiheit, uns auch unserem Gesprächspartner zuzuwenden. So können wir erforschen: „Was geht bei dem ab? Was fühlt er wohl gerade? Wieso ist der eigentlich so sauer?“

Mit den Augen der Achtsamkeit schauen wir das Verhalten des anderen vorurteilsfrei und  unvoreingenommen an. Zugegeben, das ist nicht immer leicht. Aber Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Auf diese Weise mit schwierigen Gesprächssituationen umzugehen, ist ein achtsamer Weg zu einer lebensfördernden Kommunikation.

Lesen Sie die Achtsamkeits-Kolumne von Doris Kirch: Heiteres, Ernstes, Merkwüdiges und Lehrreiches zu Achtsamkeit im Berufsalltag und im Privatleben »»

Achtsame Kommunikation

Aus buddhistischer Sicht ist „Unwissenheit“ eine Wurzel allen Übels in der Welt. Diese Wahrheit können wir auch in der zwischenmenschlichen Kommunikation erkennen.

Ärger als Gradmesser für das eigene Unverständnis

Seine Heiligkeit der Dalai Lama sagt, dass wir jemanden nicht verstanden haben, wenn wir wütend auf ihn sind oder uns verletzt fühlen. So lange wir Ärger spüren, haben wir ihn nicht (richtig) verstanden. Dann müssen wir nachfragen – mit aufrichtigem Interesse an dem, was den anderen bewegt. Und sobald wir ihn verstanden haben, ist „wundersamerweise“ der Ärger verschwunden.

Der Ärger, den wir spüren, ist ein Gradmesser unseres Unverständnisses.“

Doris Kirch

In unserem Fall hätte ein achtsames Zurücktreten aus der Situation im Moment der beginnenden Irritation weitere Eskalationen verhindern können. Ein Blick auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse sowie die des anderen hätte augenblicklich Erkenntnis und damit Verständnis bringen und die Situation befrieden können.

Ein achtsames Gehirn für eine achtsame Kommunikation

Der Moment des Stoppens schafft einen Raum zwischen Reiz und Reaktion. Man braucht einen achtsamen Geist, um solch einen Moment erfassen zu können. Dafür braucht es ein achtsames Gehirn. Dieser kleine Moment des Stoppens schafft einen großen Raum, in welchem wir mit klarem Bewusstsein entscheiden können, als welcher Mensch wir handeln wollen und was das Beste für die Situation und alle Beteiligten ist.

Den Raum zwischen Reiz und Reaktion hätte man in unserem Fall zu einem persönlichen Kontakt – von Mensch zu Mensch – nutzen können.

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Wenn auch Smileys die Situation nicht retten können

Ich selbst nehme Unbehagen in der elektronischen Kommunikation (aber auch sonst) als Signal zum Stoppen und Innehalten. Dann wird mir klar, dass es hier mehr echte Zwischenmenschlichkeit braucht – mehr, als Buchstaben auf weißem Hintergrund, mehr als ganze Kohorten freundlich grinsender Smileys, Emojis oder Emoticons.

Sich persönlich zusammenzusetzen, wäre sicherlich am besten. Aber wo das nicht möglich ist, gibt es immer noch das gute alte Telefon. Für mich bewährt es sich, zum Hörer zu greifen, sobald ich das Gefühl habe, dass ein Gesprächspartner und ich die sachliche Ebene verlassen und unterschwellige Emotionen spürbar werden.

Ich glaube daran, dass das größte Geschenk, das ich von jemandem empfangen kann, ist, gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden. Das größte Geschenk, das ich geben kann, ist, den anderen zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu berühren. Wenn dies geschieht, entsteht Kontakt.”

Virginia Satir

Wenn wir Stress am Arbeitsplatz haben, entgeht uns schnell, was jetzt am besten zu tun wäre, um weiteren Stress zu vermeiden. Deshalb ist es so wichtig, achtsame Kommunikation im Arbeitsalltag zu nutzen, um zu stoppen, wieder zur Besinnung zu kommen und dem gesunden Menschenverstand eine Chance zu geben.

Wir sind soziale Wesen. In unseren hektischen Zeiten der elektronischen Kommunikation vergessen wir oft, wie wichtig das menschliche Miteinander für uns ist. Statt dessen hämmern wir wie besessen in die Tasten, anstatt einfach miteinander zu reden.

Achtsame Kommunikation im Job

Mittlerweile kann man im Internet immer öfter über die Frage lesen, ob die „Telefonkultur“ verschwindet – ob das Telefonieren ausstirbt.

Achtsamkeit bei der Arbeit als Weg der Achtsamkeit

Verurteilen und Zickenalarm sind nicht meine Sache. Ich bin mehr an guten Prozessen und Ergebnissen interessiert. In manchen Prozessen im Arbeitsalltag tauchen zwischenmenschliche Probleme auf und das erfordert dann mehr Aufmerksamkeit auf der Beziehungsebene.

Beim achtsamen Zuhören wurde mir klar, was die beiden Kollegen brauchen, um zu einem inneren Frieden zu kommen: Zunächst einmal die Wertschätzung und Anerkennung ihrer Kompetenz und ihres Bemühens. Dessen habe ich sie nachdrücklich versichert.

Wieder Harmonie im Paradies

Ebenfalls hilfreich war, den Blick der beteiligten Kollegen auf die Metaperspektive zu lenken. So wurde es beiden möglich, sich aus der Verstrickung in den Prozess und aus der emotionalen Identifiktation zu lösen. Wir haben uns darauf verständigt, künftig wachsamer dafür zu sein, wenn Arbeitsprozesse beginnen, sich zu emotionalisieren und dann persönlich miteinander zu reden.

Wir werden uns darin üben, in schwierigen Arbeitssituationen in einer wertschätzenden achtsamen inneren Haltung zu bleiben und den guten Willen und das Bemühen des anderen anzuerkennen. Der Weg ist das Ziel.

It’s not a trick“

Sony

Durch achtsame Kommunikation im Arbeitsalltag herrscht nun wieder Frieden im Paradies 🙂

© Doris Kirch