Doris Kirch

Der Muttertag ist einer dieser Tage, an denen Freud und Leid oft dicht beeinander liegen. Während einige Mütter sich an der Dankbarkeit ihrer Kindern erfreuen dürfen, leiden andere, weil sie vergessen oder bewusst ignoriert werden. Doch der emotionale Schmerz, der dadurch entsteht, kann mit Hilfe von Achtsamkeit nicht nur überwunden, sondern sogar transformiert werden.

Am Muttertag werden bei vielen Müttern liebevolle Erinnerungen wach. Aber längst nicht bei allen. Während viele diesen Tag in froher Heiterkeit im Kreis ihrer Kinder (und Enkel) verbringen, kommen andere in Kontakt mit Verlust und Gedanken an unerfüllte Wünsche und schwierige Lebenssituationen.

Ambivalente Sache: Ist Muttertag wirklich wichtig?

Kaum ein Tag ist so emotional aufgeladen wie der Muttertag. Für die einen ist er ein schöner Anlass, um mal wieder „Danke“ zu sagen. Für andere ist es ein Tag voller Widersprüche und einem einzigen hin und her gerissen sein zwischen Schuldgefühlen, emotionalem Schmerz, ehrlicher Wertschätzung, sozialem Rollendruck, familiärer Nähe und gesellschaftlicher Erwartungshaltung.

Kein Wunder, dass viele sich fragen: „Brauchen wir wirklich einen „Muttertag“? Oder ist der so überflüssig wie eine Grippe?

Der Ursprung des Muttertags

Die Verehrung der Muttergöttin

Bereits in den frühesten Kulturen der Menschheit wurde das Weibliche in Form einer göttlichen Ur-Mutter als Ursprung allen Lebens verehrt. Die rd. 29.500 Jahre alte Venus von Willendorf, Österreichs bekanntester archäologischer Fund, belegt die Verehrung der Großen Mutter oder Erdmutter in unseren Breitengraden.

Der Ursprung des modernen Muttertags

Doch die Geburtsstunde des heutigen Muttertags, haben wir der amerikanischen Frauenrechtlerin Anna Jarvis zu verdanken. Im Jahr 1908 initiierte sie diesen Tag zu Ehren ihrer verstorbenen Mutter, die sich für bessere Gesundheitsbedingungen von Müttern eingesetzt hatte.

Doch was dann geschah, sah sie nicht voraus – und sie war extrem verägert darüber: Während ihr Dankbarkeit und die soziale Anerkennung von Müttern am Herzen lagen, wurde der Muttertag bereits nach wenigen Jahren von Floristen, Pralinenherstellern und Kaufhäusern für kommerzielle Zwecke vereinnahmt.

Wie so viele Gepflogenheiten aus Amerika schwappte auch diese nach Europa über. In Deutschlands NS-Zeit schreckten die Nationalsozialisten nicht davor zurück, den Muttertag für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, indem sie das Bild der aufopferungsvollen, kinderreichen Hausfrau glorifizierten.

Konsumterror und Freifahrtschein für 364 Tage Ignoranz?

Die Kommerzialisierung des Muttertags und die fehlende spirituelle Anbindung haben diesen Tag für viele Mütter bedeutungslos werden lassen. Unter dem Konsumterror von Blumen, Pralinen und kitschigen Postkarten wirkt er oft eher wie ein albernes Pflichtprogramm – jenseits eines authentischen Ausdrucks echter Dankbarkeit.

Manche Frauen sagen, dass sie sich eher benutzt als gewürdigt fühlen: Ein Tag, an dem die Kinder ihr schlechtes Gewissen beruhigen können, weil sie ihre Mutter 364 Tage lang mehr oder weniger nicht gewürdigt haben. Und gleichzeitig ist der Muttertag dann auch so etwas wie ein Freifahrtschein für die folgenden 364 Tage der Ignoranz.

