Doris Kirch

Walk and Talk ist ein beliebter neuer Trend unter Achtsamkeitstrainern. Sie nutzen die Natur als erweiterten Praxisraum für ihre Achtsamkeits-Coachings, denn Bewegung an frischer Luft bringt auch Bewegung in geistige-emotionale Prozesse. Lass dich inspirieren, deine Beratungs- und Therapiearbeit auf diese bewegte und bewegende Weise anzubieten.

Inhalt

  • Was ist Walk and Talk?
  • 10 Vorteile von Walk and Talk
  • Bewegung fördert Achtsamkeit und Kreativität im Coaching
  • Beratung in Bewegung ist gesund
  • Die 4 besten Tipps, wenn du Walk & Talk anbieten möchtest
  • Die Natur als kreativer Coaching-„Werkzeugkasten“
  • Die beste Achtsamkeitsübung für Walk and Talk

Was ist Walk and Talk?

Bei Walk and Talk wird eine Coaching- oder Beratungssitzung in die freie Natur verlegt. Solch eine Sitzung ist kein freundschaftliches Rumbummeln, sondern ein zielgerichteter Spaziergang, bei dem die Natur als ein erweiterter Praxisraum dient. Eine natürliche Umgebung wird so zu einem ebenso angenehmen wie effektiven Rahmen für tiefe Gespräche, Erkenntnisse und Problemlösungen.

Die körperliche Bewegung und die besondere Stimulation der Sinne durch die natürliche Umgebung wirken sich heilsam auf die emotionale Verfassung des Klienten aus und sie beeinflussen positiv seine Beziehung zu sich selbst.

Beratung in Bewegung wirkt sich aber auch die Beziehung zwischen Achtsamkeitstrainerin und Klientin aus. Beim Gehen entwickeln beide einen gemeinsamen Schrittrhythmus und ihr Blick geht in die gleiche Richtung. Diese besondere Verbindung schwingt beide Gesprächspartner beim Walk and Talk nicht nur auf der körperlichen, sondern auch auf der gedanklichen und emotionalen Ebene ein. Das ist eine gute Basis für ein erfolgreiches Achtsamkeits-Coaching.

10 Vorteile von Walk and Talk

Nach meiner Erfahrung bringt Walk and Talk gegenüber einem sitzenden Achtsamkeits-Coaching in einem geschlossenen Raum eine Menge Vorteile mit:

