Das hat mich wirklich sprachlos gemacht! (Im ersten Moment jedenfalls.)

Nicht, weil jemand etwas kritisiert, das mir seit dreißig Jahren Beruf und Berufung gleichermaßen ist, sondern, weil hier jemand in der Öffentlichkeit etwas diffamiert, von dem er ganz offensichtlich überhaupt keine Ahnung hat. Eine Meinungsbildung, die an Impertinenz (impertinent = dumm-dreist) grenzt und die eine gute Sache ad absurdum stellen will.

Prof. Theodore Zeldin, Foto von Hannah Assouline

Prof. Theodore Zeldin bezeichnet Achtsamkeit als „kontraproduktiven Tranquilizer“.

Foto von Hannah Assouline

Herr Prof. Theodore Zeldin, Historiker an der Universität Oxford, behauptet, Meditation und Achtsamkeit hielten die Welt vom Denken ab. Und er bezeichnet Achtsamkeit als einen „kontraproduktiven Tranquilizer“ (Beruhigungsmittel).

„Ein Problem an „Mindfulness“-Konzepten ist, dass es das Wissen der Welt nicht vermehrt. Und ohne Wissenszuwachs kann man die Probleme dieser Welt nicht bewältigen. Meditation löst keine sozialen Probleme, doch diese sind die Ursache von Angst und Stress“, bekundet er vollmundig.

Glaube an die Allmächtigkeit
intellektuellen Wissens

Ein Zuwachs an intellektuellem Wissen ist tatsächlich nicht das Ziel von achtsamkeits-basierten Konzepten. Denn dieser Intellekt hat unsere Welt in die Situation gebracht, in der sie gerade ist – und der Blick auf das politische, wirtschaftliche und ökologische Geschehen gibt zum Jubeln nun wirklich keinen Anlass.

Dennoch sind Achtsamkeit Praktizierende keine sozial inkompetenten, weltfremden Trottel, die mit abgeschaltetem Verstand auf ihrem Meditationskissen sitzen und ihre Atemzüge zählen, als wäre ihnen ein Atemzug abhanden gekommen.

„Man kann hinausgehen, um die Welt zu verbessern. Oder man kann meditieren und sich vor der Welt und ihren unerwünschten Effekten verstecken“, sagt der Herr Professor.

Achtsamkeit ist die Hinwendung zum Leben

Wir Achtsamkeit Praktizierende tun genau das Gegenteil von dem, was er uns unterstellt. Wir wenden uns eben nicht ab, sondern wir sehen ganz genau hin und stellen uns dem, was in unserem Leben geschieht.

Achtsam sein bedeutet, zu bemerken, was geschieht, während es geschieht. Das erfordert einen Zustand höchster Wachsamkeit und Präsenz – sowohl im täglichen Leben, als auch in der Meditation.

Statt Weltfremdheit fördert Achtsamkeit
Klarheit und Wachheit im Geist

Neurowissenschaftler haben die Gehirnströme meditierender buddhistischer Mönche gemessen. Sie haben bestätigt, was Meditierende seit Jahrtausenden wissen: dass man sich in der Meditation nicht in ein diffuses, weltfremdes Nirvana „schießt“, sondern dass genau das Gegenteil geschieht: Es tauchten sogenannte Gammawellen im Frequenzband auf, die von den Forschern als Hyperbewusstsein bezeichnet werden – ein Zustand absoluter Klarheit und Wachheit im Geist.

Meditation verhilft demnach zu einem wachen, klaren Geist, der sich seiner selbst als auch der Dinge um ihn herum vollständig bewusst ist. Solch ein klares Hirn täte auch dem Herrn Professor gut, denn dann wäre ihm bewusst, dass seine Worte nichts anderes sind, als eine aus der Luft gegriffene polarisierende Meinungsbildung in Bild-Zeitungs-Manier. Leeres Gerede ohne substanzielles Fundament.

Noch etwas aus den Neurowissenschaften weiß der kluge unkluge Herr nicht: Meditation verdickt den präfrontalen Kortex des Gehirns. Eine der zahlreichen positiven „Nebenwirkungen“ dieser Tatsache ist eine Zunahme von Mitgefühl.

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Mitfühlende Menschen verändern die Welt

Anders gesagt: Je länger und tiefer ein Mensch in seiner Meditations- und Achtsamkeitspraxis verankert ist, desto mitfühlender ist er. Seine Augen sind offen, er sieht das Leiden der Welt und er verschließt sich dem nicht.

Wahrscheinlicher ist, dass er beginnt, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren, nach gesünderer Nahrung verlangt, keine Kleidung mehr kauft, die unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt wurde und keine Umweltgifte in seinem Garten mehr verwendet.

Die Achtsamkeitspraxis, die ihre Wurzeln im Buddhismus hat, bringt warmherzigere und mitfühlendere Menschen hervor. Ihr Beitrag für eine bessere Welt besteht nicht in intellektuellen Plattitüden. Sie tun etwas. Nicht laut und spektakulär – eher wie Gandhis stiller „ziviler Ungehorsam“.
Es ist eben eine leise Praxis.

Einsicht in die wahre Natur seiner selbst
ist therapeutisch heilsam

In der Achtsamkeitspraxis, wie wir sie zum Beispiel im DFME vermitteln, praktizieren wir eine Form von Meditation, die sich Vipassana-Bhavana (Einsichtsmeditation) nennt. Einsicht in die wahre Natur seiner selbst und der Welt erlangt man nicht durch stumpfes Dahinvegetieren in einem geistigen Umnachtungszustand.

Wir stellen uns allen Körperempfindungen, egal ob angenehm oder unangenehm, wir beobachten schmerzliche Emotionen und quälende Gedanken und wenden uns nicht ab. In der Meditation lernen wir, mit diesen Dingen umzugehen, die Teil unserer menschlichen Erfahrung sind.

Und die durch die Meditation erlangten Fähigkeiten helfen uns dabei, die Schwierigkeiten des Alltags besser zu bewältigen. Das ist zwar keine Psychotherapie, wirkt aber in hohem Maße heilsam.

Da spricht Unkenntnis

Natürlich gibt es auch andere Formen von Meditation, die andere Ziele verfolgen und andere Wege dorthin kennen. Aber gerade die Einsichtsmeditation, die Teil der Achtsamkeitpraxis ist, wie sie zum Beispiel durch das von Jon Kabat-Zinn entwickelte MBSR-Konzept vermittelt wird, tut genau das Gegenteil von dem, was Zeldin ihm vorwirft.

Achtsamkeit hilft zu bemerken, wann die Zunge schneller sein will, als das Hirn. Dem Herrn Professor täte solch ein Training gut. Dann hätte er ein Bewusstsein dafür, wann er im Begriff ist, Statements über Dinge abzugeben, von denen er ganz offensichtlich keinen blassen Schimmer hat.

Und schon gäbe es etwas weniger Impertinenz in dieser Welt – was ihr sicher gut tun würde.