Auch Frauen, die sich als Mutter überfordert fühlen oder wenig Unterstützung erfahren, erleben am Muttertag oft einen Widerspruch zwischen einem idealen Selbstbild und der Realität.

Zitat zum Muttertag

Muttertag: Nicht für jede Mutter von Bedeutung

Vielleicht ist das der Grund, warum der Muttertag für viele Mamas keine Bedeutung hat und sie auch keinen Wert auf Huldigungen legen.

Was mich anbelangt, habe ich eine interessante Entdeckung gemacht. Als junge Mutter war mir der Muttertag auch egal. Mittlerweile hat meine Haltung sich verändert – seltsamerweise hat der Muttertag für mich an Bedeutung gewonnen.

Heute, wo ich diesen Beitrag schreibe, ist Muttertag. Meine Mutter ist 86 Jahre alt und ich habe ihr vorhin dafür gedankt, dass sie einen ordentlichen Menschen aus mir gemacht hat. Und ich habe ihr für all die leckeren Mahlzeiten gedankt, die sie für meine Geschwister und mich gekocht hat. Ich habe ein paar davon aufgezählt, die bei ihr längst schon in Vergessenheit geraten waren.

Einige Mütter bekunden, keinen Wert auf all das Muttertags-Brimborium zu legen. Das mag sein. Aber dennoch wird eine Mutter registrieren, wenn keine liebe Geste kam.

Achtsame Betrachtung: Für die Kinder

Wenn du dies als „Kind“ liest, dann kann es sein, dass du deine Kindheit in guter Erinnerung hast, dass du deine Mutter als liebevoll und fürsorglich erlebt hast und dass du sie sehr liebst.

Es kann aber auch sein, dass du keine guten Erfahrungen mit deiner Mutter gemacht hast. Vielleicht war es für dich so schlimm, dass euer Kontakt schwierig ist oder dass du ihn sogar ganz abgebrochen hast. Ich kann und möchte das gar nicht beurteilen.

Meine nachfolgenden Gedanken sind eher für die „Kinder“, die ihre Eltern einfach nur schwierig oder nervig finden oder die wegen etwas verägert sind, das in der Vergangenheit geschehen ist.

Aus Sicht der buddhistischen Psychologie machen wir alle Fehler – einfach deshalb, weil wir Menschen sind. Menschsein bedeutet Fehler zu machen. Und wer viel macht, macht viele Fehler. Weil Eltern viel machen, machen sie viele Fehler.

Wer viel macht, macht viele Fehler.

Wenn du selbst Kinder hast, ist dir bestimmt auch schon aufgefallen, dass du als Mutter oder Vater nicht pefekt bist. Gestehe das auch deiner Mutter zu.

Ich möchte das, was schlimm oder schwierig für dich ist, nicht bagatellisieren. Doch ich biete dir eine erweiterte, achtsame Perspektive an. Verliere bei allem Schmerzhaften nicht aus dem Fokus, was deine Mutter in ihrem Leben Gutes, Fürsorgliches und Hilfreiches für dich getan hat.

Oft schauen wir nur auf das, was nicht gut genug war, was zu wenig für uns war. Aber wie ist das mit dir? Was hast du deiner Mutter gegeben? Heute am Muttertag wäre ein guter Zeitpunkt, auch darüber einmal nachzudenken.

Sag heute danke

Wir sind alle Kinder einer Mutter. Wenn deine Mama noch lebt, dann hast du die Möglichkeit, ihr persönlich danke zu sagen. Du musst damit nicht bis zum nächsten Muttertag warten. Mach es doch einfach heute!

Achtsame Betrachtung: Für die Mütter

Du sitzt am Muttertag zu Hause, wartest und hoffst, dass irgendein Lebenszeichen deiner Kinder kommt – und nichts passiert? Wenn das geschieht, kann ich deinen Schmerz verstehen. Vielleicht erwartest du gar nichts, bist aber irgendwo tief in dir dennoch enttäuscht, wenn niemand sich meldet.