  • Im Gehen wird Schweres leichter
    Bewegung ist immer eine befreiende Erfahrung, denn sie bringt stagnierende körperliche, mentale und emotionale Energien wieder ins Fließen.
    Es ist nur eine Vermutung – aber könnten wir ein und dasselbe Gespräch einmal im Sitzen und einmal im Gehen führen, würden wir sicherlich feststellen, dass die Unterhaltung im Gehen von mehr Leichtigkeit geprägt war.
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  • Distanz zum Alltag
    Unterwegssein unter freiem Himmel schafft eine wohltuende räumliche und gedankliche Distanz zu dem, was im Alltag drückt und nervt. Auch die Waldbaden-Forschung bestätigt eindrucksvoll die entspannende körperliche und psychische Wirkung der Natur auf den Menschen.
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  • Mehr Augenhöhe im Gespräch
    Nicht selten haben Klienten während eines Achtsamkeits-Coachings in einem geschlossenen Raum ein etwas flaues Gefühl von „Ausgeliefertsein“. Beim Walk and Talk wird das vermieden, denn die Gesprächspartner gehen nebeneinander – und oft gleichen sie sogar intuitiv den Rhythmus ihrer Schritte an. Dass beide beim Gehen nach vorne blicken und gemeinsam in die gleiche Richtung schauen, hat eine gewisse Symbolik, die der Klientin das Gefühl vermitteln kann, auch gedanklich gemeinsam unterwegs zu sein.
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  • Walk and Talk schüttet Glückshormone aus
    Bewegung regt die Produktion von Endorphinen, Dopamin und Serotonin an. Diese hormonellen Glücklichmacher sorgen für gute Laune, Entspannung und Zuversicht – eine gute Basis für ein erfolgreiches Achtsamkeits-Coaching.
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  • Abbau von Stresshormonen durch Bewegung
    Bewegung ist äußerst effektiv für die Reduktion von Stress. Körperliche Aktivität baut überschüssiges Cortisol und Adrenalin ab und senkt dadurch den Muskeltonus, was den Körper in einen entspannten Zustand versetzt.
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  • Mehr Achtsamkeit und Aufnahmefähigkeit
    Geschlossene Räume mit wenig Sauerstoff führen leicht zu Unkonzentriertheit und Dösigkeit, während die Bewegung beim Gehen dafür sorgt, während der Sitzung wach, präsent und aufnahmefähig zu bleiben.
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  • Einflussnahme aufs Tempo beim Walk and Talk
    Auch in diesem Punkt steckt eine gewisse Symbolik. Das Tempo des Vorwärtsschreitens wird nicht von der Achtsamkeitstrainerin vorgegeben. Auch der Klient kann Einfluss darauf nehmen, wann er schneller und wann er langsamer gehen möchte oder wann er stehenbleiben will. Das Gehen wird so zu einem wertvollen (Körper-)Gefühl von Autonomie, das wiederum das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärkt.
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  • Aufhebung des fixierten Blickkontaktes
    Während eines gewöhnlichen Achtsamkeits-Coachings sitzen sich Coach und Klientin oft direkt gegenüber und schauen einander ins Gesicht. Diese Blickfixierung kann sich sowohl für den Klienten als auch für die Achtsamkeitstrainerin unangenehm anfühlen.
    Beim Walk and Talk hingegen taucht diese Beklemmung nicht auf, weil beide geradeaus blicken. Jeder hat die Möglichkeit, seinen Blick schweifen zu lassen – und den anderen dann anzuschauen, wenn er es möchte.
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  • Schweigen wird von einer unangenehmen Situation zur einer wichtigen Ressource
    Der Wert des Schweigens in der Kommunikation kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Für ein Achtsamkeits-Coaching gilt das in besonderem Maße. Aber oft werden Momente des Schweigens in Beratungsräumen (mindestens vom Klienten) als unangenehm erlebt. Schweigen während des Gehens hingegen wird nicht nur als deutlich weniger belastend, sondern bisweilen sogar als hilfreich und angenehm empfunden.
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  • Mehr Bereitschaft sich für Unterstützung zu öffnen: Der sportliche Aspekt
    Ein weiterer Vorteil von Walk and Talk ist ein gewisser Sport- und Freude-Faktor. Manch einer entscheidet sich gerade aus diesem Grund für eine Beratung in Bewegung in „freier Wildbahn“. Vor allem Männer, die sich oft schwer damit tun, Unterstützung in Anspruch nehmen, greifen wegen des sportlichen Aspekts dieser besonderen Beratungsform gerne auf das Walk and Talk zurück.

Mann und Frau beim Walk and Talk in der Natur

Mehr Kreativität durch Bewegung

Wer ein Achtsamkeits-Coaching bucht, steckt oft fest: in einem Projekt, in einer Situation, einer zwischenmenschlichen Krise – oder in eigenen Gedanken und Gefühlen. Wie wir aus der Stressforschung wissen, wird das Denken unter Druck eng und die Kreativität zur Problemlösung nimmt ab.

Vor allem bei Gesprächen im Sitzen kann es leicht dazu kommen, dass der Stresspegel angesichts schmerzlicher Erinnerungen steigt und der innere Druck eine Auseinandersetzung mit diesen Gedächtnisinhalten erschwert oder sogar verhindert.

