Du praktizierst Achtsamkeit und hast ein schlechtes Gewissen, weil du hin und wieder schwierige Gefühle hast? Fragst du dich, was du falsch machst, weil du im Alltag auch immer wieder mal Verärgerung, Ungeduld, Enttäuschung oder Traurigkeit erlebst? Erfahre in diesem Beitrag, was man von Achtsamkeit im Hinblick auf schwierige Gefühle erwarten darf.
Wenn schwierige Gefühle nicht ins Selbstbild passen
In den Anfängen meiner buddhistischen Praxis hatte ich die Phantasie, dass mich dieser spirituelle Weg zu einer Art „Wonder Woman“ machen würde. Ich war erfüllt von der Idee, dass alle schwierigen Gefühle bald hinter mir liegen würden, wenn ich nur fleißig genug meditierte. Nie wieder Angst, Wut oder verletzt sein! Die Rechnung ging natürlich nicht auf, und heute schmunzle ich über die Vorstellungen, die damals in meinem Kopf kreisten.
Schwierige Gefühle gehören dazu
Der erste Schritt zur Heilung meiner schrägen Gedanken war die Erkenntnis, dass schwierige Emotionen zu unserem Menschschein dazu gehören. Jeder Mensch hat sie und ich hatte gute Lehrerinnen und Lehrer, die mit ihren menschlichen Schwächen in einer erfrischenden Offenheit umgegangen sind.
Während ich Neuling in der Achtsamkeitspraxis versuchte, nach außen eine besonders „heilige“ Figur abzugeben, machten sie nicht einmal ansatzweise den Versuch, auftauchende schwierige Gefühle zu verbergen. Schon früh habe ich dadurch gelernt: Nicht die schwierigen Gefühle sind das Problem, sondern wie wir uns auf sie beziehen – also wie wir reagieren, wenn solche Bewusstseinszustände im Geist auftauchen.
Manche Dinge tun einfach weh
Manche Dinge tun einfach weh – da gibt es nichts zu beschönigen. Und schmerzvolle Erfahrungen gehen an keinem Menschen vorbei. Auch nicht an einem Achtsamkeit Praktizierenden oder einem Achtsamkeitstrainer. Die Frage: „Darf ich schwierige Gefühle haben?“ ist vergleichbar mit der Frage: „Darf ich Durst haben?“ Wir sind Menschen, deshalb gehören unangenehme Gefühle und emotionaler Schmerz dazu.
Leider leben wir in einer Gesellschaft mit einer negativen Einstellung zu seelischem Schmerz. Die vorherrschende Umgangsweise mit schwierigen Gefühlen ist, sie möglichst zu vermeiden. Wo das nicht möglich ist, werden sie verborgen, verleugnet oder behandelt, um sie möglichst schnell „wegzumachen“.
Und wenn es vielen bereits im gewöhnlichen zwischenmenschlichen Umgang schwer fällt, emotionalen Schmerz anzuerkennen und angemessen damit umzugehen, dann ist das im Zusammenhang mit spiritueller Praxis oft noch viel herausfordernder. Das liegt an den verbreiteten Phantasien darüber, was ein Achtsamkeit Praktizierender sein und können sollte.
Schwierige Gefühle und die Tatsache des Leidens
Anzuerkennen, dass schwierige Gefühle zum Menschsein dazugehören, war sehr befreiend für mich. Aber die vollständige Befreiung fand ich in dem, was der Buddha vor zweieinhalbtausend Jahren erkannt hat und was zu einer der zentralen Lehren des Buddhismus wurde:
Leiden ist eine Tatsache des Lebens.
Eine meiner amerikanischen Lehrerinnen drückte es einmal völlig unprätentiös so aus: „Shit happens!“ Das ist meine Lieblingsbeschreibung für die vollkommene Akzeptanz der Tatsache, dass „Mist einfach passiert!“
Warum das so befreiend ist? Weil niemand von uns verlangt, dass wir nicht das fühlen dürfen, was wir fühlen. Niemand bagatellisiert, rationalisiert unsere schwierigen Gefühle. Niemand versucht, uns mit dem banalen Hinweis zu trösten, dass die Zeit alle Wunden heilt oder macht uns darauf aufmerksam, was wir durch unsere schwierigen Gefühle gerade lernen dürfen.

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Transformierendes Verstehen statt Vermeidung
All das mündet auch in der Achtsamkeitspraxis in der Grundhaltung: Gefühle sind nicht das Problem. Aus Sicht der buddhistischen Psychologie sind Gefühle angenehm oder unangenehm – aber sie sind weder gut noch schlecht.
Wenn wir hier über „schwierige“ Gefühle reden, dann sollten wir schwierig aus diesem Grund auch in Anführungszeichen denken.
„Schwierige“ Gefühle wie Angst, Wut, Scham, Enttäuschung oder Trauer sind natürliche Reaktionen des Geistes auf innere oder äußere Bedingungen. Das Leiden, das wir erleben, empfinden wir als schwierig. Es entsteht aber nicht durch die Gefühle selbst, sondern durch unsere Reaktion auf diese Gefühle – durch das, wie wir uns auf sie beziehen und mit ihnen umgehen – wie zum Beispiel uns damit identifizieren, daran festhalten oder Widerstand dagegen aufbauen.
Die Kernidee dahinter ist: „Pain is inevitable. Suffering is optional.“ Der Schmerz durch schwierige Gefühle ist unvermeidlich, aber das Leiden entsteht durch unsere geistige Haltung.
Du darfst schwierige Gefühle haben, wenn du Achtsamkeit praktizierst
Zur Praxis der Achtsamkeit gehört die Praxis des Mitgefühls. Vielleicht glaubst du, dass deine Praxis des Kultivierens von Mitgefühls dich davon abhalten sollte, weniger „tugendhafte“ Emotionen zu fühlen. Aber das ist keine hilfreiche Sichtweise.
Mach dir klar, dass Leiden eine universelle Tatsache ist. Diese Tatsache enthält keine moralischen Vorschriften, wie wir uns zu diesen Zeiten zu fühlen haben. Wie so oft in der buddhistischen Psychologie geht es um Akzeptanz – und hier um die Akzeptanz dessen, was ist.
Du hast nun die offizielle Erlaubnis, zu fühlen, was du fühlst … auch wenn du Achtsamkeit praktizierst und es sich um „schwierige“ Gefühle handelt. 😉
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