In gewisser Weise gilt das, was ich zuvor für die Kinder geschrieben habe, auch für die Mütter. Und auch deinen Schmerz möchte ich nicht bemänteln, sondern dir einfach eine weitere Perspektive aus dem Blickwinkel der Achtsamkeit anbieten.

Da ist zum einen die Sache mit der Erwartung. Bedenke, dass deine innere Freiheit dort beginnt, wo deine Erwartungen aufhören.

Man sagt oft, dass die Kinder sich von ihren Eltern und von zu Hause abnabeln müssen. Ich weiß nicht, wo das herkommt, aber ich habe den Eindruck, dass es eher den Eltern schwer fällt, ihre Kinder loszulassen. Mir halfen dabei diese Zeilen von Khalil Gibran aus „Der Prophet“:

Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.

Bedingungslose Liebe

Ich sehe deinen Schmerz – und er ist verständlich. Mutter zu sein fordert uns zu bedingungsloser Liebe auf. Es ist die höchste Form von Liebe.

Doch so lange wir hoffen, dass die Liebe, die wir schenken, uns zurückgegeben wird, ist Liebe nicht mehr als ein Geschäft, bei dem Geben und Nehmen klar geregelt sind. Das ist keine wahre Liebe.

Vielleicht ist heute nicht der Tag, an dem deine Kinder ihre Verbindung zu dir spüren. Doch lass mich dir sagen: Das schmälert nicht deinen Wert und auch nicht den Wert dessen, was du für dein Kind (oder deine Kinder) aus bester Absicht je gedacht, gesagt oder getan hast.

Es geht auch nicht um Versagen oder um Schuld. Es geht vielmehr um wahre Liebe, Absichtslosigkeit, Geduld, Dankbarkeit, Verzeihen und Akzeptanz. Das alles sind Haltungen der Achtsamkeit, die wir an Tagen des Schmerzes ganz besonders üben dürfen.

Nutze den Schmerz, den du fühlst, wenn du am Muttertag vergessen oder absichtlich ignoriert wurdest, als Dünger für deine Achtsamkeitspraxis.

Selbstmitgefühl gegen den Schmerz des Vergessen-Werdens am Muttertag

Alles, was ich in diesem Beitrag geschrieben habe, sind Worte. Sie sind bestimmt hilfreich, um eine etwas weisere, weitere Perspektive zum Muttertagsgeschehen einzunehmen. Aber nicht immer heilt das den traurigen Schmerz des Einsamseins und des Vergessen-Werdens.

Ich möchte dir hier eine Meditation des Selbstmitgefühls anbieten, die dir helfen kann, dein Leid etwas zu lindern:

Muttertag als universelles Prinzip

Die heutige Form des Muttertags wirkt oft banal im Vergleich zur tiefen symbolischen Bedeutung der „Mutter“ in spirituellen Traditionen. Doch vielleicht liegt hier eine Einladung: „Mutter“ nicht nur als biologische Rolle zu verstehen, sondern als Ausdruck eines universellen, nährenden Prinzips. Ein Prinzip, das in uns allen wirkt – unabhängig von Geschlecht, Elternschaft oder sozialer Rolle.

Aus buddhistischer Perspektive würde ich sagen: Dankbarkeit sollte kein „Event“, sondern eine innere Haltung sein. Und „Mutter“ sollte nicht nur eine Rolle, sondern auch ein Symbol für das nährende Prinzip in uns allen sein.

Vielleicht liegt in dieser Sichtweise ein Weg, den Muttertag von Kitsch und Pflicht zu befreien und ihn zu einem persönlichen Moment echter Wertschätzung zu machen.

Welche Bedeutung der Muttertag hat, hängt davon ab, wie wir ihn gestalten. Vielleicht ist es weniger der Tag an sich, der zählt, sondern die Frage, wie wir Fürsorge, Dankbarkeit und echte Verbindung im Alltag leben.

© Doris Kirch