Hier leistet das Gehen beim Walk and Talk wertvolle Dienste, denn die Bewegung trägt dazu bei, den inneren Druck abzubauen – beziehungsweise ihn gar nicht erst entstehen zu lassen. Zudem haben wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, dass Bewegung Kreativität fördert; sie ist also auch hilfreich bei der kreativen Bewältigung von Problemen.

Denken in Bewegung funktioniert anders als Denken im Sitzen

Offenbar denken wir beim Gehen anders als im Sitzen. Beim Sitzen befinden wir uns in einer Art „Arbeits-Mindset“. Ohne dieses Arbeits-Mindset könnten wir uns nicht strukturieren, nicht fokussieren, nicht kontrollieren und wir könnten unsere Termine nicht einhalten.

Vermutlich greifen wir in diesem Modus verstärkt auf die linke Hirnhemisphäre zu, die vorwiegend dem logischen, rationalen Denken zugeordnet ist. Alle Gedanken, die nicht förderlich für diese disziplinierte Denkweise sind, kommen uns gar nicht erst in den Sinn. Wir befinden uns im klassischen „Thinking inside the box“.

Auf kreative, unkonventionelle und innovative Gedanken kommen wir erst, wenn wir uns entspannen und dadurch unserer rechten Hirnhemisphäre die Chance geben, auch mal zu Wort zu kommen. Dieser Bereich wird nämlich mit Intuition und Kreativität in Verbindung gebracht.

Beratung in Bewegung ist gesund

Es heißt, Sitzen sei das neue Rauchen. Ein starkes Argument dafür, Coaching in Bewegung durchzuführen. Wer eine flotte Runde zu Fuß unterwegs war, fühlt sich anschließend erfrischt und gestärkt. Jeder weiß das – und dennoch gehen wir immer weniger – und sitzen dafür um so länger.

Bis ins 19. Jahrhundert legten Männer täglich durchschnittlich 18 Kilometer zu Fuß zurück; bei den Frauen waren es ungefähr 9 Kilometer. Ende der 1980er Jahren sank die durchschnittliche Gehstrecke auf nur 1,5 Kilometer. Mittlerweise sind es nur noch wenige hundert Meter am Tag.

Unsere menschliche Spezies ist evolutionär bedingt jedoch nicht fürs Sitzen, sondern fürs Gehen optimiert. Wissenschaftler sprechen deshalb von einem „Sick of sitting“, also davon, dass Sitzen krank machen kann.

Die Zeit, die wir in einem Walk-and-talk-Setting verbringen, können wir also auf das Zeitkonto unserer täglichen Schrittmenge verbuchen: Ein wertvoller Beitrag für die körperliche Gesundheit als angenehmer Zusatznutzen.

Die 4 besten Tipps, wenn du Walk & Talk anbietest

Mit der Entscheidung, Beratungsangebote nach draußen zu verlegen, betrittst du zwar unbekanntes Land, aber du wirst staunen, wie schnell du einen ganz persönlichen Stil für deine Achtsamkeits-Coachings in Bewegung entwickelst.

Mit den folgenden Anregungen bist du gut gerüstet:

  1. Wie auch immer du deine Sitzungen unter freiem Himmel gestaltest: sie sollten zu dir passen. Kopiere nichts und mach dich frei von Vorgaben, wie die Dinge zu sein haben. Hab den Mut zu deinem einmaligen Stil.
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  2. Das Beratungsgespräch solltest du unbedingt an den Klienten anpassen. Achte darauf, dass er eine wirkliche Bereitschaft für das Walk & Talk und eine gewisse Fitness mitbringt. Tut er das nämlich nicht, könnte er sich erbärmlich fühlen, wenn er am Rande eines Herzinfarktes hinter dir her hecheln muss. Sei dir bewusst, dass die Aussicht, sich körperlich betätigen zu müssen nicht bei jedem Begeisterung auslöst. Man einer schätzt den Schutz des „Cocooning“, das ein geschlossener Raum ihm bietet.Zudem mögen manche Menschen Natur einfach nicht, und manche haben im Wald sogar Angst. Am besten ist, wenn du dein Vorhaben zunächst mit deiner Klientin besprichst.
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  3. Eine der Aufgaben eines Coaches besteht darin, darauf zu achten, dass vielversprechende Gedanken, Ansätze und Erkenntnisse nicht in Vergessenheit geraten und gegebenenfalls weiter verfolgt werden. Manch ein Achtsamkeitstrainer benutzt dazu unterwegs sein Handy. Ich persönlich nutze lieber die geistige Präsenz und Klarheit, die das Gehen im Freien mir beschert, um mir meine Notizen im Anschluss an das Walk and Talk zu machen.
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  4. Gewöhnlich wird es so sein, dass die Natur und die Bewegung einen positiven Einfluss auf den Beratungsprozess haben. Aber das muss nicht bei jedem Menschen so sein. Sei dir bewusst, dass jeder Mensch anders ist und anders reagiert.

Ist die Natur immer der beste Praxisraum?

Tatsächlich ist sie es nicht immer. Einmal abgesehen von einer mangelnden Affinität zu Wald und Flur, können auch die Lebensumstände einer Person dazu beitragen, dass die Beratung in der Natur keine positive Erfahrung wird.

Stell dir eine Person im Dauerbeschuss der Mehrfachbelastung von Familie und einem besonders stressigen Beruf vor. Den ganzen Tag prasseln Anforderungen und Kommunikation auf sie ein. Da kann sich ein Besuch im stillen Wald anfühlen, als würde man mit 100 km/h gegen eine Mauer fahren.

Achte die Natur als einen Praxisraum, der niemandem aufgezwungen werden sollte. Wenn du nicht sicher bist, dann kann ein Gespräch mit deinem Klienten über das, was er gerade braucht, ein schöner Einstieg in die gemeinsame Arbeit sein.

Muss Walk and Talk im Wald durchgeführt werden?

Die wenigsten Berater, die ich kenne, befinden sich in der privilegierten Situation, einen Wald oder ausgedehnte Wiesen für ihre Gespräche in Bewegung nutzen zu können. Bei den meisten wird es wohl eher der Stadtpark sein – oder eine kleine, ruhige Seitenstraße mit Bäumen und schönen Vorgärten. Wir arbeiten einfach mit dem, was da ist, um unsere Beratung in Bewegung durchzuführen.

Die Natur als kreativer Coaching-„Werkzeugkasten“

Walk & Talk kann sehr viel mehr sein als ein „erweiterter Praxisraum“ unter freiem Himmel, denn die Natur bietet viele Möglichkeiten für Übungen und Rituale. Verwelkte Blätter, knorrige Baumstämme oder Wolkenformationen können als Symboliken für intuitives Verstehen oder zum freien Assoziieren genutzt werden.

Einige Übungen findest du in meinem Beitrag über das Waldbaden »»

Die beste Achtsamkeitsübung für Walk and Talk

Achtsames Gehen

Ein Achtsamkeits-Coaching im Freien kann damit begonnen werden, den Geist und die Emotionen zu beruhigen und zu klären. Hilfreich dafür ist das achtsame Gehen, auch Geh-Meditation genannt. Es wird im Schweigen und in langsamen Schritten durchgeführt.

Der Fokus liegt vollständig auf der Empfindung des ein- und ausströmenden Atems und auf dem Kontakt der Füße zum Boden. Wenn der Geist abschweift, wird er wieder zu den sinnlichen Empfindungen zurückgebracht. Auf diese Weise kehren allmählich Ruhe und Klarheit in den Geist ein.

Verständigt euch vorher, wie lange ihr auf diese achtsame Weise gehen möchtet. Als Achtsamkeitstrainerin behältst du die Zeit im Blick.

Mehr erfahren über das Achtsame Gehen »»

© Doris Kirch